Drei Frauen über ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt

24.04.2019 Leben, box3, Feminismus

————– TRIGGERWARNUNG – Sexualisierte Gewalt an Erwachsenen und Kindern ————-

Am helllichten Tag wurde ich vor nicht all zu langer Zeit Zeugin eines sexualisierten Übergriffs. Es war Mittag, ein Sonntag und 22 Grad. Die beiden Männer schienen betrunken, vielleicht auch auf anderen Drogen zu sein, die Situation war grotesk, ich überfordert, das Opfer unglaublich stark und beeindruckend wortgewandt für so eine Ausnahmesituation. Später, es war nochmal alles gut gegangen, erzählte sie mir, dass sie vielleicht deshalb „richtig reagiert“ habe, weil sie gerade dabei sei, Selbstverteidigung zu lernen und sich außerdem etwas Wissen darüber angelesen hätte, wie Frau sich in solchen Fällen am besten verbal oder körperlich zu widersetzen. An besagtem Sonntag jedenfalls sind alle nochmal mit einem Schrecken davon gekommen. Das ist aber nicht immer so. Von Geschichten, die überhaupt nicht gut ausgehen, hören wir regelmäßig im True Crime Podcast oder in der Tagesschau. Aber es sind eben keine Geschichten – sondern Realität vieler Menschen, die uns umgeben. Meist Frauen. Und ich glaube, die Angst davor kennen wir alle. Ich persönlich fühle mich zum Beispiel besonders unwohl, während ich am Abend den Heimweg hinter mich bringe, wenn ich aufgrund eines eBay-Kleinanzeigen-Kaufes fremde Wohnungen betreten muss oder in Bars mit überwiegend männlichem Publikum zu Gast bin. Ein kleiner Tipp: Das „Heimwegtelefon“ erreicht ihr Deutschlandweit unter der Nummer 030 120 74 182 (So bis Do 20 bis 24 Uhr, Fr und Sa 22 bis 4 Uhr). Auch Anwendungen wie WayGuard oder KommGutHeim haben sich auf einen sicheren Nachhauseweg spezialisiert. 

Drei Betroffene haben uns von auf den ersten Blick viel weniger bedrohlich erscheinenden Situationen berichtet, in denen ihnen dennoch sexualisierte Gewalt widerfahren ist.

Alma, 33 aus Wien

Von meinem Umfeld hatte ich gelernt, dass Vergewaltigungen in dunklen Gassen passieren und zwar dann, wenn man als Frau nachts alleine nachhause geht. Der Täter war in diesem Szenario immer ein zwielichtiger, fremder Mann. Als ich zum Studieren in die Großstadt zog, kaufte meine Mutter mir ein Pfefferspray für den Ernstfall. Mir konnte also nichts mehr passieren, so lang ich etwas achtsam blieb – dachte ich. Dann wurde ich eines Nachts davon wach, dass ein Freund plötzlich in meinem WG-Zimmer stand und sich zu mir ins Bett legen wollte. Ich sagte, dass das normalerweise kein Problem wäre, ich aber gerade nackt sei und es mir deshalb unangenehm wäre. Was danach passiert ist, verdrängt mein Gehirn bis heute mehr oder weniger erfolgreich. Was ich weiß: Ich habe drei Mal laut und deutlich gesagt, dass ich keinen Sex möchte. Was ich auch weiß: Dass er mich nicht hören wollte, dass er kein Kondom verwendete, dass es mein „erstes Mal“ war. Dann weiß ich lange nichts, außer dass ich das Geschehene weltmeisterlich verdrängte und mein Körper irgendwann trotzdem daran zerbrach. Von Panikattacken und depressiven Symptomen geplagt setzte mich eine liebe Freundin eineinhalb Jahre später in die Praxis einer Psychotherapeutin und zum ersten Mal habe ich verstanden: ich wurde vergewaltigt. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass das kein schlechter,

unglücklicher Sex war, sondern eine Straftat. Ich verstand, dass auch Freunde vergewaltigen können, dass die dunkle Gasse und der zwielichtige Mann eine Lüge waren. Mir wurde erst mit knapp zweijähriger Verspätung bewusst, dass diese Straftat angezeigt werden sollte. Einen „Freund“ anzuzeigen fühlte sich für mich aber immer noch falsch an und leider bestätigte mich mein Umfeld in dieser verzerrten Wahrnehmung. Ich wünschte, jemand hätte mich zu einer Anzeige motiviert und mich aktiv in diesem Schritt unterstützt. Wäre es der zwielichtige Mann gewesen und nicht ein Freund, der mich vergewaltigt hat, ich bin sicher eine*r meiner Freund*innen hätte mich ohne zu überlegen sofort zur nächsten Polizeistation geschleppt. Um dies im Alleingang zu machen, fehlt mir bis heute die Kraft. Für den Täter gab es also bis heute keinerlei Konsequenzen, dafür waren und sind die Auswirkungen für mich umso weitreichender. Die Symptome mit denen ich bereits in die Therapie stolperte, potenzierten sich durch die Traumaaufarbeitung und gipfelten in einem monatelangen „Totalausfall“. Drei Jahre und tausende in Therapie investierte Euros später erhole ich mich langsam. Das Schwierigste dabei: lernen wieder zu vertrauen – anderen Personen, meinem Körper, dem Leben.

