Nils Pickert ist Chefredakteur des Pinkstinks Magazins. 2017 formulierte er einen offenen Brief an das Inside Magazin, der seither keinen Furz an Relevanz eingebüßt hat, ganz im Gegenteil, den folgenden Auszug möchte man auch in diesem Jahr nicht wenigen Magazinen als penetrante Leuchtreklame in die Redaktionsräume nageln, auf dass die MacherInnen endlich zur Besinnung kommen mögen: «Du bist ein widerliches, frauenverachtendes Drecksblatt, in dem eine rein weibliche Redaktion eimerweise Häme, Mist und Body Shaming über Geschlechtsgenossinnen auskübelt (Hurra, Frauensolidarität!).»
Auch wir schrieben während der vergangenen Jahre immer wieder über die toxische Mischung aus frauenverachtenden Aufmachern in altbewährter Dellen-Drama-und-Wabbel-Wellen-Manier und dem omnipräsenten Diätenwahnsinn, mit der unterschiedlichste Zeitschriften und deren Online-Ableger sich mehr oder weniger erfolgreich durch das Sommerloch Klick-baiten, alle Jahre wieder. Gebracht hat der Gegenwind, der mittlerweile auch Instagram flutet, bisher jedoch gar nichts. Es funktioniert ja: Die Leute kaufen und klicken weiterhin was das Zeug hält. Es wäre allerdings vermessen, die Schuld nun hochnäsig der Konsumentin zuzuschieben. Im Fall von Inside & Konsortien plädiere zwar auch ich für den totalen Boykott, weil es mir ohnehin ein Rätsel ist, weshalb KäuferInnen Scheißblättern wie diesen überhaupt einen Cent in den Rachen schieben, aber vor der Diät-Falle ist tatsächlich kaum ein Magazin gefeit, auch nicht die weniger stumpfsinnigen. Denn am Ende zählen wieder nur: Abverkäufe. Der Irrsinn kommt deshalb gratis mit, egal ob in der Brigritte, der Vogue, der Harper’s Bazaar oder der Grazia. Immerhin: Auch die gutgemeinten Texte über Selbstliebe und Body Accceptance mehren sich – doch verkommen sie zwischen Crash-Diäten, dem Glorifizieren von extremem Ernährungsplänen und Celebrity-Entschlackungs-Tricks zwangsläufig zur reinsten Polemik. Zu einem nahezu lächerlichen Versuch einer Entschuldigung, die obendrein das eigene Image poliert. Ganz so, als könne man das Befeuern von Zweifeln und Komplexen mit ein paar netten Worten ungeschehen machen. So einfach ist es aber nicht. Weil das Verhältnis zu unseren eigenen Körpern es eben auch nicht ist.
Mit der Pubertät verändert sich unser Äußeres, aber auch das Innere, die Haltung, mit der wir uns gegenüber treten. Der Köper wird aufgrund fehlender Körperdiversität in den Medien und der damit einhergehenden Huldigung von zumeist unerreichbaren Idealen, nicht selten zum Feind. Und bleibt es im schlimmsten Fall auf ewig. Auch, weil uns schon früh beigebracht wird, in Konkurrenz zu einander zu stehen, uns permanent zu vergleichen, selbst mit den utopischsten aller Abziehbilder, deren Beine durch Photoshop gen Unendlichkeit wachsen. Laut Statistik etwa wollen tatsächlich zwei von drei Frauen abnehmen – wie praktisch für einen Markt, der durch Unsicherheiten genährt wird und Profit aus unserem Selbsthass zieht.
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Das Normalisieren von Diäten ist längst geglückt und zwar so sehr, dass kaum jemanden überhaupt noch aufzufallen scheint, wie unverantwortlich Medien mit der Gesundheit ihrer LeserInnen umgehen, wie sehr wir selbst im Hamsterrad des Brainwashings festhängen. Nicht nur wird das undogmatische Essen und Trinken per se zur Sünde und wir zu unweigerlichen Mängelexemplaren degradiert, durch das verbal verletzende Herausstellen vermeintlicher Makel („Hüftgold-Horror! Beach-Blamage! Plautzen-Posing!“) und das ständige Begleitgefühl, nicht dünn oder schön genug zu sein, weil die Selbstoptimierung ohnehin keine Grenzen kennt. Es wird vor allem Bullshit-Bingo mit gefährlichen Diät-Versprechen gespielt, die noch dazu so gut wie nie aus der Feder von ExpertInnen stammen – sondern höchstens den Google- und Copy/Paste-Skills von RedakteurInnen und PraktikantInnen entspringen, die im Grunde gar keine andere Wahl haben, als sich dem Druck ihrer Verlage zu beugen.
