Es gibt sie: Diese Bücher, die das Leben verändern. Die einen mitreißen, zum Nachdenken bringen, inspirieren. Durch die sich neue Synapsen im Gehirn bilden, man die Welt plötzlich mit anderen Augen sieht. So ein Buch war für mich Maria Svelands Bitterfotze. Erschienen ist es in Deutschland 2007, gelesen habe ich es aber erst 2009. In Schweden wie in Deutschland heiß diskutiert erzählt der Roman die Geschichte von Sara, dreißig, freie Journalistin, Mutter eines zweijährigen Sohnes und allein auf dem Weg von Stockholm nach Teneriffa, um für eine Woche Familie und Alltag zu entfliehen. Gleich auf der ersten Seite stehen Sätze, die sich ins Gedächtnis graben:
„Ich bin erst dreißig und schon so verbittert. Ich bin richtig bitterfotzig. Das war nie so geplant. Ich habe wie alle anderen von der Liebe geträumt. Aber ein Verdacht, der vielleicht eine Einsicht ist, hat sich allmählich in mir ausgebreitet, und er macht tiefe, eitrige Wunden: Wie sollen wir jemals zu einer gleichberechtigten Gesellschaft kommen, wenn es uns nicht einmal gelingt, mit demjenigen gleichberechtigt zu leben, den wir lieben?“
Ja, wie? Eine Woche lang sucht Sara auf Teneriffa nach Antworten, mit schlechtem Gewissen, weil zu Hause Mann und Kind auf sie warten, weil sie egoistisch und unglücklich ist, obwohl doch eigentlich alles so schön sein könnte. Sie liest Erica Jongs feministischen Klassiker Angst vorm Fliegen und wünscht sich, ein bisschen mehr so zu sein wie dessen Protagonistin Isadora – weniger bitterfotzig und frustriert, dafür freier, lebenshungriger, wilder. Sara rekapituliert was schiefgelaufen ist, in ihrer Beziehung zu Ehemann Johann, in ihrer Rolle als Mutter, als Frau. Sie beobachtet andere Frauen, andere Paare. Sie fragt sich: „Was ist verdammte Struktur, und was ist private Angst? Wie viel Grund habe ich eigentlich, bitterfotzig zu sein?“
Maria Sveland ist in Bitterfotze kompromisslos und laut und vor allem sehr sehr zornig. Auf fast jeder Seite werden einem unbequeme Wahrheiten um den Kopf gehauen, die einen dann ebenfalls sehr sehr zornig machen. Auf die Gesellschaft, auf das Ideal der Zweierbeziehung, auf die Erwartungen, mit denen Frauen auf Schritt und Tritt konfrontiert werden. Ob Sara die Antworten, die sie gesucht auch gefunden hat, lässt Sveland am Ende von Bitterfotze offen, die letzten Seiten lesen sich dennoch vorsichtig optimistisch.
Immer noch bitterfotzig
Bitterfotze ist ein Buch, das keine Fortsetzung braucht, weil es in sich so geschlossen ist und man am Ende das Gefühl hat, Dinge wirklich verstanden zu haben. Trotzdem gibt es jetzt eine Fortsetzung, was angesichts des großen Erfolgs von Bitterfotze in Schweden und Deutschland nicht verwundert: In Immer noch Bitterfotze ist Sara nun ein paar Jahre älter, Mutter von drei Kindern und frisch von Ehemann Johan geschieden. Trotz geteilten Sorgerechts ist das Leben als alleinstehende Mutter nicht leicht, vor allem, wenn diese Mutter ihre sexuellen und emotionalen Bedürfnisse ausleben möchte. In Sara ist schließlich immer noch dieses „brüllende Verlangen“, diese Sehnsucht nach mehr: mehr Lust, mehr Liebe, mehr Leben. Immer noch beschäftigt sie die Suche nach einer Antwort auf das alte Dilemma:
„Und alles hängt mit allem zusammen. Solange wir nicht gleichberechtigt lieben können, bekommen wir auch keine gleichberechtigte Welt. Andererseits ist es furchtbar schwer für einen einzelnen Mann und eine einzelne Frau, gleichberechtigt zu lieben, wenn die Welt um sie herum so wenig gleichberechtigt ist. Ein schreckliches Durcheinander, das mich ängstigt, resignieren und zum Kampf bereit werden lässt.“
