Die besten Bücher im April // Was heißt es, frei zu sein? Warum ist das Leben eins der Härtesten? Und wie geht Liebe im Digitalen Zeitalter?

09.04.2019 Buch, Kultur, box3

Während der vergangenen Wochen versuchte ich vehement mit etlichen Büchern gegen die bettlägerige Tristesse vorzugehen, auch meine spitzfindigen Freundinnen und Freunde haben mich mit Lesestoff der allerersten Sahne überhäuft. Ganz besonders begeistert war ich, aber das wisst ihr vielleicht schon längst, von Sheila Hetis neuestem Werk „Motherhood„, das nun außerdem ins Deutsche übersetzt wurde. Diese ganze Kinderthematik scheint, womöglich altersbedingt, gerade grundsätzlich von allen Seiten an mir zu knuspern, vor allem, weil ich eigentlich gar nicht vorhatte, überhaupt ein zweites Mal Mutter zu werden. Vielen Frauen in meinem Umfeld geht es da ähnlich, aber wer doch drüber nachdenkt, empfahl jüngst immer wieder einen kleinen Exkurs in Eva Corinos „Das Nacheinander-Prinzip“, denn auch das ahnten wir längst: Women still can’t have it all. Oder vielleicht doch? 

Virginia Woolf hätte zu Lebzeiten wahrscheinlicher heftiger mit dem Kopf geschüttelt als ein Hund mit dem Schwanz wedelt wenn’s um die Wurst geht. Das weiß ich aber erst wieder seit ich es endlich geschafft habe, ihr brilliantes Werk „Ein eigenes Zimmer“, das längst als Klassiker der Frauenbewegung gilt, endlich mit Sinn und Verstand zu lesen. Die wichtigste Quintessenz dieser mittlerweile 90 Jahre alten Worte lautet wohl: Nutze deine Chancen! Klingt profan, ist aber oft gar nicht so einfach umzusetzen. Fragt doch mal Silke, die sich mit ihrem depperten Exmann herumschlagen muss, Willy-Martin und seinen sabbernden Hund, Renate mit der eingefleischten Teleshopping-Sucht oder Frau Goebel, die sehr wahrscheinlich bald tot sein wird. Was die Vier eint ist nicht nur die Gesamtscheiße am Schuh, ein Haufen Tragik aber eben auch Komik (in Spiegelschrift), sondern vor allem ihre literarische Mutter, die grandiose Giulia Becker, die trotz ihrer Scheide scheiße gut schreibt – „Das Leben Ist Eins Der Härtesten“ macht, dass man sich vor Lachen fast übergeben muss. Sehr speziell und irgendwie auch zum Liebhaben ist zudem der manipulative Charakter des Geistesgestörten Eva in Angela Lehners „Vater Unser“ gezeichnet. Ganz anders als alles andere, was ich letzter Zeit gelesen habe, kommt diese kurzweilige Reise in ein Wiener Spital daher – einen besseren Grund dafür, sich über den eigenen Tellerrand zu schmeißen, gibt es derzeit wohl kaum. Höchstes das sprachliche Feuerwerk „Was dann nachher so schön fliegt“ oder Max Porters Roman „Lanny“, der eine einzige Warnung ist: Davor, was wir zu verlieren haben etwa. Wer stattdessen gewinnen will, zum Beispiel an Wissen und Durchblick und Poesie, der sollte im April außerdem etwas von Audre Lorde lesen, die sich selbst stets als ‘Black, lesbian, mother, warrior and poet’ zu umschreiben versuchte und uns bis heute dringend dazu auffordert, zu handeln – weil Schwiegen nunmal niemandem irgendetwas bringt. So oder so, am Ende bleibt uns ohnehin nur dieses eine Leben und das kostet bekanntlich mächtig was. Was, das weiß Deborah Levy. Die britische Schriftstellerin fragt sich in „The Cost of Life“ außerdem: Was heißt es, frei zu sein – als Künstlerin, als Frau, als Mutter oder Tochter? Und was ist der Preis dieser Freiheit? Das wüssten wir auch wirklich, wirklich gern.

 

Erschienen bei Galiani-Berlin, hier erhältlich.

