Sheila Heti hat neulich wieder ein Buch geschrieben: Motherhood. Eines, das es so tatsächlich noch nicht gab. Gegen das Muttersein, sagen die einen. Für Vernunftsentscheidungen, behaupte ich. Viele meiner Freundinnen haben über die Zeilen der kanadischen Autorin geschimpft. Ich habe jede Seite verehrt, mehr als 300 an der Zahl – obwohl ich diese eine wichtige Entscheidung, um die sich der autofiktiven Roman kreist, längst nicht mehr treffen kann.
Ich bin verhältnismäßig früh Mutter geworden, mit 26, niemand sonst im Freundeskreis hatte zu diesem Zeitpunkt auch nur im Entferntesten einen Gedanken an Elternschaft verschwendet, jedenfalls nicht so konkret, dass ich mich heute daran erinnern würde. Vielleicht wollte ich deshalb so sehr daran glauben, dass sich nach Geburt meines eigenen ersten Kindes wirklich rein gar nichts ändern würde, oder zumindest so gut wie nichts. Heute ist klar: Pustekuchen. Am ersten Geburtstag meines Sohnes hatte ich den Ernst der Lage trotzdem noch immer nicht begriffen, nicht kapiert, dass eben doch nicht alles so weitergeht wie zuvor, das mit der Arbeit zum Beispiel, die mich meist bis in die Nacht hinein begleitete, nein, ich war unbekümmert und hoffnungsvoll und ging fest davon aus, dass es ab sofort ohnehin immer leichter werden würde. Mit den ersten Schritten, den ersten Worten und einem sich schärfenden Verstand. Aber das wurde es nicht. Es wurde nicht leichter, aber zweifelsohne schöner, mit jedem Monat, weil ich noch nie sonderlich beeindruckt von Babies gewesen bin, oder zumindest nicht ganz so entzückt wie die Gesellschaft es gefühlt bis heute von mir erwartet. Ich weiß noch ganz genau, dass ich nicht müde wurde, immer wieder Scherze darüber zu machen, dass es mir womöglich an ein paar ausschlaggebenden Hormonen mangeln würde. Ehrlich gesagt mache ich es ständig so. Um den Leuten den garstigen Wind aus den Segeln zu nehmen, um mich schuldig zu bekennen bevor es andere (vielleicht auch überhaupt nicht) tun, um einen vermeintlichen Fehler in meinem weiblichen System offenzulegen, wann immer ich tatsächlich nicht über das Schreien eines Säuglings hinweg hören kann, sondern mich ein kleines bisschen von der Geräuschquelle entferne, wenn ich sage, dass eine Geburt mir zuweilen und je nach Stimmung auch mal fürchterlich absurd und angsteinflößend und grausam vorkommt und ich außerdem spüre und dann manchmal auch erkläre, dass ich mit großer Wahrscheinlichkeit kinderlos und bis in die Abendstunden hinein schreibend genau so glücklich wäre wie ich es heute mit einem 4-jährigen Sohn an meiner Seite bin, der mir beigebracht hat, so etwas wie eine innere Balance zu finden und bis ins Mark zu lieben. Gewiss wäre dieses andere Glück nicht dasselbe, aber unvollständig oder gar halb würde ich mich ganz sicher nicht fühlen, ich bin schließlich immer schon ein ganzer Mensch gewesen.
