Ich lese neuerdings wieder mit Textmarker in der Hand, den ich gelegentlich auch zwischen die Lippen stecke, immer dann, wenn ich vergesse, dass ich dem Rauchen seit ein paar Wochen abgedankt habe und Stifte zudem überhaupt nicht dampfen können. „Was das Leben kostet“ von Deborah Levy ist jetzt also ein neon-gelb geringeles Eselsohr. Und Theodor W. Adornos Vortrag über die „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ von 1967 wird es vermutlich nicht anders ergehen. Dank der ZEIT und Margarete Stokowski ist besagtes Werk derzeit nämlich wieder in aller Munde – vielleicht auch, weil es nahezu erschreckend ist, wie treffsicher Adorno die Höckes der Jetztzeit schon damals vorhergesagt hat. Auch Doris Lessings „Das Goldene Notizbuch“ ist ein Klassiker, den man sich noch heute überaus gern hinter die Ohren schreiben würde – geht bloß nicht, wegen der Menge an Klugheit und den hunderten von Seiten, durch die man sich gelegentlich etwas tapfer hindurch schleppen muss. Aber nur, um dann recht schnell wieder in all den wunderbaren Zeilen zu versinken, die wir uns am liebsten quer über beide Oberschenkel tätowieren lassen würden. Der Roman „Die Nickel Boys“ hingegen tut beim Lesen weh, sogar körperlich. Ist aber, oder gerade deshalb schweinegut. Und dann ist da noch Elif Shafak, die ich spätestens seit ihrem Meisterwerk „Unerhörte Stimmen“ verehre wie kaum eine andere Schriftstellerin – von ihr wurde mir „Die 40 Geheimnisse der Liebe“ ans Herz gelegt und zwar doppelt und dreifach. Noch bin ich nicht durch, aber ich ahne bereits, dass es unvergessen bleiben wird. Oh, und Sally Rooneys „Conversations with friends“ gibt es inzwischen auch auf deutsch. Alle anderen Bücher des Monats August sind auch mir noch unbekannt – versprechen aber, ganz großartig zu sein:
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„Am 6. April 1967 hielt Theodor W. Adorno auf Einladung des Verbands Sozialistischer Studenten Österreichs an der Wiener Universität einen Vortrag, der aus heutiger Sicht nicht nur von historischem Interesse ist. Vor dem Hintergrund des Aufstiegs der NPD, die bereits in den ersten beiden Jahren nach ihrer Gründung im November 1964 erstaunliche Wahlerfolge einfahren konnte, analysiert Adorno Ziele, Mittel und Taktiken des neuen Rechtsradikalismus dieser Zeit, kontrastiert ihn mit dem »alten« Nazi-Faschismus und fragt insbesondere nach den Gründen für den Zuspruch, den rechtsextreme Bewegungen damals – 20 Jahre nach Kriegsende – bei Teilen der bundesdeutschen Bevölkerung fanden.
Vieles hat sich seitdem geändert, manches aber ist gleich geblieben oder heute, 50 Jahre später, wieder da. Und so liest sich Aspekte des neuen Rechtsradikalismus wie eine Flaschenpost an die Zukunft, deren Wert für unsere Gegenwart Volker Weiß in seinem Nachwort herausarbeitet.“
Erschienen im Suhrkamp Verlag.
Shelagh Delaney – A Taste Of Honey
Die 1938 in einem Vorort von Manchester geborene Shelagh Delaney ist die einzige Frau unter den »Angry Young Men« der britischen Nachkriegsliteratur – und weit mehr als nur eine feministische Fußnote. Shelagh Delaney verkörpert eine neue, aufstrebende und radikale Autor*innen-Generation und auch den Zorn einer wirtschaftlich und kulturell vernachlässigten Schicht. Sie entwickelt sich zu einer Ikone der Popkultur im Vereinigten Königreich. Den Titelsong der Verfilmung ihres Theaterstücks »A Taste of Honey« coverten die Beatles, Porträts der Schriftstellerin zieren Plattencover der Band The Smiths, die sie in ihren Songtexten zitierte. Shelagh Delaneys Erzählungen und Stücke erscheinen nun gesammelt in der vollständigen Neu- bzw. Erstübersetzung von Tobias Schwartz – und zwar Anfang September. Unbedingt vormerken. Hier entlang gehts zum Original.
Vierzig Geheimnisse der Liebe
„Ella ist vierzig Jahre alt, hat einen Ehemann, drei Kinder im Teenageralter und ein schönes Zuhause in einer amerikanischen Kleinstadt. Eigentlich sollte sie glücklich sein, in ihrem Herzen breitet sich aber eine Leere aus, die früher von Liebe gefüllt war. Als Gutachterin für eine Literaturagentur taucht sie tief in einen Roman über den Sufi-Dichter und Mystiker Rumi und die vierzig ewigen, geheimnisvollen Regeln der Liebe ein. Trotz der Ansiedlung im 13. Jahrhundert scheint ihr der Roman immer mehr eine Spiegelung ihrer eigenen Geschichte zu sein. Zusehends distanziert von ihrem Ehemann, beginnt Ella, ihr bisheriges Leben zu hinterfragen. Sie besucht den Verfasser des Buches, Aziz Zahara, mit dem sie sich schriftlich schon rege und sehr persönlich ausgetauscht hat – und erfährt eine derart grundlegende persönliche Veränderung, wie sie es sich nie hätte ausmalen können.“ Erschienen bei Kein & Aber.