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Was fehlt, ist mehr Wahrheit, mehr professionelle Aufklärung. Über Risiken. Oder alles, was nach der Diät kommt. Und Magazine, welche die Realität von Frauen ernst nehmen.
Denn natürlich wäre auch mir eine Zeitschriften- und Onlinelandschaft lieber, die gänzlich ohne Tipps zum Entschlacken auskäme. Die Frage ist nur: Würde das Blackout helfen? Gingen mit den hirnrissigen Artikeln auch die echten Zweifel? Was war zuerst da? Henne oder Ei? Hilft es, ein Thema totzuschweigen, das so viele von uns bewegt? Oder muss vor allem das „Wie“ sich ändern? Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Ich kann nur mutmaßen. Weil ich mir diese kranke Scheiße, mit der Magazine um ihre Zielgruppe buhlen und gleichzeitig vergiften, nicht eine Sekunde ansehen kann, ohne Wut zu verspüren. Auf diesen genialen Marketingtrick, der immer Spuren hinterlässt, aber keine guten. Der das Gefühl verstärkt, niemals genug zu sein. Und Krankheiten triggert, die tödlich enden können. Ich bin für grenzenlose Aufklärung und den niederschwelligen Zugang zu Informationen – aber am richtigen Ort, in einer gesunden Umgebung, dort, wo Menschen mit Ahnung und Wissen Fakten statt Fake-Versprechen teilen. Ich wäre noch nicht einmal unglücklich über ein Verbot von oberflächlichen Diät-Artikeln in Mode- und Lifestyle-Magazinen. Weil es gefährlich ist und bleibt, über Dinge zu schreiben, von denen man keine Ahnung hat. Weil sich die damit einhergehende Verantwortung nicht länger beiseite schieben lässt. Was wir lesen und sehen beeinflusst schließlich auch unser Handeln.
Und so kommt es, dass ich immer wieder Frauen dabei beobachte, wie sie es der Inside gleichtun. Ich ertappe sie im Vorbeigehen dabei, wie sie sich darüber echauffieren, dass eine junge Frau ihre zu dicken Beine in zu kurze Hosen steckt. Ich fühle, wie sie sich für einen Moment größer fühlen, wenn sie andere eiskaffeeschlürfend klein machen können, mit vorgehaltener Hand. Aber: Steckt das wirklich in uns? In ihnen? Oder handelt sich hierbei eher um einen widerlichen Lerneffekt, im schlechtesten aller Sinne? Ich kenne zudem Frauen, die im Sommer nur lange Hosen tragen oder Schwimmbäder meiden, aus Scham. Und ertappe mich sogar selbst dabei, über meinen Körper zu schimpfen, der mich doch eigentlich jeden Tag durchs Leben trägt.
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In Wahrheit ist wohl kaum jemand über Selbstzweifel erhaben. Und glaubt mir, ich würde mein letztes Hemd dafür geben, euch hier und heute mit Trommelwirbel im Rücken eine Weisheit hinter die Ohren schreiben zu können, die euch jeden Hass vergessen lässt, die euch lehrt zu lieben, jedes gesunde Kilo, das mit euch durch den Alltag jagt. Nur gibt es die nicht. Es gibt nur euch. Aber das ist mehr als genug. Ihr seid genug. Wir sind es. Zusammen. Dellen und Wellen forever. Und Dehnungsstreifen so schön wie die funkelnde Oberfläche des Liepnitzsees. Hängende Brüste, die vor lauter Freiheit wippen – wie unendlich schön. Ich meine überlegt doch mal: Was ist wirklich schön? Ihr wisst es doch selbst. Menschen, die Spaß haben, an sich selbst und dem Leben. Verschenkt eure Waagen, am besten sofort. Und freut euch endlich darüber, dass ihr hier seid – statt eure Zeit an tausend kleine Zweifel zu verschenken.