Manche erschrecken bei den vorausgegangenen Worten aus meinem Mund, die mir selbst überaus gesund und natürlich vorkommen. Vielleicht denken sie, ich würde das Mamasein bereuen, Stichpunkt #RegrettingMotherhood, was keinesfalls verurteilenswert, aber ein ganz anderes Kapitel wäre, denn so ist es nicht. Ich mag es sehr, wenn auch nicht ausnahmslos und permanent, so wie alle, die wissen, was es bedeutet, einen anderen Menschen großzuziehen. Ich bin es bloß satt, mich immer wieder ganz automatisch dafür zu rechtfertigen, dass es niemals ein „Traum“ von mir war, selbst Mutter zu werden, auch als kleines Mädchen nicht. Sondern nur eine wunderbare Möglichkeit von vielen. Ich bin es leid, in verstörte Augen zu blicken, während ich aufrichtig von den vielen Kompromissen spreche, die mir die Zwickmühle zwischen Selbstbestimmung und Löwenliebe beschert, oder wenn ich hin und wieder dieser vergangenen unendlichen Freiheit des Alleinseins hinterher trauere. Ich bin sogar richtig sauer. Obwohl und gerade weil ich Mutter bin. Aber eben: Auch Mutter. Nicht zuallererst Mutter. Ich bin wütend auf eine Gesellschaft, die meinen gewollt kinderlosen Freundinnen weismachen zu versucht, sie seien Mängelwesen. Ich werde traurig, wenn ich merke, dass sie sich manchmal sogar selbst so sehen, durch die Augen all jener, die sich denken: Mit denen stimmt doch etwas nicht. Und alles, weil Mutterschaft noch immer als das Nonplusultra, als natürlichste aller Aufgaben, die eine Frau offenbar noch immer zu erfüllen hat, angesehen wird. Sheila Heti schreibt in ihrem autofiktiven Roman: „Männer wirken auf andere Männer, als seien sie mit etwas davongekommen, wenn sie keine Kinder haben. Eine Frau aber, die sich dem Kinderkriegen entzieht, wirkt, als hätte sie nichts zu tun im Leben. Es ist ein Gefühl, als sei man keine vollwertige Frau.“ Die Rechnung geht auch 2019 noch auf, obwohl an ihr einiges faul ist.
Mutterschaft kann das Nonplusultra sein. Sie darf uns erfüllen. Sie muss aber nicht. Gerade das macht sie doch so wunderbar: Wir dürfen selbst entscheiden, ob wir sie annehmen, leben und erfahren wollen. Oder ob wir uns ihr bewusst entziehen (ich schreibe an dieser Stelle absichtlich nicht vom Verzicht, denn verzichten müssen wir alle, ob Mutter oder nicht). Denn nein, Frauen, die ganz bewusst und gewollt keine Kinder haben (wollen), sind mit Sicherheit keine „unnormalen“, herzlosen Mängelwesen. Sie haben vielmehr eine sehr bewusste, wichtige Entscheidung getroffen. Meist lange und gut über ebenjene nachgedacht. Sollten wir das nicht alle tun? Nachdenken? Erstmal herausfinden, was wir vom Leben erwarten? Gut möglich, meine ich.
Über „Mutterschaft“ von Sheila Heti:
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Aber tun das eigentlich auch jene unter uns, die eigentlich sicher sind, Mutter werden zu wollen? Hinterfragen sie?Taten es die, die längst welche sind? Tat ich es? Ihr? Viele ganz bestimmt. Viele aber auch nicht. Weil das Kinderkriegen oft einfach „passiert“, weil es eine logische Konsequenz ist, die wie selbstverständlich dazu gehört, in etwa wie das Zusammenziehen, wenn man nur lang genug ein Paar ist. Und dann ist da noch die Sache mit der inneren Uhr, von der so viele Frauen sprechen und die in meinem Fall vielleicht nur deshalb stumm bleibt, weil ich Mama wurde, bevor ich je den Wunsch danach verspürt habe. Und: Dieses „Ticken“ ist ja kein Phänomen, das ausschließlich das potenziell erste Kind betrifft. Viele Frauen verspüren irgendwann den Wunsch nach einem zweiten oder dritten Kind, einige können genau benennen, weshalb, andere sagen: „Ich weiß nicht warum, es ist einfach so ein Gefühl.“ Ich werde dann immer ganz ruhig. Vielleicht bin ich sogar kurz enttäuscht, weil mir der Verstand doch so kostbar vorkommt. Genau wie das stärker und klüger und selbstbestimmter sein als die Früchte unserer eingleisigen Sozialisierung, wie das Erhaben sein über all diese Hormone. Weil es mir schwer fällt, nachzuvollziehen, wie etwas so Großes und Veränderndes überhaupt ohne die vollständige Anwesenheit der Ratio beschlossen werden kann. Und dann erschrecke ich vor mir selbst. Denn möglicherweise liegt gerade in dieser Abwesenheit eine der letzten Verzauberungsmöglichkeiten unserer Gesellschaft verborgen. Die Frage „Will ich Kinder?“ bleibt am Ende ohnehin eine sehr persönliche, nach deren Antwort wir nur in uns selbst suchen können. Vielleicht ist das „Warum“ sogar unwichtig. Ich bin sowieso nicht sicher, ob man sich überhaupt sicher sein kann.