Vieles in Immer noch Bitterfotze ist gewohnt und vertraut: Sara ist älter, aber sie ist nach wie vor bitterfotzig (vielleicht sogar ein bisschen mehr als vorher), liebt lange Bäder, nutzt einen Solo-Urlaub im Süden (diesmal auf Capri) zur Generalanalyse ihres Lebens und kämpft darum, ihre lebensbejahende Haltung nicht zu verlieren. Diesmal liest sie nicht Angst vorm Fliegen, sondern die Werke der schwedischen Autorin Kerstin Thorvall – eine Frau, an der Sara sich reibt, durch die sie sich aber auch verstanden fühlt. Nüchtern stellt Single-Mutter Sara fest: „Ich dachte, wenn ich nur frei wäre, dann könnte ich meine eigene Frau stehen und nach meinen Bedingungen lieben. Was ich in meiner unendlichen Naivität nicht wusste, war, dass genau das ein Widerspruch in sich ist.“
Im Dienste der Botschaft
Vieles ist gewohnt und vertraut, ja, und dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – entwickelt Immer noch Bitterfotze nicht den gleichen Sog wie Bitterfotze. Das liegt vor allem daran, dass Maria Sveland sich etliche Male dazu hinreißen lässt, zu dozieren. Viele der Charaktere, Situationen und Dialoge werden nur dazu genutzt, bestimmte Botschaften oder Erkenntnisse zu übermitteln. So hält Saras lesbische Freundin lange Vorträge über die Vorteile der Homosexualität als Ausweg aus der heteronormativen Zweisamkeit. So sagt Saras 75-jährige Nachbarin Edith, alleinstehend und glücklich: „Ich meine, du bist ein Beziehungsmensch, wie so viele Frauen. Das liegt an unseren Geschlechterrollen.“ Die verschiedensten Anlässe bringen Sara dazu, sich theoretisch Gedanken über die verschiedenen Aspekte von Gleichberechtigung zu machen, zum Beispiel, als sie sich für ein Essen umzieht: „Die sexistische Sozialisierung hatte mir beigebracht, mich immer für die anderen schön zu machen.“
In Bitterfotze hat dieses „Das Private ist politisch“, der Rückschluss von Saras individuellen Erlebnissen auf das große Ganze, gut funktioniert. In Immer noch Bitterfotze wirkt es nun stellenweise konstruiert. Die Handlung, so der Eindruck, steht ganz im Dienste der Botschaft. Manchmal fühlt es sich an, als hätte Maria Sveland eine Liste mit Themen gehabt, die sie akribisch abarbeitet: Rassismus, Sexualität, Beziehungen, soziale Klassen, Frauenfreundschaft.
Trotzige Zuversicht
Lesenswert ist Immer noch Bitterfotze trotzdem. Weil so viel Wahres darin steckt: Über Liebe, Gleichberechtigung, Rollenbilder und den falschen Glauben daran, als Frau, als Mutter, alles haben zu können, ohne irgendwo Abstriche machen zu müssen. Und trotz aller Mängel ist es Maria Svelands Schreibstil (erneut wunderbar übersetzt von Regine Elsässer), der einen die Geschichte gerne lesen lässt: Wenn Sara onaniert, dann „öffnet“ sie ihre Vulva, wenn sie traurig ist, dann ist ihr „unfestlich zumute“. Sveland schreibt mit Wärme und schafft es, Gefühle und Gemütszustände sehr präzise in Worte zu fassen. Und letztendlich ist es die Figur der Sara, so gierig, anstrengend und liebenswert, die das Buch trägt. Sara, die auf so trotzige Art zuversichtlich ist: „Meerjungfrauen, die verwandelt wurden, weil sie ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen leben wollten. Das Märchen lehrt uns, dass man bestraft wird, wenn man von einem Leben außerhalb des Wassers träumt. Damit bin ich nicht einverstanden. Ich werde nicht um Entschuldigung bitten, weil ich meine Seele, mein Leben, besitzen will.“
Maria Sveland: Immer noch Bitterfotze, Kiepenheuer & Witsch, 368 Seiten, 11 Euro.