Heute Nacht wurde ich von einer Maus angeknabbert aus deren Hintern ein Kabel kam und das ist nicht gelogen, mitten in die Nase hat sich mich gebissen, dann bin ich aufgewacht. Seit ein paar Stunden glaube ich also an Traumdeutung und die Macht der schläfrigen Gedanken, es ist schließlich offensichtlich, welche Angst mich da ganz keck und überhaupt nicht subtil heimzusuchen versuchte: Die vor dem ersten Wort. Vor der gähnenden Leere. Davor, dass alles, was ich mal konnte, möglicherweise wie weggeblasen ist.
Als ich eben zur Arbeit ging, zum ersten Mal seit zwei Monaten, wurde mir deshalb ganz übel. Geistesabwesend befürchtete ich für einen kurzen Augenblick, dieses flaue Gefühl im Magen könne das erste Anzeichen einer Frühschwangerschaft sein, was in Wahrheit kompletter Quatsch war, hatte ich schlappe drei Tage zuvor doch erst hochroten Kopfes über das Universum und meinen Uterus geschimpft als gäbe es kein Morgen mehr. Ersteres legt mir derzeit nämlich ein Ei nach dem nächsten. Selbstverständlich auch das Perioden-Ei, zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt – Pünktlich zum Antritt meines überteuerten Geburtstagsausflugs in ein dekadentes Brandenburger Spa Resort mit Kaminfeuer am Pool nämlich, auf dessen Sauna-Bänken ich mich folglich samt Menstruations-Cup gen 31 Lebensjahre räkelte und gleichzeitig gespannt abwartete, ob die Dinger bei 80 Grad zu schmelzen anfangen. Die Antwort lautet: Nein. Andere Fragen hingegen blieben bestehen. Zum Beispiel: Wie schafft man es eigentlich, einen Neuanfang nicht zu verkacken? Vielleicht ja gar nicht. Ich gebe mir dennoch allergrößte Mühe. Sonst war all die Wassergymnastik am Ende noch umsonst, was unerträglich wäre, man denke bloß mal daran, dass ich während der vergangenen Wochen regelmäßig und unter Anleitung auf einer Wassernudel geritten bin, die ich mir als bockiges Seepferchen vorstellen sollte. Und mit den Händen immer fest den Hals umschlingen, sonst kippt ihr um. Ja, so war das. 30 Tage lang.
Doppelt so lange habe ich jetzt, mit ein paar wenigen Ausnahmen, keinen einzigen Satz geschrieben. Du musst dir und deinem Körper Zeit geben, haben sie schließlich gesagt, was sehr umsichtig war. Dabei passte mir derart viel Verständnis überhaupt nicht in den Kram, anfangs wünschte ich mir sogar nichts sehnlicher als einen wütenden Mob herbei, der mich schleunigst aus dem Krankenhaus befreien und meinetwegen auch mit meinem nackten Arsch an den Schreibtischstuhl kleben möge, der acht Jahre lang, seit meinem 22. Lebensjahr, sowas wie die Wiege meines Egos war. Wegen ihm war ich nicht einmal in Babypause gegangen. Mit allem, was ich hatte, wollte ich mich auch gegen diese neue Zwangspause wehren, aber das war nicht mehr viel und auf keinen Fall genug. Nicht genug Hirn war übrig, nicht genug Energie und auch nicht genug Rücken, der mir auch deshalb richtig kaputt gegangen war, weil ich es nicht wahrhaben und keine Pause machen wollte. Wegen drei vermatschten Bandscheiben und einem zum Glück gutartigen, naja sagen wir mal „Knoten“, der ein bisschen zu energisch mit dem Rückenmark kuschelte und durch ein Lock im Knochen heraus gezogen werden musste, weshalb das linke Bein prompt einen auf beleidigte Leberwurst machte und sich sodann dazu entschloss, ein paar Wochen lang zu pennen. Schwamm drüber, ich hätte es genau so gemacht. Ging nur leider nicht.
