Patchwork, Regenbogen, Co-Parenting: Wir haben mit 7 Menschen über ihre alternativen Familienmodelle gesprochen

21.03.2019 Gesellschaft, box2

Ich selber habe mich lange nach einer Bilderbuchfamilie verzehrt. Denn dieses  „anders sein“ hat  in mir lange eine Rolle gespielt. Ja, tatsächlich haben meine Mutter und ich uns nicht selten eine dritte Person im Bunde gewünscht, die das Bild komplettiert hätten. Auch heute, bei dem Gedanken an meine Zukunft, merke ich immer wieder, wie ich ins Schwärmen gerate, wenn es um „intakte“ Familienverhältnisse geht. Was ich unter „intakt“ verstehe? Zufriedenheit, den Zustand des „glücklich seins“, sowie das Gefühl der Sicherheit – ja, das meine ich!

Heute bin ich froh, sagen zu können, dass ich all das hatte. Ich weiß mittlerweile nämlich, das „intakt“ nicht an vorgelebte Familienträume gebunden ist, nichts damit zutun hat, ob man den Sonntagsspaziergang zu dritt, zu zweit oder zu acht macht und dass am Ende viele Wege ins gemeinsame Glück führen können. Lange habe ich für diese Erkenntnis gebraucht: Viel Zeit hat geholfen, aber auch ein Umfeld, indem es Alternativen gibt, die gut funktionieren.

Wie sehen Familienmodelle heute aus und wer lebt sie eigentlich? Wir haben 7 Frauen gefragt!

Nicole, 36 aus Siegen 

Es gab irgendwann zwei Alternativen: Entweder du ziehst das jetzt für einen langen Zeitraum alleine durch oder du schaust dir einfach dieses andere Modell mal an. Das Model „Patchwork“. Nach der Trennung des Vaters meiner Tochter lief ich noch hormongeschwängert mit dickem Bauch durch die Welt. Die Gefühle changierten zwischen, „Klar du bist stark und es gibt so viele tolle, bewundernswerte alleinerziehende Mütter“ und „Wie zur Hölle soll ich das eigentlich schaffen“? Nachdem ich fast zwei Jahre die eine Variante probierte, lernte ich meinen jetzigen Lebensgefährten kennen. Geschieden und Vater von zwei Kindern, die mittlerweile jedes zweite Wochenende und die Hälfte jeder Ferien bei uns verbringen. Die größte Angst war, wie die beiden mich annehmen würden, als neue Partnerin an der Seite ihres Vaters. Würden sie mich akzeptieren? Mein Anspruch war weit davon entfernt, einen Mutterersatz zu sein, da die beiden ja eine Mama haben, die großartig ist. Doch wie bekomme ich den Turn hin, sowas wie eine Freundin oder Vertrauensperson zu werden? 

Der Schlüssel? Geduld und den Dingen seinen Lauf lassen. Unsere Kinder sind alle in unterschiedlichen Lebensphasen mit 4, 9 und 12 Jahren. Jedes hat andere Bedürfnisse, andere Vorlieben und Gewohnheiten. Wie soll man es schaffen, einen Ausflug zu planen und dabei allen gerecht zu werden? Auch hier heißt es loslassen, sich freimachen und vor allem miteinander sprechen. Austausch, Kommunikation und ein straffer Terminplan ist unser bester Ratgeber. Wenn ich nicht mit meinem Partner über Grenzen spreche, dann funktioniert das alles nicht. Ich bin voll berufstätig und selbst die Wochenenden sind dann teilweise so straff durchorganisiert, dass ich oftmals an meine psychischen und physischen Grenzen komme. Das kann totale Genervt- und Gereiztheit bedeuten oder ich fühle mich manchmal nur erschöpft und ausgebrannt. Das eine bedingt oft das andere. Meinem Partner geht es da aber natürlich nicht anders. Deswegen machen wir es manchmal so, dass der eine ein paar Stunden für sich sein kann und der andere dann alle drei Kids schnappt und was unternimmt. Es gibt so viele tolle Momente. Hier ist immer Action, uns ist nie langweilig, wir haben zusammen schon viel gesehen und erlebt und die Kinder geben aufeinander acht und betrachten sich mittlerweile als Familie. Gerade meiner kleinen Tochter gibt diese Verbundenheit ein tolles Gefühl und ist ein wichtiges Glied in ihrem Heranwachsen. Sie findet das super und für sie macht es keinen Unterschied, dass Mama und Papa nicht zusammenleben. Sie kennt es nicht anders, ist so aufgewachsen, ist kein Scheidungskind, hat keine Streits mitbekommen und musste sich auch nie zwischen Mama oder Papa entscheiden.

