Es dauerte ungefähr einen Schluck Espresso lang, bis meine müde Freundin mit einem Mal wieder ganz munter wurde, sich dezent in Rage quatschte, ein paar Kuchenkrümel verlor und schließlich schwer genervt nachfragte, ob mir das denn eigentlich noch nie aufgefallen sei, dass Paar-Menschen, also solche, die in Beziehungen stecken, wirklich erstaunlich oft über andere Paare reden würden. Gleichzeitig patschte sie mit beiden Händen an meinen Schultern herum, schüttelte mit dem Kopf und sagte: Kapier‘ ich nicht.
Auch ich hätte gern mit dem Kopf geschüttelt, in diesem Moment, weil mir zum ersten Mal dämmerte, was die Leute wohl alles über meinen Freund und mich denken oder sagen könnten, wenn sie denn wollten. Genug Futter gäbe es ja, ich bin schließlich nicht ballaballa. Plötzlich war also auch ich ganz sicher: Ja – Menschen reden schweinegern über Paare. Und zwar nicht nur über die aus den Magazinen. Oder meine ich das nur? Möglich.
Wegen der Metamemory zum Beispiel, oder der „unbeabsichtigten bewussten Erinnerung“, die unter anderem dafür sorgt, dass wir ein Wort, das wir gerade erst neu gelernt haben, fortan ständig hören, obwohl wir schwören könnten, ihm zuvor niemals begegnet zu sein. Es mag also sein, dass mir schlichtweg nie aufgefallen ist, dass Paare, ach was, Menschen gern über andere Paare und Beziehungen tratschen, im guten wie im schlechten Sinne, aber jetzt, wo ich selbst wieder ein Pärchen bin, sind meine Antennen weit ausgefahren. Stichpunkt: Autoaggression. Oder besser: Heimlicher Fremdscham. Den kennen wir doch, jetzt seid mal ehrlich, alle. Ich meine, vergesst „Schatzi“. Der Mann und ich sind mittlerweile bei „Schnurzel“ angelangt, auch im Restaurant und sogar am Telefon. Wäre ich nicht ich und würde ich dem Ursprung dieser behämmerten Kosenamen (The Bates – „Schnoitzelchen“) außerdem ahnungslos gegenüber stehen, mir würde auf lange Sicht vermutlich auch der Vogelfinger entgleiten.
Es geht ja aber gar nicht nur um harmloses Gerede hinter vorgehaltener Hand über neue Konstellationen, ums Miesmupfeln über andere und Belächeln schräger Angewohnheiten, sondern ganz grundsätzlich um das Kommentieren fremder Beziehungen oder besser: das konstante Beobachten. Und Besserwissen.
Eine schnelle Umfrage im Freundes- und Bekanntenkreis ergab jedenfalls, dass ich mit diesem (neuen) Eindruck nicht gänzlich allein dastehe. Während die einen immer wieder zu hören bekommen, sie müssten jetzt endlich mal zusammen ziehen oder Kinder kriegen oder heiraten oder zumindest Schluss machen, ärgert sich das nächste Paar darüber, seit einem ebenso kurzen wie menschlichen Rumpelstilzchen-Moment auf offener Straße als quasi geschieden zu gelten, in der gesamten Nachbarschaft. Da kommt Freude auf.
Es ist nunmal so herrlich einfach. Über fremdes Verhalten zu sinnieren, statt sich selbst zu reflektieren. Und außerdem: Einfacher, die eigenen Macken zu akzeptieren, sobald wir sie auch an anderen entdecken, einfacher, daran zu glauben, dass am Ende alles gut wird, solange sich die anderen auch mal fetzen, einfacher, sich selbst ziemlich okay zu finden, während die anderen gerade dabei sind, mächtig überzuschnappen. So weit, so in Ordnung; der Identifikationsfaktor ist schließlich extrem hoch. Und abgleichen kann mitunter sogar gut tun – solange man sich nur nicht ständig fest beißt, an der eigenen Unzulänglichkeit und den Fehlern anderer, solange man sich davor hütet, in Konkurrenz zueinander zu treten. Das ist nie eine gute Idee. Aber bekanntlich riesengroßer Quatsch. Und doch passiert es immer wieder. Schade, dachte ich erst neulich, als ich einer entfernten Bekannten davon erzählte, dass ich ein Paar wiedergetroffen hätte, nach Jahren, das wir beide noch von früher kennen. Ein Traumpaar, fuhr ich fort, fast irre. Bis von der Gegenseite schließlich eine schwere Decke aus aber, aber, aber über meine Euphorie gestülpt wurde. Ihr kennt das sicher.
Denn das Gehirn hat selbstredend jede Menge Tricks auf Lager: Stört uns nämlich etwas an fremden Leben oder Lieben, täten wir nicht selten sehr gut daran, uns selbst zunächst ganz aufrichtig zu fragen, ob uns irgendetwas fehlt. Dann nämlich könnte es sich durchaus um reine Projektion handeln, immer dann, wenn wir anderen Menschen Eigenschaften, Schwächen oder Probleme zuschreiben, die in Wahrheit in uns selbst oder eben der eigenen Beziehung keimen. Wenn wir heimlich sauer sind, gewisse Dinge nicht selbst auf die Kette zu kriegen. Ganz abgesehen davon meine ich außerdem, dass eine der schwierigsten Aufgaben des Großwerdens wohl die ist, sich aus dem Hamsterrad des ewigen Vergleichens zu befreien. Orientierung ist viel besser. Aber genau die fehlt manchmal, wenn man plötzlich ein Pärchen ist. Es kann also durchaus sehr hilfreich sein, nach rechts und links zu schauen. Statt rüber nach Hollywood. Was machen die eigentlich schlauer als ich, was könnte auch zu meinem Leben passen, was möchte ich dazulernen? – das klingt doch schon gleich viel besser als Was ist eigentlich bei denen kaputt?
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Die Krux liegt doch ohnehin in der Diskrepanz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung, im Unterschied zwischen dem, was in Zweisamkeit oft ganz anders ist als unter Leuten. In den allermeisten Fällen haben wir doch überhaupt gar keine Ahnung von den Beziehungskisten anderer.
Ich kenne Paare, die sich von ganzem Herzen lieben, seit unendlich vielen Jahren, die bis über beide Ohren glücklich miteinander sind und fluchen und schnauben und motzen und streiten wie die Kesselflicker, beim Grillen oder Trinken oder einfach so. Ich kenne Paare, die ständig knutschen. Und solche, die lieber auf Abstand gehen. Ich kenne Paare, die sich nie übereinander ärgern und solche, die meinen, Zanken sei regelrecht gesund. Und ich kannte mal Paare. Die gibt es jetzt nicht mehr. Obwohl man sich vielleicht erzählt, dass niemand sie jemals hat fluchen hören.