Erst vergangene Woche stellte ich mir wieder einmal mein eigenes Bein und flog im hohen Bogen durch die Küche, als ich meinem Freund am Küchentisch sitzend nach einem langen Tag von den anstehenden To-Dos der Woche erzählte. Das machen wir immer so, um uns beidseitig abzuholen und die kommenden Tage zu planen, die manchmal wegen unserer gemeinsamen Tochter anders aufgeteilt werden müssen, als eigentlich vorgesehen. Aber lassen wir das. Den Blick nach unten gesenkt wollte ich mir eigentlich nur seinen verbalen Schulterklopfer und das pure Verständnis dafür abholen, dass ich einen Business-Trip für einen Tag in München wahrnehme und mich aus Zeitgründen für den Flug entschieden habe, der mir späteres Aufstehen und früheres Heimkommen garantieren würde, mit dem ich jedoch eine Grundsatzdiskussion über nachhaltiges Leben und Verantwortung lostrat. Es ist nicht so, als hätte ich nicht selbst mit mir gehadert, die Bahn-Zeiten nicht rund eine halbe Stunde angestarrt und hin- und her überlegt. Es ist nicht so, also wüsste ich nicht, dass es komplett hirnrissig ist, für die wenigen Stunden in München CO² Werte sondergleichen in Kauf zu nehmen. Dass es der Umwelt schadet, sie sogar zerstört. Und dass ich Teil des großen Problems bin. Aberaberaber, verargumentierte ich, ich bin in diesem Jahr doch wirklich erst ein einziges Mal geflogen. Andere fliegen viel öfter. Da werde ich doch ausnahmsweise und aus Zeitgründen in den Flieger steigen dürfen, oder nicht? Nein. Er hatte Recht – und ich wusste es schon im Vorfeld besser, sonst wäre ich wohl nicht so emotional geworden, hätte auf meinen Standpunkt beharrt, hätte versucht, alles zu relativieren und wäre ihm mit Whataboutism entgegengetreten. Ich rechtfertigte mich, indem ich aufzählte, dass ich wirklich nur noch ganz selten tierische Produkte verzehre, im Gegensatz zu ihm. Oder, dass ich das Fahrrad mittlerweile den öffentlichen Verkehrsmitteln vorziehe, statt die uralte Vespa bei jeder Gelegenheit zu fahren – wie er. Dass ich versuche, beim Einkaufen so gut es geht auf Plastik zu verzichten. Meinen eigenen Beutel stets mitschleppe, Verpackungen meide und Müll mittlerweile trenne wie eine Eins. Dass ich, überhaupt und außerdem, viel weniger einkaufe als er. Und, dass wir sowieso nie in den Urlaub fliegen, ja toll, außer in diesem Jahr vielleicht.
Und was ist mit New York im vergangenen Jahr? Was ist mit deinem Auto? Was ist mit dem Fisch gestern Abend auf deinem Teller?, entgegnet er. Gut, danke. Ich bin ein schlechter Mensch, denke ich und werde noch wütender. Auf mich selbst, auf ihn, auf die Gesellschaft, auf diese neu auferlegte Verantwortung und dieses unangenehme Erwachsenwerden, dass jüngere Menschen in Zeiten von Fridays for Future-Bewegungen scheinbar schon ganz anders verinnerlicht haben. Ich aber habe vermeintlich bequemere Zeiten der Unbedarftheit erlebt. Doch die sind längst vorbei.
Ich hatte einst den Anspruch, dass es schon mal ein wahnsinnig großer Schritt sei, wenn die Sache mit dem Bewusstsein erst einmal mal präsent ist. Wenn wir uns im Klaren darüber sind, dass Einwegkaffeebecher nicht länger benutzt gehören. Oder, dass wir Gemüse-Einkäufe nicht länger einzeln in Plastiktüten verpacken. Ich dachte, wenn Menschen wissen, dass die Kreuzfahrt eine wahnsinnig bescheuerte Idee ist, dann sei der erste Move getan. Bloß reicht mir die Nummer mit dem Bewusstseins-Argument selbst längst nicht mehr. Ich sehe sie bei anderen als Ausrede an und fordere Konsequenz. Es ist an der Zeit, zu handeln. Es ist längst nicht mehr an der Zeit, nur noch blödes Zeug zu faseln. Damit ecke ich vielleicht manchmal an, wie auch in meiner Familie, bei der ich oft das Gefühl habe, die unbequeme Nervensäge zu sein. Eben diejenige, in deren Gegenwart man gar nichts mehr sagen darf. Oder ich bin davon überzeugt, als Besserwisserin abgestempelt zu werden, obwohl ich bewusstes Handeln doch eigentlich nur einfordere und mich gar nicht als Bessermensch darstellen will.