[typedjs]Von außen betrachtet sieht man nämlich nicht, dass wir ein zusammengewürfelter Haufen sind. [/typedjs]

Der nämlich lebt nämlich in einer ganz anderen Stadt, kommt aber trotzdem einmal die Woche zu Besuch und verbringt einen ganzen Tag mit ihr. Er lebt ebenfalls in einer neuen Familie mit Partnerin und zwei „Patchworkkindern“, zudem jetzt noch eine Drittes dazugekommen ist, das meine Tochter zu einer „echten“ Halbschwester gemacht hat. Dieses Patchworkding wächst und wächst also. Das Wichtigste ist, das wir uns alle verstehen, respektvoll miteinander umgehen und daraus ein Lebensmodel kreieren, indem sich alle Beteiligten wohlfühlen. Dann ist es auch ganz egal, ob und was andere denken. Von außen betrachtet sieht man nämlich nicht, dass wir ein zusammengewürfelter Haufen sind.

Mia, 31 aus Hamburg / Halle

Als ich meinen Freund vor sechs Jahren beim Auflegen auf einer Party kennenlernte und erfuhr, dass er eine Tochter hat, dachte ich mir nur: „Ach, wie schön!“. Ich war neugierig, diesen Mann, der seit anderthalb Jahren getrennt von der Mutter seiner Tochter lebte, sein Leben als Teilzeit-Papa und sein damals 3,5 Jahre altes Kind kennenzulernen. Ich komme selbst aus einer Großfamilie und kleine Kinder gehören für mich wie selbstverständlich zum Leben dazu. Ich verbringe gerne Zeit mit Kindern, obwohl ich zu dem Zeitpunkt noch keinen aktiven Wunsch verspürte, selbst ein Kind zu bekommen, schließlich war ich noch mit ganz anderen Dinge in meinem Leben beschäftigt. Vielleicht war ich dumm und naiv, aber für mich war ein Kind kein Hinderungsgrund mit diesem Mann eine Beziehung einzugehen. Mein Freund ist für seine Tochter da, und wegen ihr bleibt er auch ganz selbstverständlich in Hamburg wohnen, teilt sich mit der Mutter das gemeinsame Sorgerecht und seine Tochter ist zu 50 Prozent bei ihm – bei uns. Ich zog nach knapp zwei Jahren Beziehung für ihn von Köln in die Hansestadt und wir suchten uns eine gemeinsame Wohnung. So sehr ich meinen Freund und inzwischen auch seine Tochter liebe, wurde mir erst mit der Zeit bewusst, wie anstrengend unsere Konstellation ist:

Zum Kind gehört ja auch eine Mutter, die auch die Ex-Freundin meines Partners ist und ich erlebte die skurrilsten Szenen. Es treffen so viele verschiedene Gefühle, Bedürfnisse, Verletzungen und Ansprüche aufeinander, sodass ich oft das Gefühl habe, an meine emotionalen Grenzen zu stoßen und mich nach wie vor in meinem Leben eingeschränkt durch diese Beziehung fühle, obwohl ich selbst noch keine Mutter bin. Mein Freund und ich können nicht spontan ausgehen,