Ein Roman, der im Leben wühlt, ein Buch über die Leidenschaft fürs Schreiben, die Schönheit der Chance und die Liebe zur Literatur. Das literarische Debüt von Hilmar Klute (Streiflicht, SZ), voller Sätze, die man am liebsten immer wieder lesen möchte.
Ruhrgebiet, Mitte der achtziger Jahre: Volker Winterberg arbeitet als Zivildienstleistender im Seniorenheim und schreibt Gedichte. Er träumt davon, ein Dichter zu werden wie Peter Rühmkorf und die Leute von der Gruppe 47. Aber vorläufig muss er noch frühmorgens seine Alten für den Tag vorbereiten. Die übrige Zeit verbringt er trinkend, rauchend und schreibend in Kneipen, die Nächte öfter in fremden Betten.

Ein Kurztrip per Anhalter und ohne Geld nach Paris inspiriert ihn zu seinem bislang besten Gedicht, und dann gewinnt er die Teilnahme an einem Treffen für Nachwuchsschriftsteller in West-Berlin. In der geteilten Stadt lernt er Heiner Müller kennen, den jungen, eigentümlichen Dichter Thomas und vor allem Katja, die mit Volker Ausflüge an die Mauer macht und ihm nach seiner Rückkehr Liebesbriefe schreibt. Als Volker ein zweites Mal nach Berlin reist, beginnt ein turbulentes Abenteuer mit Katja und eine verwickelte Odyssee durch das alte West-Berlin.
Hilmar Klute schreibt in einer ganz eigenen, atmosphärisch dichten Sprache, und wie nebenbei erkundet er ein Panorama der deutschen Nachkriegsliteratur, wie man es noch nie gelesen hat.

Audre Lorde (1934-92) described herself as ‘Black, lesbian, mother, warrior, poet’. Born in New York, she had her first poem published while still at school and her last the year she died of cancer. Her extraordinary belief in the power of language – of speaking – to articulate selfhood, confront injustice and bring about change in the world remains as transformative today as it was then, and no less urgent. This edition brings Lorde’s essential poetry, speeches and essays, including ‘The Master’s Tools Will Never Dismantle the Master’s House’, together in one volume for the first time.

„I want to live the rest of my life, however long or short, with as much sweetness as I can decently manage, loving all the people I love, and doing as much as I can of the work I still have to do. I am going to write fire until it comes out of my ears, my eyes, my noseholes–everywhere. Until it’s every breath I breathe. I’m going to go out like a fucking meteor!” 

Erschienen bei Silver Press, auch hier erhältlich. Und auf Deutsch.

Erschienen bei Suhrkamp, auch hier erhältlich.

In diesem engagierten Ratgeber beschreibt Eva Corino die Gefahren des modernen Gleichzeitigkeitswahns sowie seine Alternativen. Und sie fordert: Damit wir alle Lebensphasen voll ausschöpfen und endlich ein schönes, erfülltes Familien- und Berufsleben haben können, muss die Gesellschaft umdenken und kostbare Schonzeiten schaffen. Vergessen wir bei all dem nie: Die Gesellschaft – das sind wir!

Die gute Nachricht: In den vergangenen fünfzig Jahren hat sich die Lebenserwartung von Frauen um 15 Jahre verlängert. Warum aber hetzen sie trotz ihrer gewonnenen Zeit immer schneller durchs Leben? Weil auch die Erwartung an sie gestiegen ist, nur leider auf ein ungesundes Maß. Kindererziehung, Fortbildung, Studium, Partner, Karriere, soziales Engagement – Frauen sollen und müssen heute selbstverständlich alles liefern und beherrschen, gleichzeitig, nebeneinander. Zeitmangel und Überforderung sind noch die harmlosen, das Scheitern von Beziehungen oder Burn-outs gravierende Folgen dieses neuen, gefährlichen Lebensmodells.
Ob Vierfachmutter, die sich am Laptop neu erfinden muss, Friseurin, Polizistin, Managerin, kreative Quereinsteigern – dieses Buch erzählt von ihren modernen Leben und privaten und beruflichen Anforderungen. Gemeinsam mit Experten aus Politik, Wirtschaft oder Soziologie analysiert die Autorin Erwerbsbiografien im digitalen Zeitalter. Erläutert die Vor- und Nachteile gehypter Phänomene wie »Mompreneurs«, deckt Risiken, aber auch versteckte Chancen in der derzeitigen Sozial- und Familienpolitik auf.