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Ich korrigiere falsche Begrifflichkeiten, weise auf rassistische Ausdrücke hin, ich empfehle alternative Nahrungsmittel oder preise Verzicht an. Ich will, in meiner Safe Zone, eben auch diejenige sein dürfen, die das Bewusstsein erweitern kann, genauso wie ich diejenige sein will, die ganz offen und emphatisch auf Kritik eingeht, wenn sie selbst eben angebracht ist – so wie letzte Woche am Küchentisch. Und doch reagierte ich wie alle, die ich selbst mit Verbesserungsvorschlägen beratschlage: Ablehnend und in Rechtfertigungshaltung. Gut gemacht, Sarah!
Ja, ich dachte ich sei auf einem guten Weg und habe mich mit der Flug-Entscheidung quasi selbst enttäuscht. Es war eine vollkommen bewusste Entscheidung – und trotzdem gefällt sie mir nicht. Gleichzeitig war ich unfähig, mich umzuentscheiden. Ich war wieder einmal der Egoist – und vor allem diese Sache macht mich rasend. Ich war, wie ich eigentlich nicht sein will und kann in diesem Fall auch kein gutes Wort an mir lassen.
In Gesprächen mit anderen stellen sich immer und immer wieder folgende Fragen: Müssen wir manchmal auch loslassen dürfen? Reicht das Bewusstsein um die Sache und das daraus resultierende und portionsweise bessere Verhalten manchmal vielleicht schon aus? Würde mich das gesamte System, indem wir leben, vielleicht sogar irgendwann einfach nur fertigmachen, wenn ich stets in vollster Konsequenz konsumieren würde? Setze ich meine eigentlich Prioritäten richtig oder handle ich ausschließlich aus meiner Comfort Zone und aus einer egoistischen Position heraus? Was ist richtig, was ist falsch?
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Ein Auszug meiner Gedanken: Wenn ich nicht fliege, habe ich weniger Zeit mit meiner Tochter und muss am Tag vorher schon früher ins Bett, weil ich sonst nicht genug Schlaf bekomme. Ich bin später daheim und sehe mein Kind gar nicht mehr vor dem Einschlafen. Wenn ich Bahn fahre, bin ich zwar ein klein wenig länger unterwegs, aber ich könnte im Zug ein wenig arbeiten, ein bisschen länger lesen oder im Bordbistro einfach aus dem Fenster schauen und mich dem Nichtstun hingeben. Rational betrachtet weiß ich längst bescheid, trotzdem habe ich mich nicht umentschieden. Und das Schlimmste: Ich kann mir selbst nicht versprechen, dass ich es beim nächsten Mal besser machen werde. Aber ich will, denn ich möchte nicht länger wischiwaschi mit mir umgehen, das „Ach ja“ zu meinem Lebensmotto werden lassen und mich ständig um eigene Ausreden drehen. Ich will schonungslos und öfter radikal ehrlich zu mir sein, statt mich in Gedanken zu streicheln und zu rechtfertigen.
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Vielleicht sollten mein Umfeld und ich lernen, dass es wichtig und richtig im Jahr 2019 ist, unbequem zu sein. Dass wir es alle besser machen und Verantwortung tragen müssen, dass es natürlich mal OK ist, wenn man es nicht macht, das Ziel aber immer ein klimaneutraleres sein müsste. Und, dass wir aus eigenen Fehlern lernen sollten. Vielleicht nicht direkt beim nächsten Mal, aber zumindest beim übernächsten Mal. Es ist wichtig, zu nerven, den Finger in die Wunde zu legen, unermüdlich für diese eine Welt einzustehen und in seinen Möglichkeiten diesen Ort zu einem besseren zu machen. Vielleicht müssen wir das unbequeme erst einmal neu lernen, in unser Leben eingliedern, um festzustellen, dass es nach einer Weile ganz selbstverständlich und eben keineswegs einschränkend ist. Es ist unser Mindset, das justiert werden sollte. Ich scheitere daran jeden Tag, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, auf einem guten Weg zu sein. Im Dialog mit euch, mit konstruktiver Kritik, mit Offenheit und der Fähigkeit, auf Gegenwind einzugehen. Ich habe noch nicht für alle Probleme eine Lösung, aber ich arbeite daran.
Unser Küchengespräch endete natürlich in einem Hin und Her aus gegenseitigen Vorwürfen, unvergleichlichen Vergleichen, Anschuldigungen und lauter „Du aber auch“. Fürchterlich. Und trotzdem war es notwendig und im Nachhinein bereichernd. Vielleicht nicht fühlbar in jenem Moment, weil der Finger zentimentertief in der Wahrheit steckte und sich drehte und wendete. Rückblickend war er dort aber genau an der richtigen, unbequemen Stelle.