Heldengeschichten sind vor allem Geschichten über Männer. Sie handeln von tapferen, starken, überlegenden Männern, von solchen, die furchtlos kämpfen. Gegen das Böse, hoffentlich. So war es schon immer. In der griechischen Antike ertranken Herakles, Achilleus und Sigfried geradezu in ihrer von Muskeln getragenen Männlichkeit, es folgten große Krieger und treue Ritter, später Soldaten und schließlich waschechte Superhelden, die sich ihren Weg vom Comic hinauf auf sämtliche Kinoleinwände der Welt bahnten und fortan zum festen Bestandteil hunderttausender Kinderzimmer wurden.
Wir hatten also die Wahl: Prinzessin sein oder noch ein bisschen weiter träumen. Von den Karrieren männlicher Sportler oder Wissenschaftler zum Beispiel. Denn auch im echten Leben war das einzig wirklich dominante Narrativ stets geprägt vom Bild des in vielerlei Hinsicht genialen Mannes. Die meisten der uns vorgesetzten weiblichen Vorbilder hingegen, konnten dafür singen, schauspielern oder einfach nur gut aussehen. Als Mädchen musste man auch in den 2000ern noch findige Eltern oder einen großen Willen haben, um überhaupt andere Mädchen und Frauen entdecken und bewundern zu können, die weniger aufgrund von Oberflächlichkeiten, sondern tatsächlich wegen ihres außergewöhnlichen Könnens Geschichte schrieben. Nicht etwa, weil es sie nicht gab, keineswegs sogar. Sie waren bloß kein großes Thema. Weder in Geschichtsbüchern, noch im Gros der Medien.
Dabei waren es schon 1969 Margaret Hamiltons Entwicklungen und ihre handgeschriebene Flug-Software, die den Abbruch der Apollo-11-Mondlandung verhinderten. In der Öffentlichkeit gefeiert wurde indes Neil Armstrong – als erster Mann auf dem Mond. Drehen wir die Zeit noch etwas weiter zurück, stoßen wir sogar auf Autoren, die es überhaupt nicht gab: Acton, Currer und Ellis Bell zum Beispiel. Weil es in Wahrheit nämlich weibliche Autorinnen waren, genauer die legendären Brontë-Schwestern, die sich allein deshalb hinter den männlichen Pseudonymen versteckten, um in einer misogynen Gesellschaft Gehör zu finden. Ein Dank gilt deshalb unbedingt auch Menschen wie Alice Wroe. Die Künstlerin gründete 2014 das Projekt „HERstory“ und hinterfragt damit eine (Menschheits-)Geschichte, die nicht nur von Männern handelt, sondern auch von Männern (auf)geschrieben wurde, über Jahrhunderte („HISstory“). Der Eindruck, den selbst Schulbücher bis heute vermitteln, getreu dem Credo „Männer handelten, Frauen kamen vor“, ist doch mitnichten nur ein Symptom von patriarchalen Machtstrukturen, sondern eben auch: Ein großes Missverständnis. Und während wir gerade noch dabei sind, die Defizite von damals zumindest in den Gehirnen unserer Kinder auszubügeln, mit Gesprächen über Vielfalt und Gleichberechtigung oder den
„Good Night Stories for Rebel Girls„, passiert in der Welt da draußen zeitgleich etwas Wunderbares – Aus Helden werden endlich: Heldinnen.
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Vielleicht hat alles mit dem gesamtpolitischen Status Quo seinen einzig logischen Lauf genommen. In einer digitalen Welt, die bis oben hin vollgestopft ist mit sich aufbäumenden, protzenden Entscheidungsträgern und Meinungsmachern braucht es längst keinen Herkules mehr, sondern Köpfchen. Die Ära der Snowdens brach zum ersten Mal mit dem in die Tage gekommenen Bild des überzeichneten männlichen Retters. Jetzt stand da in gewisser Weise: Ein Mensch. Mit wenig Kraft, aber vielen Idealen. Niemand will doch mehr vermeintliche Superhelden sehen, die mit leeren Versprechen um sich werfen. Die Währung der echten Heldinnen und Helden ist heute vor allem ihre unbändige moralische Überlegenheit, die rein gar nichts mehr mit dem Narzissmus einstiger Helden der Geschichte gemein hat.
Es ist, als fordere die Gesellschaft also schlussendlich ein, was ihr viel lange verwehrt blieb. Als hätten die Medien mit einem Mal begriffen, wie wichtig sie sind, für ganze Generationen, unabhängig von Alter, Herkunft und Geschlecht: All die Aktivistinnen und Politikerinnen und Sportlerinnen, deren moralischer Kompass viel mehr wiegt als jedes Kilo Muskelkraft oder Macht. Die niemals Heldinnen sein wollten, sondern zu welchen wurden – weil sie taten und tun, was sie für das einzig Richtige halten. US-Fußballerin Megan Rapinoe zum Beispiel, die nach dem WM-Finale noch auf dem Rasen gegen Homophobie und für Gleichberechtigung protestierte und sich mit Trump anlegte, Klima-Aktivistin Greta Thunberg, die Fridays for Future zu einer globalen Bewegung machte und unermüdlich für den Klimaschutz kämpft, mittlerweile Seite an Seite mit US-Demokratin und Polit-Rockstar Alexandria Ocasio-Cortez, die der republikanischen Elite laut und eloquent die Stirn bietet, oder Sea Watch-Kapitänin Carola Rackete, die sich mit der italienischen Regierung anlegt, um Menschenleben zu retten und lieber ins Gefängnis geht als sich verfassungswidrigen und menschenverachtenden Gesetzen zu fügen.
Sie alle haben etwas inne, das der Politik vor langer Zeit abhanden gekommen ist: Eine Überzeugungskraft, die ohne Hochmut auskommt. Und wir hören, vielleicht zum ersten Mal seit langem, wieder ganz genau zu. Nicht, weil wir hoffen, gerettet zu werden – sondern weil wir so unendlich viel lernen können. Die vielleicht wichtigste Botschaft dieser neuen Heldinnen lautet nämlich: Wir sind wie ihr. Und ihr könnt das auch, wenn ihr nur wollt.