Luzi, 20 aus Köln

Ich wurde Anfang des Jahres im Rahmen eines Tinder-“Dates“ vergewaltigt. Es war mein erstes Treffen über diese Plattform, der Typ und ich hatten vorher ein wenig gechattet und uns gut verstanden. Ich fuhr abends zu ihm, wir haben uns unterhalten, dabei ein paar Bier getrunken und zwei Joints geraucht. Er war wirklich nett und wir haben uns auf einer platonischen Ebene unterhalten, es war aber irgendwie auch klar, dass das wir beide keine romantischen Ambitionen hatten. Er erzählte beispielsweise von seiner Ex, an der er wohl noch sehr hing. Dann kam der Klassiker: Ich verpasste meinen letzten Bus und war echt zu fertig, um nach Hause zu laufen. Er bot mir an, bei ihm zu übernachten. Ich nahm das Angebot an. Am nächsten Morgen wachte ich davon auf, dass er schon komplett an und in mir zugange war. Den gesamten Tag über funktionierte ich wie im Autopilot, realisierte gar nicht, was passiert war. Erst abends auf einer längeren Bahnfahrt wurde es mir klar und ich war ziemlich verzweifelt. Mich hat der Vorfall damals völlig aus der Bahn geworfen, ich unterbrach meine Ausbildung für zweieinhalb Monate und brauchte Zeit. Meine Freund*innen waren mir dabei die größte Stütze. Ich bin auch zu einer Therapeutin gegangen, die hat aber direkt im Erstgespräch krasses Victim Blaming betrieben. Seitdem habe ich mich nicht mehr getraut, zu einer Therapeutin zu gehen, peile das aber an. Was ich auch krass fand war, dass die behandelnden Ärzt*innen im Krankenhaus es zuerst nicht akzeptieren wollten, dass ich nicht zur Polizei gehen möchte. Es gibt auch die sogenannte Anonyme Spuren Sicherung (ASS), die Gynäkologin wollte mich aber dazu überreden, den Vorfall anzuzeigen. Erst als ich mehrfach und nahezu unter Tränen darauf bestanden habe, nicht zur Polizei zu gehen, wurde mir die ASS angeboten. Die Gynäkologin wusste aber offensichtlich nicht genau über das Prozedere Bescheid. Bei der ASS müssen mehr Abstriche gemacht werden als bei der „normalen“ Untersuchung, das ist ihr aber erst aufgefallen, als ich schon wieder komplett angezogen war. Ich musste mich also noch einmal ausziehen und noch einmal auf den Behandlungsstuhl. Das war alles sehr unangenehm. Während der Vergewaltigung war ich derart in Schockstarre, dass ich es nicht geschafft habe, mich zu wehren oder „nein“ zu sagen. Deshalb habe ich den Täter bis heute nicht angezeigt. Ich würde mir daher wünschen, dass die „Nein heißt nein“ Regelung des deutschen Sexualstrafrechts nicht so gefeiert würde. Menschen wie mir hilft das nämlich nicht. Das führt unter anderem dazu, dass ich bis heute wütend auf mich bin, weil ich es nicht geschafft habe, deutlich „nein“ zu sagen. Mit einer „Nur ja heißt ja“ Regelung, wäre das zum Beispiel etwas anderes.

Claudia, 28 aus  Frankfurt

Mir wurde mit 19 völlig zusammenhangslos bewusst, dass das, was mir jahrelang wie eine normale Handlung vorkam, vielleicht nicht so normal ist. Es war wie eine kleine Bombe, die innerlich platzte und freilegte, dass es Unrecht war, was mir passierte. In der Grundschule hatte ich eine beste Freundin. Die Art von bester Freundin, neben der man in der Schule sitzt, mit der man das Kind-Sein und das Hobby teilt. Sie war Einzelkind und ich die fehlende Schwester, die sie sich immer gewünscht hatte. Für ihre Mutter und ihren Stiefvater war ich jahrelang die „zweite Tochter“. Neben Wochenenden, Urlauben und dem Schulalltag teilten wir bei unseren regelmäßigen Übernachtungen mehrfach wöchentlich natürlich auch ihr Hochbett. Ein festes Ritual begleitete uns in den Jahren unserer Freundschaft so konstant und gefühlt selbstverständlich, dass ich es niemals hinterfragt habe: jeden Abend brachte uns ihr Stiefvater ins Bett und streichelte uns. Er fasste unter unsere Pyjamas und berührte uns am ganzen Körper. Auch im Intimbereich. Als mir Jahre später bewusst wurde, dass das eben nicht normal ist, fiel mir zeitgleich der perfide Satz ein, den er dabei oft sagte: „Guck mal, eine kleine Nacktschnecke“.

Es waren nur leichte und sanfte Berührungen. Es war keine offensichtliche, physische Gewalt und auch es waren keine Forderungen. Mir wurde damit aber eine falsche Realität verkauft, eine Parallelwelt, in der die Stiefväter ganz selbstverständlich fremde Kinder in den Schlaf streicheln. Bis zu meiner Therapie, die ich vor vier Jahren gemacht habe, habe ich zwar mit einigen Menschen darüber gesprochen, aber ich habe es heruntergespielt und verharmlost. Meine Therapeutin hat mich die Erlebnisse ernst nehmen lassen. Sie stellte auch schnell fest, dass ich das ganze sehr gut verarbeitet habe. Aus diesem Grund habe ich mich damals dazu entschlossen, dieses Thema für mich abzuschließen. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich es damals nicht erzählt habe, denn ich denke für eine Anzeige und alles, was damit zusammenhängt (z.B. ein zeitintensives und emotional sehr belastendes Gerichtsverfahren), wäre ich nicht stark genug gewesen und es hätte mir eine wichtige Zeit meiner Kindheit gestohlen.  

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