In meinem Fall ist aus einem überaus bestimmten „Ich will keine weiteren Kinder mehr“ inzwischen ein verwässertes „Will ich mehr Kinder?“ geworden. Das geht dann in etwa so: Auf keinen Fall, ich bin doch nicht irre! Unbedingt, es ist das Beste, was ich mir vorstellen kann! Morgen schon! Oder lieber in acht Jahren. Nein, doch nicht. Oder? Passen weitere Kinder denn in meinen Alltag? Zu unserem Leben? Bleiben wir ein Paar? Ist es uns das wert? Und was, wenn nicht? Am Ende steht er immer da und will unbedingt. Und ich ein bisschen. Denn eine eindeutige Antwort bekomme ich in meinem eigenen Kopf umher kreisend schon lange nicht mehr zu packen, zu viele Möglichkeiten scheinen mir ähnlich attraktiv zu sein, das Reisen mit nur einem Kind etwa und der ganze lustige Trubel mit ganz vielen. Reisen mit nur einem Kind? Wie langweilig. Trubel mit vielen Kindern? Ach du scheiße. Vielleicht habe ich Sheila Hetis autofiktiven Roman „Motherhood“ gerade deshalb so gerne gelesen.
Sheila selbst wurde auf den über 300 Seiten zu so etwas wie meiner Ersatz-Ratio. Zu dem Gehirn, das mir vor lauter Euphorie und Zukunftsmusik hin und wieder abhanden kommt. Sie justierte mit ihren mal zarten, mal harten Sätzen meine Wünsche und ordnete meine Gedanken durch ihre. Weil ich manchmal dachte: Genau! Und ein paar Seiten später: Nein, nein. Ich habe mich durch ihre Protagonistin, die in vielerlei Hinsicht die kanadische Autorin selbst ist, nicht selten selbst sprechen hören, um mich kurz darauf wieder vehement von allem Geschriebenen zu distanzieren. Man könnte auch sagen: Ich habe mich ein bisschen besser kennengelernt; durch die Waage zwischen empfundenem Zuspruch und aufkeimender Gegenwehr, denn beides wechselte sich im Minutentakt ab. Eines hat mich aber durch das gesamte Buch begleitet: Der unbedingte Wille, weder ihm zuliebe noch der Gesellschaft zuliebe meinen eigenen Egoismus kleiner zu machen als er ist und gleichzeitig darauf zu achten, nicht im dem mir so bekannten Sumpf aus Trotz zu versinken, der sowieso ständig dagegen ist. Ich will also doch nicht aufhören, mir diese eine Frage zu stellen, bis ich mir wirklich sicher bin. Sicher, dass ich ein zweites Kind will oder eben kein weiteres mehr. Oder beides irgendwie, heute so, morgen so. Und dann? Dann bin ich vielleicht irgendwann selbst diejenige, die ihr Hirn am Ende doch noch freiwillig über Bord wirft und die Dinge einfach passieren lässt. In der Gewissheit, dass manch ein Verlangen tatsächlich größer sein kann als jede Vernunft.