Sie weiß alles, sie kriegt alles, sie durchschaut jeden. Nur sich selbst durchschaut sie nicht: Eine Geistesgestörte, wie es sie noch nicht gegeben hat: hochkomisch und zutiefst manipulativ. 
Die Polizei hat sie hergebracht, in die psychiatrische Abteilung des alten Wiener Spitals. Nun erzählt sie dem Chefpsychiater Doktor Korb, warum es so kommen musste. Sie spricht vom Aufwachsen in der erzkatholischen Kärntner Dorfidylle. Vom Zusammenleben mit den Eltern und ihrem jüngeren Bruder Bernhard, den sie unbedingt retten will. Auf den Vater allerdings ist sie nicht gut zu sprechen. Töten will sie ihn am liebsten. Das behauptet sie zumindest. Denn manchmal ist die Frage nach Wahrheit oder Lüge selbst für den Leser nicht zu unterscheiden. In ihrem fulminanten Debüt lässt Angela Lehner eine Geistesgestörte auftreten, wie es sie noch nicht gegeben hat: hochkomisch, besserwisserisch und zutiefst manipulativ.

Angela Lehner, geboren 1987 in Klagenfurt, aufgewachsen in Osttirol, lebt in Berlin. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaft in Wien, Maynooth und Erlangen. U.a. nahm sie 2016 an der Prosawerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin und 2017 am Klagenfurter Häschenkurs teil. 2018 war sie Finalistin des Literaturpreises Floriana. „Vater unser“ ist ihr erster Roman.

Erschienen bei Hanser Berlin, hier erhältlich.

Erschienen im Rowohlt Verlag

Giulia Becker, Autorin beim Neo Magazin Royal, erzählt in ihrem Debütroman eine grandiose Geschichte voller Wärme und Humor, mit wunderbar wundersamen Charakteren. Vier Menschen stehen vor Problemen: Silke vor ihrem Exmann, Willy-Martin vor einem sabbernden Hund, Renate vor einem Berg Teleshopping-Impulskäufen und Frau Goebel vor dem Tod. Alle vier beschließen davonzulaufen; auf einem turbulenten Abenteuertrip vom beschaulichen Borken ins ostdeutsche Paradies Tropical Islands und zurück. Giulia Beckers Figuren bewegen sich in einer Welt, die zu viele Fallstricke legt und zu wenig Hauptgewinne zu verteilen hat. Sie verlieren viel, aber gewinnen einander, und welches Glück könnte größer sein? Und so fängt es an:

„Renate Gabor geht es schlecht. Vergangenen Freitag ist ihr Malteser-Mischling Mandarine Schatzi kopfüber in einer Punica-Flasche stecken geblieben und erstickt. Renate war für den Abend zum Sommerwendefest mit ihrer Zumba-Gruppe aus, und als sie zurückkam, war schon alles zu spät. Heute stand es in der Zeitung, für achtzig Euro hat sie eine Traueranzeige im Detmolder Kurier schalten lassen. Dort wurde Schatzi um 23 . 19 Uhr in der Tierarztpraxis Dr. Heidenoldendorf offiziell für tot erklärt, dort sollen die Leute von ihrem Tod erfahren. Seit Stunden sitzt Renate auf ihrer königsblauen Couchgarnitur und schaut auf das Foto in der Anzeige, Mandarine sieht darauf besonders bezaubernd aus. Sie trägt einen Bacardi-Hut.“

Als die 23-jährige Alice online auf die junge Schriftstellerin Mizuko stößt, fallen ihr in deren Lebenslauf merkwürdige Parallelen zu ihrem eigenen auf. Alice ist gebannt: Von ihrem Adoptivvater, einem Physiker, weiß sie, dass jedes Partikel ein »sympathisches« Gegenpartikel besitzt, das es auf ewig anzieht. Doch als sich Mizuko und Alice immer näherkommen, wird klar: Zwischen der Person, die wir sind, und der Person, die wir online zu sein vorgeben, tut sich oftmals eine gefährliche Kluft auf. Olivia Sudjic ist ein erstaunliches Debüt über zwei ambivalente Frauen und die Kräfte, die sie aufeinander ausüben, gelungen. Eine spannende und verästelte Geschichte, die in die Welt der Teilchenphysik eintaucht und sich mit der Vergangenheit Japans verwebt, um die Frage nach Identität und Liebe im digitalen Zeitalter zu beantworten.