wegfahren, Urlaube unabhängig planen oder einfach umziehen. Alles muss mit allen Beteiligten koordiniert, abgestimmt und geplant werden. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass mir mein eigenes Leben entgleitet und in dieser Beziehungskonstellation für meine eigenen Wünsche kein Raum mehr vorhanden ist. Trotzdem habe ich mich immer wieder aktiv dazu entschieden ein immer größerer Teil von einer Patchworkfamilie zu werden. Ich hätte das nie gekonnt, wenn ich nicht von Anfang an zu dem Kind eine eigene, individuelle, starke Beziehung aufgebaut hätte: Sowohl unabhängig von ihrem Vater als auch unabhängig von der Mutter, haben wir eine vertrauensvolle Bindung aufgebaut, die darauf beruht, dass wir uns einfach mögen! Dieses Kind bereichert mit seiner Persönlichkeit mein Leben und ich hoffentlich auch seins. Inzwischen pendle ich zwischen Hamburg und Halle (Saale) und habe mich bewusst für diese Distanz entschieden, um das Gefühl wieder zurückzuholen, wieder mein eigenes Ding machen zu können; Mutter bin ich bis heute noch keine, Patchworkfamilie hin oder her! Ich fühle mich dennoch oft allein mit dieser Situation und manchmal sogar wie der Eindringling, der immer auch außen vor ist. Auf der einen Seite darf man nichts falsch machen, denn es ist ja nicht das eigene Kind und auf der anderen Seite habe ich natürlich trotzdem großen Einfluss. Ich darf keine Ansprüche stellen, trage aber natürlich Verantwortung. Oftmals bin ich auf Unverständnis gestoßen, als ob meine Meinung unangebracht wäre oder musste mir unterstellen lassen, dass ich irgendjemandem etwas wegnehmen wollen würde. Das hat mich wahnsinnig schwer getroffen – und beschäftigt mich noch immer.

Josefina, 26 aus Oldenburg

Meine Mutter und ich waren meistens alleine und das war OK so. Rückblickend würde ich sagen, dass mir dann und wann definitiv eine zweite Bezugsperson gefehlt hat. Jemand, mit dem sie und ich uns hätten austauschen können, jemand zur Abstimmung und jemand, der uns mit eigener Energie und einem zweiten Einkommen unterstützt. Ob ich eine Vaterfigur, ja gar ein Mann, heute rückblickend vermisse? Keineswegs. Es geht eher ums Prinzip Team. Ein etwas größeres als wir zwei, das eine Familie ausbalancieren kann, wenn Schräglage herrscht oder ein Sturm aufkommt. Ab meinem dritten Lebensjahr wuchs ich mit einer vergleichbaren Person auf. Wir waren zu dritt und ja, das Bild von Mutter-Vater-Kind war mir lange Zeit sehr wichtig. Es hat etwas mit dem „Dazugehören-Gefühl“ zu tun – das hat eine enorme Rolle gespielt. Das wurde mir allerdings erst klar, als die Beiden sich trennten, wir in die Geburtsstadt meiner Mutter zurückzogen und wir auf einmal wieder alleine waren. In meinem Umfeld erlebte ich stets heteronormative Familienmodelle à drei bis vier Personen. Traumvorstellungen von einem solchen Gespann spickten meine Visionen von einer heilen Welt, gerade dann, wenn es in unserem zwei-Frauen-Haushalt mal wieder zu Reibereien kam. Und davon gab es genug.

Ich würde meiner Mama trotzdem nie etwas vorwerfen und kann heute verstehen, dass alle meine Erwartungen an eine heile Welt, an meine Familienvision von Damals, auch in Bezug auf meine Zukunft, konstruiert waren und gar nicht von mir ausgingen, sondern von der Umwelt, die propagiert, dass es innerhalb der Familiengemeinschaft vermeintlich immer richtig gut läuft – so wie wir die Situationen aus Büchern und Filmen kennen. Meinen Stiefvater habe ich vermisst bis ich ein Teenager war.

