Live-Action-Remakes alter Kino-Klassiker sind Disneys neues Ding und vor allem für Sprösslinge der 80er und 90er Jahre eine Reise zurück in die goldenen Zeiten von VHS Kassetten und ersten Kindheitsheld*innen. Momentan läuft etwa Aladdin in den Kinos, The Jungle Book erschien 2016 und Der König der Löwen kommt auch zurück. Nichtig, würde man meinen – nicht jeder Erwachsene ist schließlich bis heute dem Zeichentrick-Hype von damals verfallen. Darum geht es aber auch gar nicht immer. Um Euphorie und Vorfreude, meine ich. Meckern hingegen, scheint niemals aus der Mode zu kommen – was in diesem ganz besonderen Fall nicht nur schade, sondern auch extrem bedenklich is. Nostalgie hin oder her.
Vergangene Woche wurde nämlich endlich die Hauprollenbesetzung für „My Little Mermaid“ bekannt gegeben, die Neuverfilmung von „Arielle, die kleine Meerjungfrau“ (1989), die voraussichtlich 2020 in Produktion gehen wird: Halle Bailey ist 19, RnB Sängerin aus den Vereinigten Staaten und für viele im Hollywood Kosmos noch kein Begriff. In den vergangenen Tagen stand Twitter dennoch in Flammen: Eine Schwarze Arielle? Das geht ja wohl zu weit.
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Die Debatte über Rollenbesetzungen und Jobs in der Filmindustrie ist immer auch eine Debatte über Inklusion, Repräsentation und Identifikation. Nach einer zu Beginn des Jahres veröffentlichten Untersuchung von Kira Schacht, sind Kinoleinwände noch immer weit entfernt davon, eine repräsentative gesellschaftliche Wirklichkeit abzubilden. Weiße Menschen gelten sowohl vor als auch hinter der Kamera unangefochten als Strippenzieher*Innen. Und auch laut der Zahlen des Diversity Reports bewegt sich die Filmbranche nur ganz langsam in Richtung einer ausgeglicheneren, gerechteren Repräsentation. Eine Schwarze Frau, die Arielle spielt, ist also ohnehin schon etwas „besonderes“, etwas, worüber die Menschen auch deshalb reden, weil die Disney-Adaption des Märchenklassikers von Hans-Christian Andersen uns vor allem die Geschichte einer weiße Nixe mit rotem Haar ins Gedächtnis gebrannt hat. Während die geplante Besetzung durch Halle Bailey für viele Menschen ein Gewinn auf ganzer Linie ist, gerade weil das öde Klischee von ewig weißen Meerjungfrauen endlich durch Vielfalt ersetzt wird,
gibt es erschreckend viele Stimmen da draußen, die sich über die Entscheidung für eine Woman of Colour in der Arielle-Hauptrolle geradezu echauffieren, ja sogar zum Boykott des Films aufrufen. Nur am Rande: Wie war das denn eigentlich damals, als die wundervolle Brandy 1997 in der Rolle der „Cinderella“ glänzte?
Diese #NotMyAriel-Leute sind jedenfalls richtig sauer. Etwa darüber, wie weit „diese nervige Political Corretness“ inzwischen geht. Unrealistisch sei das doch. Eine schwarze Meerjungfrau! Geht doch gar nicht, wie soll man schließlich „braun werden“, da unten im Meer? Wir sehen hier also ganz deutlich, was es tatsächlich bedeutet, wenn eine junge Schwarze Schauspielerin eine Figur spielt, die im kulturellen Gedächtnis als weiß abgespeichert ist: Da verfallen sie reihenweise in rassistische Denkstrukturen – und merken es teilweise noch nicht einmal.
„Unrealistisch ist das natürlich, aber weniger der Hautfarbe wegen. Hätten diese Leute nicht spätestens beim Disneyfilm von 1989 skeptisch werden müssen, was die realistische Komponente betrifft? Als die Krabbe Sebastian, Hofmusikant von König Triton, sang: „Die Kröt spielt die Flöt, die Larv zupft die Harf, die Brass schlägt den Bass, klingt der Sound nicht scharf?“ War das nicht auch schon nicht ganz richtig, irgendwie?“ |
Man könnte ja eigentlich meinen, wir hätten so eine Debatte über die Hautfarbe einer Jungschauspielerin nicht mehr nötig. Aber Repräsentation wird unweigerlich noch lange Thema bleiben und zwar eines, das sogar die Besetzung von Disney-Klassikern zu einem wichtigen macht. Wegen der Reaktionen, die als Spiegel funktionieren, ja. Aber auch oder besser: vor allem, wegen derer, die unter der fehlenden Repräsentation leiden.
