Seit einer ganzen Weile ist sie nun schon da, diese merkwürdige Angst, die sich in meinem Kopf ausbreitet, mein Herz zum Rasen bringt und mir das Gefühl gibt, nicht richtig atmen zu können, bis ich glaube, dass ich gleich einfach umfalle, obwohl doch eigentlich alles mit mir in Ordnung ist. Um mich herum baut sich dann eine fremde Traumwelt auf, die sich irgendwie nicht real, sondern vielmehr wie ein Computerspiel anfühlt, für das ich ganz zufällig als Protagonistin ausgewählt wurde.
All das schleicht sich meist in bestimmten Situationen ein, zum Beispiel, wenn ich an großen Straßen stehe, auf einer Party niemanden kenne oder von Menschenmassen umgeben bin. Manchmal, da kommt es aber auch einfach so, ganz ohne Vorwarnung. Ja, seit einer ganzen Weile ist das Leben in meinem Kopf jetzt schon anders.
Wie findet man ein Gefühl?
Wie war das noch gleich, als alles normal war? Ich versuche, mich an das Vorher zu erinnern, daran, wie das noch mal war, als ich mir keine Gedanken über große Kreuzungen gemacht habe, als mir das Autofahren mit offenen Fenstern und laut aufgedrehter Rockmusik aus den 80ern noch ein Gefühl von Freiheit vermittelte, statt meinen Kopf mit Zweifeln und Gedankenfluten volllaufen zu lassen, bis ich glaube, dass ganz bald sicher alles überschwappt. In der Hoffnung, meine frühere Normalität ganz einfach in mir drinnen wiederzufinden, rede ich mir manchmal ein, dass sie doch irgendwo sein muss, dass sie nicht so einfach verschwinden kann – fast so wie damals, als mein Vater vor unseren Sommerurlauben regelmäßig sein morgendliches Käsebrot verlegte und wir uns entschlossen, aber auch ein wenig ungläubig, auf die Suche nach ihm machten. Wir fanden das Käsebrot jedes Mal und retteten es vor der Verwahrlosung. Wie aber findet man ein Gefühl?
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Was Geduld hat, kann alles überstehen. Oder?
Das letzte Mal, dass ich ein Gefühl verloren habe, war es das Gefühl in meinem rechten, eingeschlafenen Arm. Glücklicherweise war der Zustand nur temporär und ich fand es auch recht einfach wieder, als ich ihn aus dem Bett baumeln ließ und geduldig auf das erlösende Kribbeln wartete. Ja, mit Geduld lässt sich so einiges bewältigen, die Sehnsucht nach dem nächsten Urlaub zum Beispiel oder das Abheilen von blauen Flecken. Leider musste ich aber ziemlich schnell feststellen, dass Geduld alleine nicht auf der Suche nach meiner Normalität hilft und blieb etwas ratlos zurück. In den meisten Fällen, in denen ich keinen Rat mehr weiß, frage ich Freund*innen, Menschen, denen es genauso geht wie mir oder jene, die so viel über mein Problem wissen, dass sie mich mit Wissen und Methoden überschütten können. Warum es bei mir so lange gedauert hat, mich um Rat zu kümmern, als mir ausgerechnet meine Normalität verloren ging, kann ich gar nicht genau sagen. Vielleicht war es die Scham, die Angst oder ganz einfach die Schwerfälligkeit, die mich davon abhielt, mich aufzuraffen und den ersten Schritt zu tun.
Eine große Portion Ablenkung, bitte
Seither habe ich gelernt, dass ich meine Aufmerksamkeit nicht der Angst, sondern all den Dingen, die mich vollends in ihren Bann ziehen, widmen muss. Das ist nicht leicht und ich scheitere häufiger bei dem Versuch, als dass es mir gelingt, aber jedes Gelingen ist für mich ein großer Erfolg, denn wenn ich so richtig gut abgelenkt bin oder mich auf etwas konzentrieren kann, ist sie da, die Normalität. In Anflügen der Panikattacke, die noch kontrollierbar ist, krame ich ein gutes Buch hervor oder höre Musik, deren Texte ich in- und auswendig mitsingen kann, denn das gibt mir das Gefühl von Sicherheit und gleichzeitig das Wissen, dass mein Kopf doch noch so funktioniert, wie früher. Ich scrolle durch meinen Instagram Feed, der mittlerweile nur noch voller Wohlfühl-Accounts ist, die mich inspirieren oder glücklich machen. Ich nehme kleine Dinge wahr, die nah um mich herum sind, statt den Blick einer riesigen Kreuzung zu widmen. Diese Ablenkung und zugleich vollste Konzentration hilft mir, mich wieder wie im echten Hier und Jetzt zu fühlen, statt diesem merkwürdigen Gefühl der Traumwelt nachzugeben, das so oft in Herzrasen und Atemnot endet.
Doch es ist und bleibt ein Weg und der führt natürlich auch an jenen Menschen vorbei, die mit ihrem geballten Wissen so ganz wirklich helfen können. Anders geht es manchmal eben gar nicht, da kann man versuchen, seine Probleme zu zerreden und klein zu machen, wie man möchte. Und solange meine Normalität nicht wieder Dauergast bei mir ist, muss ich etwas dafür tun, um sie hervorzulocken – denn ja, meine Normalität ist, so langweilig sie zuweilen auch klingen mag, verdammt schön.