[typedjs]Auch wenn es an dem "Mutter-Vater-Kind"-Bild per se nichts auszusetzen gibt, müssen wir uns der Auswirkungen bewusst werden, die die Illusion von diesem Konstrukt auf unsere Träume und Wünsche hat - und haben wird.[/typedjs]

Da war ich oft sauer und verwirrt, vor allem von dem Umstand, dass es gerade uns getrofffen hat. Sowohl die Geldsorge als auch das Ungleichgewicht waren wieder präsent. Briefkontakt haben wir nie gehalten, klägliche Besuchsversuche verliefen nach den Jahren ins Leere und irgendwann war er dann raus aus unserer Blase und wir wieder vollkommen zu zweit. Quasi bis heute, weil neue Partner für sie in unserem zusammenleben schwierig waren und dass, obwohl ich mich nach Stetigkeit und einem Happy End sehnte. Trotzdem war es irgendwann einfach ok. Weil wir es gewuppt haben, obwohl ich bestimmt noch heute ein Päckchen mit mir herumtrage, aber nur ein kleines. Ich kann retrospektiv mit dem Verlust, aber auch der unsteten Jugend gut umgehen. Und das, während sich meine Mutter über Jahre tierisch unter Druck gesetzt hat. Wahrscheinlich bis heute. Familie, das bleibt für mich individuell und wandelbar. Familie ist für mich mehr die Vision von einer staatlich subventionierten Funktionsgemeinschaft, aus der alle fallen, die nicht in den gelebten Hollywoodfilm passen. Auch wenn es an dem „Mutter-Vater-Kind“-Bild per se nichts auszusetzen gibt, müssen wir uns der Auswirkungen bewusst werden, die die Illusion von diesem Konstrukt auf unsere Träume und Wünsche hat – und haben wird.

Julia, 29 aus Berlin

Als „Bonusmutter“ versteht man eine Frau, die mit dem leiblichen Vater eines Kindes liiert ist und neben der leiblichen Mutter eine fürsorgliche Rolle einnimmt.

Für mich gibt es im allgemeinen Sprachgebrauch keine passende Bezeichnung. Wenn Robyn mich vorstellen möchte oder anderen von mir erzählt, stößt sie oft auf Unverständnis und auf eine Reihe von zum Teil sehr persönlicher und übergriffiger Fragen. Das Wort, das für Verwirrung bei vielen Erstklässlern und ihren Eltern, bei Kassierer*innen oder Nachbar*innen sorgt, lautet: Bonusmama. Wie sollte sie mich sonst nennen? Stiefmutter? Die Frau von meinem Papa? Julia? Nichts davon kann das Verhältnis, das wir beide zueinander haben, annähernd beschreiben. Bonusmama trifft es einfach am besten. Schließlich hat Robyn eine Mama, die sie liebt und die sich die Hälfte der Woche um sie kümmert. Genau so wie ihr Papa – und ich eben. Ich gehöre seit ihrem dritten Lebensjahr auch dazu. On Top. Extra. Bonus halt. Zur Welt habe ich sie nicht gebracht. Das bestreite ich auch gar nicht. Nur: Ich lebe mit ihr zusammen und bin für sie da: Wenn sie Angst hat. Wenn sie sich übergeben muss. Wenn sie traurig ist. Und natürlich auch in allen schönen Momenten. Ich bin keine Stiefmutter, die ihre Stieftochter Linsen aus der Asche lesen lässt oder sie aufs englische Internat schickt, um mit ihrem Vater ein neues, luxuriöses Leben zu beginnen. Ich bin eine Bonusmama, die ihr Bonuskind lieb hat. Mich gibt es nicht, weil ich einer anderen Frau ihr Kind wegnehmen möchte, sondern weil es sich einfach so ergeben hat. Patchworkfamilien sind so alt wie die Menschheit selbst. Mutter-Vater-Kind als DIE gesellschaftliche Norm, hat es doch nie wirklich gegeben. Es wurde in vielen Familien nur vordergründig so getan, während die tatsächlichen Verhältnisse häufig offene Geheimnisse waren, die bloß keiner ansprechen durfte. Partnerschaften gehen in die Brüche. Manch ein One-Night-Stand hat Folgen. Und dann geht das Leben weiter. Die Gesellschaft ist diesbezüglich zum Glück offener geworden. Es ist an der Zeit, treffende Begriffe für die Rollen innerhalb von Familien zu finden und auch zu gebrauchen. Darüber hinaus sollten wir uns von solchen Worten verabschieden, die bekannt und gebräuchlich sind, jedoch negative Konnotationen haben. Hierbei geht es mir nicht primär um Korrektheit, sondern um die Gefühle vieler Menschen, die etwas ganz gewöhnliches und alltägliches – nämlich eine positive Beziehung zueinander – ständig erklären und zum Teil sogar rechtfertigen müssen.

