Neue männliche Körperbilder, Schönheitsrituale unter Männern und das Spiel mit maskulinen und femininen Elementen – Fabian Hart schreibt in seinen Kolumnen und Blogbeiträgen über Themen, die andere tabuisieren. Er erzählt von Selbstfindung, Grenzaufhebung und Befreiung, überträgt diese Themen auch auf seinen Instagram Account und zeigt sich mal in Crop Tops und Drag. Erst kürzlich zog es ihn von Hamburg nach Brooklyn, wo er mittlerweile wohnt und arbeitet. Unser Interview findet deshalb per Telefon statt, gut 70 Minuten sprechen wir etwa über männliche Schönheitsideale, Diversität in der LGBTQ+ Community und neue Männlichkeitsrollen.
In der Serie RuPaul’s Drag Race sprachen Teilnehmer darüber, dass in der Gay Community ein großer Druck herrsche, einem bestimmten Körperideal zu entsprechen. Welche Schönheitsideale gibt es überhaupt in der Community?
Im Grunde genommen unterliegen wir alle denselben Körperidealen und auch ihrem Wandel, sie gelten nie nur für eine Gruppe, Szene oder Community. Drag Queens sind da natürlich ein Stück außen vor, da sie immerhin die Illusion von Weiblichkeit kreieren, aber die Idee davon, wie ein weiblicher Körper auszusehen hat, ist ja auch nichts Statisches. Neue Frauenbilder beeinflussen so auch Drag und sowieso gibt es viele unterschiedliche Drag-Charaktere: „Butch Queen“, „Fishy Girl“, „Pageant Beauty“, etc. Drag beeinflusst als Teil von Mainstream-Pop auch unsere Vorstellung von Männlichkeit. Unter dem Make-up und den Drag Looks stecken aber ganz „normale“ Personen, die sich, wie wir alle, nicht mal eben so von den Standards und Regeln unserer Gesellschaft lösen können. Ob nun queer oder nicht, ob wir uns zugehörig fühlen oder ausgeschlossen werden – wir alle verinnerlichen ungeschriebene Gesetze von klein auf und sind uns später oft gar nicht mehr bewusst, dass wir ihnen folgen…
Das bedeutet?
Wir lernen von klein auf, wie männlich und weiblich auszusehen hat und werden darin trainiert, was sich so gehört als Frau und als Mann. Das fängt mit blauen und rosafarbenen Stramplern an. Obwohl sich die soziale Rolle des Mannes erweitert hat und er längst nicht mehr der ökonomisch Überlegene, Chef oder Versorger sein muss, machen Muskeln und eine große Statur noch immer einen attraktiven Mann aus…
Und wie sieht das Ideal unter homosexuellen Männern aus?
Nur weil du schwul bist, kannst du dich gängigen Körperidealen ja nicht entziehen. Ganz im Gegenteil. Wenn du irgendwann bemerkst, dass du durch deine Homosexualität den Männlichkeitsanforderungen unserer Gesellschaft nicht gerecht wirst, Diskriminierung erfährst und ausgeschlossen wirst, sehnst du dich umso mehr nach Zugehörigkeit.
Body Building ist oft der Versuch, zumindest optisch einen „richtigen Mann“ darzustellen. Vermutlich ist der schöne, muskulöse „Hunk“ deshalb zu einer Gay Icon geworden.
Das heißt, dass stereotypisch weibliche Attribute teils gänzlich vermieden werden, um nicht als unmännlich zu gelten?
Oh ja! Männlichkeit ist grundsätzlich die stete Ablehnung von allen Eigenschaften, die als weiblich gelten. Letztlich ist Homophobie deshalb auch immer Misogynie, denn Diskriminierungen wie „Tucke“, „Tunte“ etc. richten sich gegen „weibisches“ Verhalten. Dinge, die Frauen tun, gelten für Männer erst dann lächerlich, wenn sie von Männern ausgeführt werden. Väter, die in Elternzeit gehen, werden noch immer belächelt. Öffentlich weinen und über Gefühle sprechen oder um Hilfe bitten ist deshalb so tabu für Männer, weil Frau sein schwach sein bedeutet. Dass ein schwuler Mann beim Sex „das Gefäß“ ist, bedroht in den Augen vieler Heterosexueller schlichtweg Männlichkeit.
Die Scham, dass jemand in dich eindringt oder Besitz von dir ergreift, hat sicherlich auch mit dem kompetitiven Verhalten vieler Männer zu tun – unterlegen zu sein oder gar besiegt zu werden, ist die komplette Entmännlichung. Ich glaube, dass deshalb auch viele Schwule Angst davor haben, als schwul wahrgenommen zu werden, weshalb auch das Thema „straight-passing“ eine so große Sache ist, also auf der Straße oder bei einem Gespräch als nicht schwul wahrgenommen zu werden. Auf vielen Dating-Plattformen existieren Bezeichnungen wie „masc 4 masc“, was bedeutet, dass ein schwuler Mann, der sich als maskulin inszeniert, jemanden sucht, der ebenso maskulin scheint.