Olivia Sudjic, in London geboren, studierte Englische Literaturwissenschaft an der Cambridge University, wurde mit dem E.G.Harwood Prize for English ausgezeichnet und zum Bateman Scholar ernannt. Als Journalistin schrieb sie für renommierte Zeitungen wie den »Observer« und die »Times«. »Sympathie« ist ihr Debütroman.

Erschienen bei Kein&Aber, hier erhältlich.

Erschienen bei S.Fischer, auch hier erhältlich.

›A Room of One’s Own‹, 1929 entstanden, erschien in deutscher Übersetzung erst 1978 unter dem Titel ›Ein Zimmer für sich allein‹. Virginia Woolf greift auf ihre eigene, erzählerisch-essayistische Weise eine ganze Reihe von Fragen zum Thema Frauen und Literatur auf, die sie und ihre Zeit bewegten: Warum haben Töchter aus gebildetem Haus nicht die gleichen Möglichkeiten zur Universitätsausbildung wie ihre Brüder? Warum ist die Literatur über Frauen fast ausschließlich von Männern geschrieben? Hätte Shakespeare eine Schwester gehabt, ebenso begabt wie er, wie wäre es ihr ergangen? Wie könnte weibliches Schreiben in der Gegenwart aussehen? Was brauchen Frauen, um künstlerisch tätig sein zu können: ein gewisses Maß an finanzieller, vor allem aber geistige Unabhängigkeit, symbolisiert durch ein eigenes Zimmer.

 

Ein kleines abgelegenes Dorf. Es gehört den Menschen, die dort leben, ihren Freuden und Sorgen, ihrem Alltag und ihren Legenden. Doch es gehört auch dem mythischen Altvater Schuppenwurz, der aus seinem Schlaf erwacht ist, dem dörflichen Treiben zusieht und lauscht, immer auf der Suche nach seiner Lieblingsstimme: der Stimme von Lanny. Der neue Roman von Max Porter ist eine bewegende Warnung davor, was wir zu verlieren haben, und eine Hymne an alles, was wir nie ganz verstehen werden. Der neue Roman von Max Porter, einem der mutigsten und feinfühligsten Autoren seiner Generation, ist eine Warnung davor, was wir zu verlieren haben, und eine Hymne an alles, was wir nie ganz verstehen werden.

Erschienen bei Kein & Aber, hier erhältlich. 

»Das Leben bricht auseinander. Wir versuchen es in die Hand zu nehmen, versuchen es zusammenzuhalten. Bis uns irgendwann klar wird, dass wir es gar nicht zusammenhalten wollen.« Wenn sich das Leben ändert, tut es dies meist radikal. Deborah Levy und ihr Mann gehen getrennte Wege, ihre Mutter wird bald sterben. Doch die entstehende Lücke bedeutet auch Raum für Neues. In präziser und suggestiver Prosa erschreibt Levy sich aus den Bruchstücken ihres alten Selbst ein neues und fragt: Was heißt es, frei zu sein – als Künstlerin, als Frau, als Mutter oder Tochter? Und was ist der Preis dieser Freiheit? „Jeder Satz ein kleines Meisterwerk“, schreibt „The Telegraph“, und so wird aus einer individuellen Geschichte ein lebenskluges und fesselndes Zeugnis einer zutiefst menschlichen Erfahrung. „Herausragend und wunderschön, voller Witz und rasiermesserscharfer Einsichten.“ Financial Times

Die besten Bücher im April // Was heißt es, frei zu sein? Warum ist das Leben eins der Härtesten? Und wie geht Liebe im Digitalen Zeitalter?

  1. Rike

    Eine eurer stärksten Rubriken! Macht immer wieder Lust und Laune auf gute Literatur. Danke Danke Danke.

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