Zeynep, 36 aus München

Unsere Situation könnte komplexer nicht klingen. Gegenüber großen Familien herrscht in unserer Gesellschaft oftmals nicht nur ein grundsätzliches Unverständnis, vielmehr dominiert Skepsis oder ein großes WOW. Zur Erklärung: Aus meiner früheren Ehe habe ich drei Kinder in meine aktuelle Beziehung mitgebracht. L. F. und K sind heute 10, 7 und 4. Richtige Menschen mit Bedürfnissen und ausgeprägten Charakteren also. Als ich Nadja kennenlernte war sie noch nicht lange Mutter und gerade schwanger mit Kind Nummer zwei. Vor 3 Jahren war ihre kleine Tochter kaum ein Jahr alt, ihre Beziehung gerade zerbrochen und sie selbst auf dem Weg in eine eigene Wohnung – mit dem alleinigen Sorgerecht. Das Chaos nahm seinen Lauf. Vor allem, weil ich mich gerade erst auf unser Leben zu viert, als kleine Familie, als alleinige Mama, eingestellt hatte. Ich organisierte alles: Ohne Festanstellung, dafür aber trotzdem mit einem ausgeprägten Supportnetzwerk, das mich mit meinem Jüngsten unterstützte, und den Abhol- und Bringdienst übernehmen konnte. Ich hatte das Gefühl, nach einer haarsträubenden Trennung und einem chaotischen 2015 wieder auf festen Beinen zu stehen. Und auch meine Familie hatte den Umbruch vorerst verkraftet.

Nadja und ich fingen langsam an. Gemeinsame Treffen auf dem Spielplatz, viel Zeit bei uns und bei ihr, irgendwann ein kleiner Urlaub als das Baby zur Welt kam. Was in der Theorie smart und vorsichtig klingt, war für alle ein riesiges Projekt. Ich habe es unterschätzt, wie meine Kinder die Umstellung trotz ihres doch recht jungen Alters wahrnahmen und die neue Situation sogar teilweise als Bedrohung einstuften. Und dann auch noch ein Neugeborenes, wo meine Ältesten doch gerade endgültig mit Babygeschrei und Windelmüll abgeschlossen hatten. Ich hatte Visionen im Kopf von zickigen Teenagern und knallenden Türen, nicht jedoch von schlechten Beurteilungen in der zweiten Klassenstufe und Wut im Bauch gegenüber mir und der Neuen, die da mit Kindern einmal pro Woche vor meiner Tür stand. Auch weil alle eine Weile gebraucht haben, um ihre heteronormative Familienprägung über Bord zu Werfen und Nadia und mich als zwei familienführende Frauen verstehen zu lernen. Das klassische Modell, eine Vaterfigur, war ihnen vertraut. Zwei Mamas? Eine Mama und eine – ja , was? Liebste Freundin? Liebste Nadja? Mama 1 und 2 hat für meine Kinder bis heute noch nicht gut funktioniert.

Zeitweise schien es unlösbar – auch räumlich. Wir wussten nach zwei Jahren intensiver Zeit, Übernachtungs-Wirrwar und Hin und Her noch immer nicht, wie man die für alle Beteiligten eine bestmögliche Lösung kreiert. Neuer Wohnraum für alle und ein frischer Start? Ein geteiltes Kinderzimmer für die Kleinsten? Vielleicht die Zelte in der Heimatstadt abbrechen und woanders ein Jetzt und ein Morgen aufbauen? Gleichzeitig träumte ich von der Wiederaufnahme meines Berufes, von einer Partnerin die bereit ist, mich Zuhause zu unterstützen und auch gegen weiteren Familienzuwachs nichts einzuwenden hat.