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An der Stelle kommt dann ja auch letztlich die Mode ins Spiel, also, was trägt man, um besonders stereotypisch maskulin zu wirken.
Ja, klar. Mode ist ja nicht nur Kleidung. Mode ist die Möglichkeit, anderen zu zeigen, wer man sein will, bevor andere dahinter kommen, wer du wirklich bist.
Um kurz bei der Bekleidungsmode zu bleiben: Du bist die erste männliche Person, bei der ich mitbekommen habe, dass sie Crop Tops auf eine nicht-ironische Art trägt…
…dazu muss ich sagen, dass ich ironische Mode generell furchtbar finde. Alles, was ich trage, meine ich nicht ironisch. Ironie ist eine Maske der Unentschlossenheit und Unsicherheit. Wenn dich beispielsweise jemand fragt, was du für „crazy“ Kleidung trägst, kannst du dich immer damit herausreden, dass es nur ein Gag ist. Was das Crop Top betrifft: Ich bin so abgeturnt von Maskulinität, dass ich mich prinzipiell oft feminin zeigen und verhalten möchte.
Deine Antwort erinnert mich ein bisschen an Fastnacht in meiner Heimatstadt Mainz, wenn Frauen knappe Kleidung tragen und es darauf schieben, dass es ja nur ein Kostüm zu einem bestimmten Event sei, sie im wahren Leben aber nie so etwas tragen würden.
Unsere Gesellschaft braucht Fastnacht, um wenigstens einmal im Jahr den Geschlechterrollen zu entkommen. In dieser Zeit sieht man Männer, die Perücken oder Miniröcke tragen, weil sie es witzig finden, sich darin aber auch gut und sexy fühlen…
Was glaubst du, weshalb manche Menschen Probleme damit haben, wenn du ein Crop Top auf offener Straße trägst?
Mein Erscheinungsbild ist durchaus männlich. Ich bin trainiert und groß gewachsen. Eigentlich erfülle ich also alle Erwartungen, die man an das Äußerliche eines Mannes hat. Wenn ich dann ein Crop Top trage, löst es Irritationen aus. Vor einiger Zeit habe ich einen Selbstversuch gemacht und bin an einem Samstag in einem Crop Top über die Hamburger Mönckebergstraße gelaufen – das war, als hätte ich demonstriert.
Welche Reaktionen hast du dabei wahrgenommen?
Es war alles dabei. Von „Schwuchtel“ und „Was hat die Tunte an“ bis hin zu einem wohlwollenden Lachen einer älteren Frau oder einem Kompliment eines Mädchens.
Du hast ja gesagt, dass man mit Schönheitsidealen und Anforderungen an das Verhalten aufwächst, dass man sie anerzogen bekommt. Wie war es bei dir persönlich?
Ich bin mit einer Stiefmutter großgeworden, die meine Männlichkeit schon als Sechsjähriger infrage stellte und justieren wollte, weil ich schon immer etwas zarter war, tanzen und singen wollte und im Zimmer hocken und Bücher lesen statt Skateboard fahren. In der Schule durfte ich nicht einmal Französisch lernen, weil sie es schwul fand – ich musste stattdessen in den Technikunterricht. Eines Tages, ich war 15, bin ich einfach nicht mehr nach Hause gekommen und zu meiner Tante abgehauen. Mein eigenes Leben fing also so richtig mit 15 Jahren an.
Die Auffassung, dass bestimmte Attribute oder Aktivitäten zu feminin sind und sie einem Jungen deshalb zu verbieten, stelle ich mir schwierig vor. Mittlerweile bekommt man ja allerdings häufiger mit, dass sich Jungs und Männer vermehrt trauen, sich offener mit vermeintlich femininen Zügen und Themen auseinander zu setzen. Wie nimmst du es wahr?
Ich merke es durch meine männlichen Follower, die mir immer wieder Fragen zum Thema Beauty stellen. Darunter sind viele Hetero-Jungs, die sich ein ganz neues Pflegeverständnis erarbeiten. Schwierig finde ich allerdings die Annahme vieler, dass Schwulsein im Jahr 2019 kein Problem mehr sei, weil mittlerweile alle so offen sind. Das ist leider ein Trugschluss. Vielleicht ist das Thema in deinem Freundeskreis durch, in Berlin oder in New York, aber es ist auch einfach nachbarschaftsabhängig. Ein Dorf weiter und du stehst in einem Kontext von vor zwei Generationen.