Stattdessen ackerte ich tagein, tagaus in der Wirbelsäulengruppe „Rot“ wie ein Regenwurm für eine bessere Haltung, lernte lustige, laute und leise Menschen aus aller Welt kennen, die irgendwann zu Vertrauten auf Zeit wurden und von wilden Geschichten genauso erzählten wie vom Krieg und von Familien und uralter Liebe, ich verrenkte mich wie eine Anemone, um schnarchende Nerven zu bezirzen, stemmte Gewichte für eine stolze und aufrechte Muskulatur, versuchte Kraft meiner Gedanken Schmerzen in das Gefühl von warmem Sand auf nackter Haut zu verwandeln und lernte nicht nur die quirligen Stromwellen der Elektrotherapie und die Sache mit den Schwimmnudeln lieben, sondern außerdem, dass „Faszie“ im Grunde auch nur ein geileres Wort für „Bindegewebe“ ist, das dem Kapitalismus in die Karten spielt – ich kenne jedenfalls keinen, der eine Bindegewebsrolle besitzt. Das klingt jetzt vielleicht alles ein bisschen ulkig und auch undankbar, dabei glaube ich inzwischen fest daran, dass mir überhaupt nichts Besseres passieren konnte. Manchmal denke ich sogar, dass mir die Lämpchen nur durchgebrannt sind, damit nichts Schlimmeres passiert. Sagt jedenfalls die Therapeutin, deren Lieblingswort schätzungsweise „Erschöpfungsdepression“ ist. Sie sagt außerdem: Burnout ist keine medizinische Diagnose und dass wir ein bisschen vorsichtiger mit diesem Begriff umgehen sollten.
Scherze helfen (mir) bei fast allem, aber in Wahrheit war mir zum ersten Mal über einen längeren Zeitraum tendenziell nach weinen und überhaupt nicht nach lachen zumute. Seht ihr, jetzt versuche ich es schon wieder: Mir war nicht nur nach weinen und Wein zumute. Ich habe wirklich geweint und zwar viel und laut und lange. Wie eine Fontäne ist es da aus mir raus gesprudelt, mit der Wucht eines Donnerschlags, der mir auf die Brust drückte, als wäre Atmen nie wieder möglich. Ich wusste nicht mehr, wie das geht. Das Liegen und Sein ohne Produktivität im Nacken. Hatte vergessen, wie man sich mag, wenn man einfach nur da ist und überhaupt nichts leistet außer Selbstverständliches: Nett sein und sowas. Das ist schließlich das Mindeste. Aber wer bin ich, wenn ich nicht mache, womit ich sonst doch immer die Tage gefüllt habe? Was soll ich tun, wenn ich nicht mehr arbeiten kann? Wer kümmert sich um Lio? Ich wusste die einfachsten Dinge nicht mehr als ich in der Waagerechten liegend beinahe verrückt geworden wäre, auch, weil ich nunmal kaum anderes tun konnte als nachzudenken, was fatal war, weil mir Denken allein ja schon schwer fiel. Jetzt, wo der erste Schritt gemacht ist, weiß ich, dass es wichtig war, fast ganz unten anzukommen. Oder besser: Zu kapieren, dass ich fast ganz unten war. Dass sich Einiges ändern muss. Nein, dass ich einiges ändern muss. Und auch ein bisschen neu anfangen. Es durchziehen. Und nicht dumm sein. Frau van Dinther, das war allerhöchste Eisenbahn und wenn ihr Körper wieder steht wie ne Eins, täten Sie gut daran, den Herrn Lebenswandel zu sich einzuladen, damit der mal ordentlich ihre Birne aufräumt, kapiert? Die Ärztin klang lustig, meinte es aber schweineernst. Auch wenn ich ihre Art nicht auf Anhieb mochte, schwant mir inzwischen: Eigentlich sind wir zwei gar nicht so verschieden.
( Danke an meine große Liebe Sarah, an Sissy, Fabienne, Julia, Ori, Julia K. und Alexandra, die zusammen das klügste, liebste & schönste Jane Wayne Team aller Zeiten sind und zwei Monate lang für mich mitgearbeitet haben – ihr seid Heldinnen. Ohne eure Unterstützung hätte ich den Kopf spätestens jetzt in den Sand gesteckt.)