Auf Pläne folgten Taten: Seit einem halben Jahr nun wohnen wir zusammen. In einem neuen Heim für uns alle, in vier Wänden, die Platz für ein neues Wir haben. Und das Wir ist kantig und komplex, aber es läuft. Für mich vielleicht sogar besser als für sie. Letztendlich kenne ich ihre Kinder seit dem sie sehr klein sind. Beiden fehlen, anders als bei meinen Kindern, enge, elternähnliche Bezugspersonen und mir war es ein Leichtes, einen wichtigen Teil in ihrem Leben einzunehmen. Bei meinen Älteren ist es ein wenig anders. Es gibt Reibereien hier und da und auch noch lebhafte Erinnerungen an früher, sowie ein bisschen Wut auf Papa, sofern er sich mal wieder nicht meldet. Dennoch ist heute alles ausbalancierter und verläuft nicht mehr in Intervallen. Es fühlt sich wieder alles nach Familie an, nach Alltag und nach Stetigkeit. Ich arbeite heute Vollzeit, Nadja freischaffend und wir sind beruflich und familiär komplett ausgelastet. Ich glaube, wir haben Glück gehabt, denn heute kann ich sagen, dass ich glücklich bin und einschätzen, dass meine Kinder die Situation als „normal“ einstufen. Ganz normal, dass es zwei Geschwister als extra gibt, ganz normal, dass Nadja hier und da die Paddel übernimmt und mit mir an einem Strang zieht. Fast normal, dass da fast nur Frauen in einem Haus leben. Respekt habe ich vor der näherrückenden Teenagerzeit meines Ältesten. Es bleibt also stürmisch. Wir bereiten uns also langsam darauf vor, dass sich in naher Zukunft wieder einiges ändern kann.

Maria, 24, Berlin
„Drei Kinder von fünf unterschiedlichen, biologischen Eltern“

Als ich elf Jahren war, hat mein Vater Sabine geheiratet, mit der er zwei Jahre später meinen damals acht Monate alten Pflegebruder Melvin aufgenommen und meine Halbschwester Clara bekommen hat. Unsere Patchworkmischung bedeutet also: Drei Kinder von fünf unterschiedlichen, biologischen Eltern. Fragen, die uns seitdem begleiten, drehen sich um Zugehörigkeiten und darum, wer das Recht hat, wen zu erziehen – oder: Welche Supportsysteme uns helfen können, um die Hürden von Patchwork zu meistern. Mein Supportsystem war lange ein gelbes abschließbares Tagebuch, in das ich alles aufgeschrieben habe, was mich in unserer Familie hat verzweifeln lassen – immer dann, wenn ich nicht wusste, mit wem ich über meine Schwierigkeiten sprechen sollte, weil ich niemanden kannte, der in einer Situation wie meiner steckte.

Mittlerweile wohne ich weit weg und blicke auch mit Abstand auf die Situation meiner Familie. Ich bin irgendwo zwischen Familienmitglied und Gast, wenn ich nach Hause komme. Genauso geht es Melvin, meinem Pflegebruder. Er ist jetzt elf Jahre alt, lebt seit zwei Jahren in einer Wohngemeinschaft und wir wissen nicht, wie sein Kinderzimmer aussieht. Aber ich sehe, dass er sich neue Identitätskonzepte aneignet: Wenn wir Geschwister zusammenkommen, rappt er uns nach einer Umarmung Texte von Kontra K vor. Neulich kam er mit dem Ohrwurm „Scheiße, in meinem Keller liegt ‘ne Leiche“ von SDP nach Hause. Weil „Klowörter“ bei Sabine und meinem Vater verboten sind, hat Clara dann daraus gedichtet: „Miste, in meinem Keller liegt ‘ne Kiste“. Das ist wohl eins unserer besten Talente geworden, wenn es um unser Zusammenleben geht – die Unterschiede unserer Welten übersetzen und erkennen, wo wir trotzdem Gemeinsamkeiten haben. Mein Bruder liebt Deutschrap, weil darin Geschichten erzählt werden, also sucht mein Vater nach deutschen Liedern, die auch ohne Gewalt funktionieren: und landet bei Heino – naja, wir geben alle unser Bestes. Trotzdem bleiben Gräben, die sich nicht so schnell über Liedtexte überbrücken lassen. Ich werde traurig, wenn ich daran denke, dass Melvin jedes Geschenk bei uns lässt, aus Angst, dass in der Wohngemeinschaft kaputt gemacht wird und ich nicht weiß, ob Menschen in seinem näheren Umfeld sich darüber Gedanken machen, was es bedeutet, wenn man sich langsam immer seltener mit einer weißen Mehrheitsgesellschaft verbunden fühlt. Wenn ich an meine Schwester denke, hoffe ich, dass sie in ihrem Freund*innenkreis auch andere Familien mit Pflegekindern kennt. Denn es war irgendwie erleichternd, dass es damals in meiner Klasse ein Mädchen gab, die im Englischunterricht wusste, dass Pflegekind foster child heißt, als wir in irgendeiner Übung erklären mussten, wer zu unserer Familie gehört.

