Wie kann es sein, dass 90% der vorab vereinbarten Treffen mir in der Regel kurz vorher den letzten Nerv rauben? Nicht etwa weil die Person, die ich im Begriff bin zu treffen, nicht durchaus geschätzt und gemocht wird, nicht weil ich ernsthaft keine Lust verspüre. Der gesetzte Termin, der fixe Abend, Tag oder Nachmittag, macht mich mürbe. Ist das eine Freelancer-Krankheit oder ein Trend?
Einiger Fixpunkte bedarf es schlichtweg. Da haben wir Geburtstage, Theaterbesuche, oder das Check Up beim Arzt. Kurz bevor ich mich auf den Weg mache steigt oftmals der Stresslevel, egal, um welche Kategorie von Treffen es sich handelt.
Auch wenn alles beim Aufeinandertreffen wie verflogen scheint, ich die Freund*innen herze und ihnen um den Hals falle, ist da unmittelbar – oder am Tag vorher – in der Regel ein beklemmendes Gefühl, das mich plagt. Just in diesem Moment hätte ich doch etwas besseres zu tun, heute passt es mir eigentlich gar nicht, kann man da noch absagen? Werden Menschen spontan geboren? Wenn ich zurückblicke, waren auch Verabredungen in meiner Jugend selten im Terminkalender eingetragen, eher glückliche Fügungen. Besonders glücklich, wenn man fröhlich fast den gesamten Freundeskreis seine Nachbarn nennen kann. Fünf Minuten Fußweg, die Mittagspause am heimischen Schreibtisch, passt wie Arsch auf Eimer und musste nicht mal vorab festgelegt werden. WhatsApp Sprachnachricht, 15 Minuten kurz vor knapp.
Wenn es nach mir ginge, könnten alle Verabredungen so laufen, fest davon überzeugt, dass diese spontanen Dates am Ende doch die besten sind, ganz locker und offen für alles, besonders am Abend für jeden Spaß zu haben. Komisch nur, dass das, was für die einen so gut funktioniert, für viele andere nur schwer erträglich oder möglich scheint. Auch mit der größten Liebe im Herzen für alle Menschen um einen herum, fällt es mir schwer auf Anfragen für Abendessen, Spaziergänge und Kinobesuche schon eine Woche vorher frohlockend zu reagieren. Nicht etwa, weil ich mir proaktiv etwas freihalten will, eher weil ich nicht weiß, wie die Stimmung, die Laune oder das Wetter an besagtem Tag sind. Freihalten für die eigene Stimmung quasi. Freihalten. Also doch.
Spontanität, das ist sowohl eine Psychologische als auch eine philosophische Größe. Nach dem Psychologen und Sozialforscher Jacob Moreno (1964), steht Spontanität in direkter Verbindung mit der Kreativität des Menschen, welche zu einer der höchsten Erscheinungsformen des produktiven Lebens gehört. Spontanität und das individuelle Wohlbefinden seien laut Moreno direkt miteinander verbunden, führen in der Quintessenz und übertragen auf Lebensrealitäten zu dynamischeren, kreativeren und am Ende glücklicheren Vergemeinschaftungen. Und dann ist da noch dieser süße Geschmack des dynamischen, jungen Lebens nach dem so viele suchen. Ganz ohne Einschränkungen. Frei wie der Wind umherzustreifen und gezielt Termine und zeitliche Grenzen vermeiden. Spontanität klingt romantisch und jung. Es klingt schlichtweg nach einem guten Flow.
Während viele Menschen in meinem Umfeld wie besessen der Dynamik des spontanen Großstadtlebens nachrennen und vorab eigentlich nur selten wissen, wie die kommende Woche aussieht, schließt dieses Credo am Ende die aus, die mit ihrem Beruf, ihrer Familie oder ihrer Gesundheit einem anderen Rhythmus folgen müssen oder wollen. Wenn die selbstbestimmte Zeit auf ein Fenster beschränkt ist, liegt es natürlich nahe, genau hier zu planen, nicht alles frei zu lassen bis sich am Donnerstag um 18:30 Uhr überraschend jemand meldet und zum Italiener gehen möchte. Die gleichen Menschen, über die sich Fans der spontanen Freizeitgestaltung am Ende aufregen. Die hätten nämlich nie Zeit, seien immer verplant. Nur wenn die nächste Woche ausklamüstert werden will, zieht der spontane Geist sich ganz schnell zurück. Wieder ein Wiederspruch. Gibt es kein treffen in der MItte?
Pläne geben Sicherheit. Sicherheit für die Abendbeschäftigung, die reservierten Plätze im Kino oder geplante Dinner mit Freunden. Gleichzeitig setzen sie unter Druck und plötzlich muss Mensch dann funktionieren, wann er*sie es in der vergangenen Woche für angebracht gehalten hat und spurt, mal mehr, mal weniger gerne: Unzuverlässigkeit will sich schließlich keine*r auf die Fahnen schreiben. Macht ein spontanes Leben denn wirklich so viel glücklicher? Moreno halb zustimmend sage ich Jain. Denn wer wie ich auf Spontanität von dritten beharrt bleibt unzufrieden und verbaut sich mir nichts dir nichts Pläne, Ideen und im schlimmsten Falle sogar Freundschaften. Nur weil man ahnt, dass Tag X um 11:11 Uhr vielleicht doch nicht der beste Zeitpunkt für ein Treffen sein könnte. Was bleibt, ist der ambitionierte Versuch, auch dem eher getakteten Geistern auf gut Glück immer wieder ein Treffen anzubieten, spontan versteht sich, sodass sich beide Seiten hin und wieder entgegenkommen können. Sich hin und wieder auf den fixen Termin einzulassen, gehört am Ende also auch dazu.