Denn: Welche Disney-Prinzessin, welche Kindheitsheldin, welcher Kinostar war es, der oder die es uns in jungen Jahren besonders angetan hat? Mit wem haben wir uns identifiziert Wer wollten wir sein? Rollenspieler im Kindesalter sind wichtig. Und auch als erwachsener Mensch können Vorbilder eine große, gute Wirkung haben. Das führt uns erneut zur spärlich vorhandenen gesellschaftlichen Sichtbarkeit von BIPOC (Black, Indigenous & People of Color). Es ist ein Gefühl des „nicht-Dazugehörens“, das Gefühl, gar nicht gemeint oder adressiert zu sein, welches von ganz allein eintritt, wann immer die Held*innen der beliebtesten Kinder- und Jugendgeschichten visuell überhaupt nichts mit dem eigenen Aussehen zu tun haben – ich erinnere mich noch gut daran.
Der Mangel an Repräsentation ist für Schwarze Menschen und POC ebenso schädlich wie die falsche Form von Repräsentation. Stereotypen in Filmen und TV-Shows haben die allgemeine Haltung gegenüber bestimmten Minderheiten nachhaltig verzerrt und geschädigt. Die Angry Black Woman etwa haben wir an dieser Stelle bereits besprochen und auch „die Schwarze beste Freundin der Hauptrolle“ oder die Bezeichnung “Quotenschwarzer“, ist vielen ein Begriff. Trotz eines wenig zufriedenstellenden Status Quos, ist die Kinolandschaft dabei, sich langsam aber sicher zu verändern: In den letzten zwei Jahren waren mehr als die Hälfte der großen Kassenschlager Filme mit ethisch diverseren Darsteller*innen oder BIPOC in Hauptrollenbesetzungen: „Get Out“, „Black Panther“, „Crazy Rich Asians“ oder „Hidden Figures“ sind nur einige Beispiele. Der Erfolg dieser Filme hat eindeutig gezeigt, dass es möglich ist, überaus erfolgreiche Filme zu produzieren, die nicht nur weiße, sondern unterschiedlichste Lebensrealitäten und eine bunte Gesellschaft abbilden.
Umso erstaunlicher ist es doch, dass es jetzt plötzlich (oder erstmals?) die weißen Rezipient*innen sind, die sich aufgrund der „falschen“ Darstellung eines Wassermenschen nicht-repräsentiert fühlen. Und: Sind das etwa die gleichen, die so gern von sich behaupten, einen Unterschied in der Wahrnehmung von Schwarzen und weißen Menschen gäbe es für sie nicht?
Die Debatte über eine „unrealistische“, Schwarze Meerjungfrau ist eine einzige Farce. Weil Menschen darauf beharren, dass eine Märchengestalt weiß zu sein hat. Weil es realistischer wäre, versteht sich. Komisch nur, dass es niemanden stört, dass die Rolle an jemanden mit zwei Beinen statt einer Flosse vergeben wurde. Nein, nicht die Jungschauspielerin ist das Problem. Sondern die Empörung. Die zumindest auch immer einen Zweck erfüllt: Sie sollte uns beispielsweise erneut daran erinnern, dass es dringend nötig ist, die Rolle von Race im Kontext einer komplexen Medienlandschaft zu hinterfragen. Auch auch im echten Leben: Wir sind noch meilenweit von einer Rassismus-befreiten Gesellschaft entfernt, die „keine Hautfarben mehr sieht“.
Ein offizielles Statement von Disney zur traurigen Kontroverse gibt es nicht. Der US Sender „Freeform“, der allerdings zur Disney-Familie gehört, ließ sich das folgende Statement jedoch nicht nehmen:
Geht die #NotMyAriel Crowd komplett in Flammen auf, wenn rauskommt, dass Sebastian nicht von einer echten tanzenden und singenden Krabbe gespielt wird?
— RadioNowhere (@Schmidtfire) 5. Juli 2019