Die Innenräume der Parochialkirche in Berlin Mitte wirken beeindruckend mit all ihren hohen Decken und sind dabei doch weniger pompös als schlicht. Die Wände geben Einblick auf das rötliche Gemäuer, lassen Raum für Visionen und Kreationen. Wohl schon deshalb hätte es keinen besseren Ort für die Rückkehr Nobi Talais nach Berlin geben können. Seit 2016 hatte das Label hinter der in Teheran geborenen Designerin Nobieh Talaei seine Entwürfe in Paris gezeigt, für die Spring Summer 2020 Kollektion ging es nun also zurück in die deutsche Hauptstadt.
Der offizielle Beginn der Show ist für 19 Uhr am Donnerstagabend angesetzt, durch die vorherige Modenschau von William Fan kündigen sich jedoch recht schnell Verspätungen an. Dennoch ist die Kirche bereits gut gefüllt, mit allerlei Menschen, die sich entweder gesetzt haben oder noch immer auf der Suche nach ihrem Platz sind. Schon die Anordnung der Kirchenbänke lässt den weitläufigen, schlaufenförmigen Runway erkennen, den die Models wenig später hinabschreiten werden.
Irgendwann dann wird es still, die letzten Gäste eilen zu ihren Plätzen, die ersten Kameras werden aufgerichtet. Doch trotz Verspätung lässt der Beginn der Schau weiterhin auf sich warten, was einerseits in einem Spannungsaufbau endet, andererseits jedoch auch genügend Zeit gibt, die Atmosphäre der Kirche vollends einzusaugen. Denn, ganz sicher, formt sich hier mit all den Eindrücken des Interieurs und den Gästen der Modebranche eine ganz eigene Aura, die beinahe mystisch erscheint. Verstärkt wird all das noch durch ruhige Klänge, die zunehmend aus den Boxen ertönen.
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Als schließlich das erste Model in schnellen Schritten durch die Reihen läuft, gibt es für einen kurzen Moment einen Bruch, bis die Musik von einem härteren Beat unterlegt wird, in dessen Takt die fließenden Stoffe mitschwingen. Und überhaupt wäre fließend wohl die passende Beschreibung für Nobi Talais Kollektion, müsste man sie denn in ein Wort fassen. Denn nicht nur die weiten Silhouetten, auch die zurückhaltenden Farben wie etwa Sand, Weiß und Schwarz präsentieren einen fließenden Übergang zwischen maskulin und feminin. So widmet sich Nobieh Talaei übergroßen Hemden, auf Herrenmaße zugeschnittenen Blazer, sportlichen Safarijacken und lockeren Trenchcoats, verleiht ihnen durch raffinierte Elemente dennoch eine Weichheit. Neben schmalen Gitterkaros und Laserschnitten nehmen Drapierungen und Biesen den einzelnen Stücken die Strenge und lassen sie gleichermaßen unkompliziert als auch entspannt wirken.
Die insgesamt 40 Looks fügten sich zu einem ganzen, untrennbaren und harmonischen Bild zusammen und doch stechen einige Designs besonders hervor. Etwa der weite gräuliche Trenchcoat, der durch die großen Taschen und weißen Nähte den Einfluss der Menswear-Mode erkennen lässt. Oder das schwingende, dunkelblaue Maxikleid, das auf den ersten Blick vielleicht nicht als sonderlich tragbar erscheint, beim zweiten Hinsehen aber sehr wohl eine Brücke zwischen Extravaganz und Schlichtheit bildet – auf eine ganz eigene Weise eben. Auch auf dem ledernen Shirt in einem blassen Pfirsichton bleibt der Blick ein wenig länger hängen. Und zwischen all diesen Looks sind da auch immer wieder diese Schuhe mit den dicken Sohlen und klobigen Plateauabsätzen des Labels Trippen. Ein weiterer Aspekt, der Nobi Talais Drang zum modischen Komfort und alltäglicher Tragbarkeit unterstreicht.
Zwar mag es in der Kollektion keine großen farblichen Sprünge geben, dennoch spiegeln vor allem die monochromen Looks eine moderne Vision wider, die durch Drapierungen, Falten und Details hervorgehoben werden. Nein, für die Kollektion des Berliner Labels brauchte es keine Funken oder lauten Statements, um sich in den Köpfen festzusetzen. Vielmehr schleichen sich die Stücke langsam ein, um lang anhaltend und nachwirkend zu bleiben. Umso schöner wäre es also, wenn die Schau in Berlin nicht nur ein kleiner Gastauftritt Nobieh Talaeis war und es in der Hauptstadt künftig wieder ein wenig mehr von ihr zu sehen gäbe − wir zumindest würden uns freuen.
Weitere schöne Looks von der Show: