Ich erinnere mich noch gut daran, was meine Familie maßgeblich von der meiner Freundinnen unterschieden hat: Meine Mutter und ich waren zu zweit, während die anderen meist in einer heilen Welt samt Haus, Hund und Mutter-Vater-Kind-Idylle groß wurden. Damals habe ich mich vor allem nach den Ritualen gesehnt und nach all dem furchtbar lebendigen Familienalltag mit Geschwistern und gemeinsamen Abendessen und allem drum und dran. Heute hinterfrage ich vor allem die unglaubliche Belastung, die meiner Mutter zuteil wurde und wie furchtbar beeindruckend es eigentlich ist, dass sie uns beide durchgebracht hat. Was für eine wahnsinnige Leistung – das war mir lange Zeit nicht bewusst. Ich ziehe meinen Hut vor ihr und allen anderen, die ihre Kinder überwiegend alleine versorgen. Wir haben fünf Mütter nach den größten Herausforderungen gefragt.
Joelle, 27 aus Duisburg
Mutter von Olivia, 2 Jahre alt
Die Sache ist, dass ich mich niemals in einer klassischen Familienkonstellation gesehen habe. Als es dann doch so kam und ich mich von meinem damaligen Freund getrennt habe, mitten in der Schwangerschaft, haben mich alle für vollkommen verrückt erklärt. Es ging da schlichtweg um mich und um die Tatsache, dass ich unsere Familie so nicht ertragen hätte, gewusst hätte, dass ich so keine gute Mutter sein kann und eine Trennung vielleicht der einzige Weg ist, meiner Tochter eine Art Familie anzubieten, die sich abseits von einer Norm Mutter-Vater-Kind-Situation unglaublich lieb hat. Ich hasse es, dass die Gesellschaft mich als grundsätzlich schwach identifiziert. Damals, bei der Trennung, haben mir alle geraten, doch noch ein bisschen zu warten. Sonst würde ich die ersten Monate mit Baby nicht aushalten. Heute ist Olivia zwei Jahre alt und noch immer wird mir konstant unterstellt, dass ich mit irgendeiner Form von heteronormativer Beziehung in meinem Leben besser dran wäre. Ich weiß wie es gemeint ist, ich weiß auch, wie hoch mein Pensum zeitweise ist. Was ich nicht weiß, ist wie Menschen mir konstante Überforderung unterstellen können, obwohl keiner meinen Alltag so gut kennt wie meine Tochter und ich. Natürlich ist er fordernd. Manchmal so sehr, dass ich nicht weiß, wohin mit mir oder um 20:00 Uhr neben ihr ins Bett falle, aber das sind für mich keine Dinge, die innerhalb eines Dreipersonenhaushalts nicht auch passieren könnten.
Ich bin unheimlich glücklich, Olivia und ihr Vater sind es auch, weil wir so total gut funktionieren. Viel besser, als wenn wir uns an einer inszenierten Familienvision festgehalten hätten und es ewig Streit geben würde. Ich wünsche mir so sehr, dass die Gesellschaft und mein Umfeld weniger mit einem mitleidigen Blick oder höflichen Nachfragen reagieren würden, sondern mir mit konkreten, lösungsorientierten Angeboten oder Maßnahmen entgegenkommen würden. Weniger Wartezeit auf einen Kitaplatz zum Beispiel, oder mir anbieten dass sie Olivia nach der Kita mit zum Spielen nach Hause nehmen würden, weil unsere Kinder doch ohnehin so gut befreundet sind und wir uns Jahre kennen. Das ewige „bei dir ist auch viel los“, und höfliches Interesse bekunden geht mir ehrlich gesagt auf die Nerven und macht mich mürbe. Bis ich mit dem Master fertig bin, werden wir zu zweit noch eine große Reise machen, auf die ich schon seit Ewigkeiten spare. Ich kann mir vorstellen, dass diese letzte Freiheit kurz vor dem Berufsalltag und all seinen Konventionen uns noch einmal richtig guttun wird.
Marie, 35 aus Erlangen / Mutter von Louis, 4 und Johan, 6 Jahre alt
Ich fühle mich trotz meiner Kinder einsam. Den ganzen Tag ist die Hölle los, wenn Kita und Schule vorbei sind, rotiere ich und habe unglaublich Freude daran, den Familienalltag mitzugestalten und die beiden wachsen zu sehen. Was wirklich schlimm ist, sind die Abende, die gelegentlichen freien Vormittage und die Wochenenden, wenn beide Jungs bei Oma oder Papa sind. Ich bin seit kurzer Zeit als Juniorprofessorin fest angestellt und liebe meinen Beruf, bin also eigentlich ausgelastet. Nur fällt es mir unglaublich schwer, zu daten. Jemanden kennenlernen könnte ich schon hier und da und gelegentlich ergeben sich auch kleine Flirts. Was mich hemmt, ist diese unglaubliche Angst vor Veränderung. Wir sind zu dritt gerade ein so gutes Team, dass ich, sofern etwas in Richtung wirklich treffen oder es ernster angehen geht, sofort den Schwanz einziehe und mich panisch zurück in meine sicheren vier Wände verkrieche. Bis der nächste einsame Freitagabend kommt,
an dem ich mir nichts lieber vorstellen könnte, als gemeinsam zuhause zu kochen und sich bei einer Flasche Wein gegenseitig vorzulesen. Oder auf dem Balkon oder vor dem Fernseher zu versacken. Das wirklich Komische ist, dass ich nicht das Bedürfnis nach Bestätigung oder Sicherheit verspüre, nicht einmal Support will, ob nun zuhause oder finanziell. Ich will meine freie Zeit teilen, weil es zwischendurch wirklich einsam sein kann und ich die Nase voll habe, nur deshalb unglücklich zu sein. Es ist so komisch, weil diese Lücke ja theoretisch auch von einer anderen Person gefüllt werden könnte. Einer Person, die ich nicht zwangsläufig liebe, sondern die einfach Zeit mir verbringt, wenn ihr danach ist, gegebenenfalls auch bei uns wohnt und wir ein Leben teilen ganz ohne romantische Gefühle. Lange Zeit habe ich deshalb schon über eine Familien-WG nachgedacht, am Ende erschien es mir dann doch zu unruhig oder ich hatte einfach nur Schiss, wer weiß.
Aalyia, 30 aus Berlin
Mutter von Ana, 3 Jahre alt
Ich war die ersten drei Jahre alleinerziehend und haben jetzt das erste Mal seit der letzten Trennung wieder einen Partner. Das hat vieles unglaublich erleichtert und ich bin in vielen Dingen viel entspannter geworden. Als Ana geboren wurde, haben mein damaliger Partner und ich es noch drei Monate ausgehalten und dann war es vorbei. Ich war damals im Begriff, mein Studium wieder aufzunehmen, und hatte große berufliche Pläne. Ich habe mich sehr alleingelassen gefühlt, hatte Probleme einen Kitaplatz zu finden und unser Leben zu finanzieren und überhaupt: Warum werden Bedürfnisse und Rechte von Alleinerziehenden so wenig gehört oder ernstgenommen? Eine Ganztagsbetreuung war für mich im letzten Studienjahr total wichtig. Als Feedback beim Jugendamt hieß es dann, dass ich mir mehr Gedanken um Mutterschaft hätte machen müssen, wenn ich mein Kind doch nur den ganzen Tag weggeben will. Als ich sie dann seltene Male mit in der Uni hatte, wurde ich von vielen Seiten entgeistert angeschaut, obwohl sie im gesamten Seminar geschlafen hatte. Es ist unglaublich, was uns damals widerfahren ist, weil ich einen direkten Vergleich mit einem männlichen Kommilitonen hatte, um den sich selbst die Dozenten fast geprügelt hatten, als er seinen kleinen Sohn dabei hatte. Es war eine wirklich schlimme Zeit, bis ich endlich einen Kita Platz hatte und ich selbst bin so froh, dass all das jetzt der Vergangenheit angehört.
Ich will unbedingt, dass sich perspektivisch für junge Mütter etwas ändert, damit auch eine Schwangerschaft während der Lehre kein Problem ist, ihnen geholfen wird und es stets Fachpersonal gibt, das sich um die kleinen kümmert. Ana ist heute in einer Elterninitiative-Kita, die aus fast ausschließlich Müttern besteht, die einige Zeit alleinerziehend waren oder es noch immer sind. Bei der Aufnahme neuer Kinder ist es uns super wichtig, diejenigen zu bevorzugen, die aufgrund ihrer familiären Situation besonders dringend einen Platz brauchen. Jetzt wo ich wieder in einer Beziehung bin, wird mir besonders deutlich, wie viel einfacher viele Dinge sind, wenn du einen Mann an deiner Seite hast. Vor Kurzem haben wir die Zusage für unsere Traumwohnung bekommen. Es tut total weh zu realisieren, dass ich und meine Tochter den Zuschlag zu zweit auch mit einem guten Gehalt wahrscheinlich nicht bekommen hätten.