Bilder der Collage: Bobo Choses

Mariam, 41 aus Köln / Chicago

Als ich und Ava vor fünf Jahren nach Boston gezogen sind, war sie gerade drei Jahre alt. Ich hatte ganz schreckliche Angst. Ich hatte nicht nur keinen Job in Aussicht, einen wütenden Kindsvater in Deutschland und besorgte Großeltern auf der einen, ich hatte zudem eine Sprachbarriere, zwei Teenager „Stieftöchter“, einen Stiefsohn mit sechs und einen mit vier, sowie ein riesiges Paket an Sorgen auf der anderen Seite. Die andere Seite war dann auch noch wirklich weit weg. Es fühlte sich alles nach „kein Zurück an“ und ich war damals mutig und egoistisch zugleich. Ich wusste, dass ich es wollte. Mehr nicht. Ich habe mich aktiv für mich entschieden, aktiv für meine Beziehung und meine Verliebtheit und gleichzeitig gegen mein inneres Bedürfnis nach einem möglichst unkomplizierten Leben gehandelt. Bloß nicht auffallen. Bloß nicht aus der Reihe tanzen. Und dann bin ich einfach abgedampft. Es war von Anfang an ein großes Chaos. Alle Annäherungsversuche, die unter normalen Umständen schon kompliziert erscheinen, waren bei uns quasi ein Drahtseilakt, verbunden mit Urlaub und dreiwöchiger Intensivzeit. Und als wir dann langsam eine Routine hatten, wurde alles plötzlich ganz einfach. Fast zu schön und ich wartete auf den Haken. Ich habe bis heute das Gefühl, dass sich Daniels Kinder so sehr eine intakte Bilderbuchfamilie gewünscht haben, dass sie schon in richtig jungen Jahren ganz erwachsen und vernünftig waren, als sie mich kennenlernten. Irgendwie gab es da wenig Teenager-Gezeter und „Du bist nicht meine Mutter“ Gehabe, so wie man sich das immer ausmalt. Vielleicht aber auch, weil Mutter Felice schon lange nicht mehr in ihrem leben stattfand und sie gemerkt haben, 

was für eine gute Energie wir zusammen haben können. Seit einem Jahr nun fühle ich mich noch etwas mehr angekommen. Community und Freundschaft, Rückhalt und Kaffeeklatsch kann man hier erstmal vergessen. Die Familie ist angewiesen auf meine Zeit, ich bin angewiesen auf ein Auto. Ohne vier Räder würde hier nichts funktionieren, vor allem nicht für die Kinder, die Schule, den Sport und die Kita. Und mal eben „in die Stadt“ zum Lunchen? Das, was ich mit Ava hatte, war etwas ganz anderes. Von Teilzeit auf Hausfrau „runterschrauben“ hat mich viel Kraft gekostet, meinem Ego aber gut getan. Ich weiß jetzt, was so viele Frauen auf der Welt leisten, die ich vorher immer etwas spöttisch von der Seite angeguckt habe, obwohl ich es besser wusste und darüber viel las. Trotzdem war ich arrogant und weiß es heute besser. Erfüllt bin ich, wer hätte das gedacht. Obwohl ich mir niemals eine Großfamilie gewünscht habe, geschweige denn Auswandern in Betracht gezogen hätte, fühle ich mich in diesem Haus, mit genau diesen Kindern unheimlich wohl und mindestens genau so erfüllt wie in meiner Heimatstadt. Wann ich zurückkomme, werde ich heute noch oft gefragt, ob es mich zurückzieht. Und vielleicht kann ich darauf irgendwann eine klare Antwort finden. Vielleicht, wenn die Zwillinge aus dem Haus sind, vielleicht wenn mein Mann nicht mehr arbeiten will. Vielleicht auch nie. Wir werden sehen. Erstmal bin ich recht zufrieden. Erstmal kann es so weitergehen.