Vor allem, wenn man mitbekommt, wie rückschrittig einige Länder sind.
Brunei, Russland, Polen, Türkei… . Wir sind also noch lange nicht an einem Punkt, an dem wir uns ausruhen können, nur weil wir etwa in Berlin Mitte oder Bushwick ein paar Utopien erschaffen haben, in denen es okay ist, homosexuell zu sein. Ich bin mir bewusst, dass ich als schwuler Mann der privilegiertesten Minderheit der LGBTQI+ Community angehöre. Transsexuelle und Intersexuelle etwa sind weiterhin weitaus radikaleren Diskriminierungen ausgesetzt und so oft auch einfach kein Thema.
Würdest du sagen, dass es auch in der LGBTQI+ Community noch zu wenig Diversität gibt, was beispielsweise Körperformen und Aussehen betrifft?
Ja, ich glaube allerdings nicht, dass es nur ein Problem der Community ist. Generell tut sich ja momentan schon einiges. In den Medien und der Werbung sind People of Color, Menschen in allen Größen und auch queere Personen mittlerweile sichtbarer denn je, aber eben oft auch aus Image-Gründen, da Diversität ein Modewort geworden ist. Solange sich strukturell nichts ändert, und Unternehmen keine Arbeitsplätze für Menschen schaffen, mit denen sie nach außen hin werben, bleiben sie falsche Freunde, Pseudo-Alliierte. Das gilt für uns alle: Wenn alle deine Freunde und auch dein Instagram Feed so aussehen wie du selbst, dann solltest du dich schon fragen, warum das so ist…
Verspürst du heute noch den Druck, einem bestimmten Ideal zu entsprechen? Ob es nun Verhaltensmuster oder Äußerlichkeiten sind?
Klar. Ich meine, wir alle spüren den Druck. Ich will mich da nicht von lossagen. Wer wäre ich, wenn ich hier säße und sagen würde, dass ich immer nur mein Ding mache und mir der Rest egal ist. Und wie gesagt, bin ich ja, was meine Statur betrifft, erst mal durchaus maskulin. Nur performe ich mit diesem Körper nicht nach maskulinen Maßstäben und spiele mit weiblichen und männlichen Klischees. Und zwar nicht nur, wenn ich ein Kleid trage oder im Crop Top über die Straße laufe. Ich thematisiere meine Vorstellung von einer neuen Freiheit von Männlichkeit ja auch in meiner Kolumne #DasNeueBlau für Vogue.de oder hier mit diesem Interview und berate auch Unternehmen zur Darstellung von Männlichkeit – all das macht meine Arbeit aus.
Männern fehlt eine eigene sexuelle Revolution. Sie haben sich durch die Emanzipation der Frauen in den letzten Jahrzehnten eher passiv mitentwickelt und mussten sich zwangsläufig anpassen. Es ist für Zeit für neue Männlichkeitsrollen und dass wir von der Idee des starken Geschlechts ablassen, vom überlegenen, immer potenten, hart gesottenen Mann.
Ich habe das ein wenig durch meinen Vater kennengelernt, der mit der Auffassung, was Männer zu tun haben und was nicht, aufgewachsen ist. Zum Beispiel, dass sie nicht verweichlichen dürfen…
… genau das ist mein Punkt. Ich finde, dass Männer weicher werden dürfen, nein, sollen, weil ich glaube, dass wir alle Sensibilität in uns tragen. Männer sind nicht weniger sanft und sensibel als Frauen, aber sie haben es sich abtrainiert. Das ist die toxische Männlichkeit, von der gerade alle sprechen. Viele denken ja, toxische Männlichkeit würde bedeuten, dass Männlichkeit an sich giftig sei, dabei meint der Begriff, dass es ungesund ist, als Mann ständig Maskulinität zu performen, Gefühle zu unterdrücken – und damit auch das Gefühl für sich selbst.
Um nochmal auf den Ausgangspunkt des Schönheitsideals einzugehen: Was bedeutet für dich Schönheit?
Schönheit ist ein abstrakter Begriff und hat so viel Bereiche, die nicht durch eine Optik definiert werden können. Schönheit ist auch eine Empfindung. Und etwas, das in Bewegung ist. Etwas kann zu einer Zeit als schön empfunden werden und in einem anderen Moment als hässlich. Schönheit ist eine Unterhaltung, ein Tag, der mich glücklich macht, aber auch eine Jeans, die perfekt sitzt, Nadja Auermanns Beine, Bücher von Bell Hooks, mein Freund, wenn er weint. Generell glaube ich, dass Liebe Schönheit ist. Auch wenn es mal hässlich werden kann. Immer schön ist auch langweilig und manchmal ist das Hässliche auch viel interessanter – und ehrlicher!
Vielen Dank für das Gespräch!
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