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Emma, 41 aus Hamburg / Mutter von Anton, 11 Jahre alt
Anton und ich sind aus dem Gröbsten raus. Es ist verrückt, zu merken, dass dein Kind irgendwann ganz viele Sachen selbstständig macht, die dich tatsächlich entlasten. Sein Vater und ich haben uns getrennt, als er gerade fünf war. Das war eine ziemlich schwere Zeit für uns beide und ich wünsche mir heute noch oft, dass es anders gekommen wäre. Antons Vater hat dann zeitweise keinen Unterhalt gezahlt und das war dann wirklich ein Problem. Den Schmerz ertragen, Antons Schmerz auffangen, aber gleichzeitig noch finanzielle Sorgen haben, war zu viel des Guten. Ich hatte dann über zwei Jahre einen Therapieplatz, den ich ganz dringend zur Kompensation brauchte, um nicht alles bei meinem Sohn abzuladen. Noch heute würde ich behaupten, dass ich ohne meine Therapeutin nicht so gut durchgehalten hätte. Gerade zu Beginn der Grundschulzeit war es aus finanzieller Sicht am schlimmsten. Die ganze Ausstattung, Geschenke zur Einschulung, die erste Mini-Klassenfahrt aufs Land und es gab so gut wie keine Unterstützung.
Damals hieß es, dass diese Kosten durch den Unterhalt gedeckt werden können, ich dann nachträglich mehr Geld hätte und sich alles ausgleichen würde. Im Endeffekt hat aber niemand etwas dafür getan, dass ich das Geld bekam, das uns zustand und ich musste mir privat etwas leihen. Heute sieht es zum Glück wieder anders aus, aber diese wiederkehrenden finanziellen Unsicherheiten, die aufkommen, wenn es nur einen Verdiener in der Familie gibt, sind wirklich schlimm und haben mich lange Zeit mitgenommen. Ich wünsche es keinem und weiß gleichzeitig, dass es viele Familien gibt, die mit noch viel weniger Geld und viel größeren Unsicherheiten zu kämpfen haben, als wir. Anton habe ich ganz bewusst auf einer Gesamtschule einschulen lassen, um eine soziale Durchmischung zu gewährleisten und sowohl mich als auch ihn mit anderen Lebensstandards und Welten zu konfrontieren. Auf dem Gymnasium, das wir uns zuerst angeschaut haben, wurde damit geworben, dass mehr als 60% der Haushalte der Kinder einen akademischen Hintergrund haben. Die Entscheidung ist mir also nicht besonders schwergefallen.
Elena, 26 aus Berlin
Wird im Dezember zum ersten Mal Mutter
Ich merke schon jetzt, dass ich mit so vielen grundlegenden Fragen so unheimlich alleine dastehe. Das sind nicht nur finanzielle Ängste, auch Entscheidungen, ganz simple zum Teil, kosten mich unglaublich viel Kraft. Die Sache mit dem Kinderwagen zum Beispiel, die Auswahl von einem richtigen Bett − das sind alles Dinge, die ich schon jetzt irgendwie alleine entscheiden muss und die mich total verängstigen. Alle sagen, dass ich aus dem Bauch heraus ohnehin die richtige Entscheidung treffen werde und das mag sein. Aber wie sieht es erst aus, wenn ich mein Kind alleine erziehe, alleine eine Schule auswähle, alleine etwas verbiete oder erlaube. Mir sagt am Ende niemand, was gut oder schlecht war. Ich habe niemanden, mit dem ich mich abstimmen kann oder will. Ich bereite mich auf Überforderung vor, bereite mich darauf vor, ganz viel Liebe zu geben und mein Leben zu teilen. Doch die größte Herausforderung stelle ich mir zur Zeit darin vor, meinen Fähigkeiten als Mutter so sehr zu vertrauen oder mein Selbstbewusstsein so aufzubauen, dass ich in den kommenden Jahren nicht die ganze Zeit anzweifele, was ich zuletzt gesagt habe.
Ich bin alleine mit meinem Vater aufgewachsen und habe meine Mutter nur selten gesehen. Wir hatten damals eine tolle Hausgemeinschaft mit vielen Kindern. In dieser Art Kommune hat er sich viel ausgetauscht und ich hatte andere Erwachsene, an denen ich mich orientieren konnte, denen er vertraut hat und denen auch ich mich immer mehr anvertraut habe. Er hat mir vor Kurzem erst gesagt wie unglaublich wertvoll dieser Austausch für ihn war und ich war so glücklich, in einer vergleichbaren Perspektive etwas Hoffnung schöpfen zu können. Ich bin mir so sicher, dass es absolut keine romantische Beziehung zwischen zwei Menschen benötigt, um ein Kind großzuziehen und eine Familie zu gründen. Ich glaube nur fest daran, dass es so ungemein hilfreich ist, nicht mit allem auf sich alleine gestellt zu sein. Klar schaffe ich das, schaffen wir das, aber wenn ich jetzt schon unbedingt jemanden brauche, der ab und an meine Hand hält, wer soll sie denn bitte halten, wenn mein Kind die Welt entdeckt, mich Dinge fragt und zu einem richtigen Menschen wird?
Bild in der Collage via Collina Strada AW 2019