Collage: © Balenciaga Menswear 2018 / © GucciResort 2019

2 Kommentare

  1. Petra von FrauGenial

    Ein wirklich tolles Portrait, welches der Gesellschaft zeigt: Patchwork klappt doch. Es bedarf nur eine Menge Arbeit, die man nicht unterschätzen darf, gegenseitiges Verständnis und Akzeptanz und vor allem der Wille, das es klappt. Schließlich ist Patchwork so ein dynamisches konstrukt welches nicht viel anders ist als Familie fernab von Patchwork. Und klar kann es in Patchwork Familien natürlich auch mal laut werden, gebraucht es einer reibungslosen Planung, aber ist das auch nicht so in Familien ohne Patchwork Zweigen? Ich finde es zudem mutig, wie Mariam ins Patchwork Familien Leben fand, sondern es direkt ins Ausland geht. Ich galube so eine Kraft hätte ich nicht aufbringen können. Dafür vollsten Respekt, aber natürlich Respekt an allen Frauen für das Meistern des Patchwork Leben. Denn Hausfrauen sind es keineswegs, sondern Familienmanagerinnen

    Antworten
  2. milaxnuts

    „Der Schlüssel?“ — naturordnung.

    bilanz in allen vier dimensionen: gender tempo mood age.

    acht eltern + acht kinder.
    acht = eine generation = vier elemente mal zwei gender.
    alle acht kinder müssen gleich alt sein —-> harem breeding.

    blutverwandte sind erst in zweiter generation auch geistverwandt.
    gebähreltern sind nur versorger, großeltern sind erzieher.

    statt geistverwandten großeltern
    können aber auch geistverwandte „paten“ als erzieher wirken.

    nix verstanden? tja …. besser wärs fürs „paradies auf erden“

    warum soll man psychologie-soziologie-mentalchemie
    nicht auch konstruktiv nutzen?

    und nicht nur zum verteidigen der eigenen armut-vorurteile-sklavenmoral
    was sich nur für introverts-melancholiker-masochisten „richtig“ anfühlt
    die sich mit dieser „bad taste fashion“ abgrenzen wollen
    von den „bösen“ extraverts-sensoren-kritikern-anspruchvollen-selbstwerten
    — fas-cism als endloser ausbruchsversuch aus dem gefängnis „kleinfamilie“
    — und paten-erzieher-großeltern-enkel brauchen immer „same mood“

    aber am nächsten morgen klingelt der sektenbeauftragte
    und lässt mit freundlich-hilfreicher-gewalt die kommune stürmen
    und lässt die armen-armen kinder einzeln bei „gesunden“ familien unterbringen

    denn naturordnung und herrenmoral sind privileg für reiche leute …. nein?
    wenn man „sowas“ macht
    [kleinstaat, sekte, tribe, stamm, personenkult, freikloster, gallier-dorf],
    dann muss das konzept-grundordnung-fundament von anfang an öffentlich sein,
    dann habens die weissen lügner und rufmörder nicht mehr ganz so leicht,
    mit ihrer unterstellung von „chaos-wildnis-verrohung-barbarei“

    denn immerhin hat *jeder* mensch ein recht auf entfaltung der *eigenen* persönlichkeit,
    und damit auch ein recht auf aktiven widerstand gegen falsche erzieher,
    die „ihren“ kindern fremde persönlichkeiten aufzwingen wollen,
    vor allem wenn gebähreltern sich mal wieder als großeltern aufspielen wollen,
    und ihre alltags-dramen in ihrer „privat spähre“ verstecken dürfen.

    mind over matter! gefühl ist alles.

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