Gespräche mit Freunden
„Frances und ihre Freundin Bobbi, Studentinnen in Dublin, lernen das gut zehn Jahre ältere Ehepaar Melissa und Nick kennen. Sie treffen sich bei Events, zum Essen, führen Gespräche. Persönlich und online diskutieren sie über Sex und Freundschaft, Kunst und Literatur, Politik und Genderfragen und, natürlich, über sich selbst. Während Bobbi von Melissa fasziniert ist, fühlt sich Frances immer stärker zu Nick hingezogen … Ein intensiver Roman über Intimität, Untreue und die Möglichkeit der Liebe, eine hinreißende, kluge Antwort auf die Frage, wie es ist, heute jung und weiblich zu sein.“ Erschienen im Luchterhand Literaturverlag.
Die Nickel Boys
„Florida, Anfang der sechziger Jahre. Der sechzehnjährige Elwood lebt mit seiner Großmutter im schwarzen Ghetto von Tallahassee und ist ein Bewunderer Martin Luther Kings. Als er einen Platz am College bekommt, scheint sein Traum von gesellschaftlicher Veränderung in Erfüllung zu gehen. Doch durch einen Zufall gerät er in ein gestohlenes Auto und wird ohne gerechtes Verfahren in die Besserungsanstalt Nickel Academy gesperrt. Dort werden die Jungen missbraucht, gepeinigt und ausgenutzt. Erneut bringt Whitehead den tief verwurzelten Rassismus und das nicht enden wollende Trauma der amerikanischen Geschichte zutage. Sein neuer Roman, der auf einer wahren Geschichte beruht, ist ein Schrei gegen die Ungerechtigkeit.“ Erschienen im Carl Hanser Verlag.
„In her debut novel Etaf Rum tells the story of three generations of Palestinian-American women struggling to express their individual desires within the confines of their Arab culture in the wake of shocking intimate violence in their community—a story of culture and honor, secrets and betrayals, love and violence. Set in an America at once foreign to many and staggeringly close at hand, A Woman Is No Man is an intimate glimpse into a controlling and closed cultural world, and a universal tale about family and the ways silence and shame can destroy those we have sworn to protect.“
„Where I come from, we’ve learned to silence ourselves. We’ve been taught that silence will save us. Where I come from, we keep these stories to ourselves. To tell them to the outside world is unheard of—dangerous, the ultimate shame.”
„Der Klassiker der feministischen Literatur – Die Schriftstellerin Anna Wulf und die Schauspielerin Molly Jacobs sind beide um die vierzig, geschieden und haben ein Kind zu versorgen, sie durchleben Beziehungen, haltbare und unhaltbare. Die vier Notizbücher der Schriftstellerin Anna sind eingeflochten in diesen Roman: das schwarze, das rote, das gelbe und das blaue. Mühsam sollen sie die Dinge getrennt halten, doch als das misslingt, entsteht aus dem Chaos der Formlosigkeit etwas Neues: Das goldene Notizbuch.
Das goldene Notizbuch“ von Doris Lessing gilt als eines der komplexesten Werke über weibliche Intellektualität, als Dokument in der Geschichte der Frauenbewegung, als Klassiker der Moderne. Formal gewagt und hypnotisch fesselnd erzählt es von den Schmerzen des unbedingten Versuchs, in dieser Welt eine ganze Frau zu sein. 2007 wurde Doris Lessing für ihr Werk mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.“
Wir von der anderen Seite
»Zum ersten Mal sehe ich mich im komplett im Spiegel. Ich bin dünn und bucklig, meine Muskeln sind verschwunden, meine Haut ist gelb von der angeschlagenen Leber. Irgendjemandem sehe ich ähnlich. Wem denn nur? Dann fällt es mir ein: Ich sehe aus wie Mr. Burns von den Simpsons! Immerhin noch Körbchengröße C. Ihr seid die echten Survivor!«
Als Rahel Wald aus einem heftigen Fiebertraum erwacht, versteht sie erst mal gar nichts. Wo ist sie, warum ist es so laut hier, was sind das für Schläuche überall. Nach und nach beginnt sie zu verstehen: Sie ist im Krankenhaus, sie lag im Koma. Doch richtig krank sein, hatte sie sich irgendwie anders vorgestellt: feierlicher, ja, heiliger. Als Komödienautorin kennt sich Rahel durchaus mit schrägen Figuren und absurden Situationen aus, aber so eine Reise von der anderen Seite zurück ins Leben ist dann doch noch mal eine eigene Nummer. Vor allem, wenn der Medikamentenentzug Albträume und winkende Eichhörnchen hervorruft. Zum Glück kann sie sich auf die bedingungslose Unterstützung ihrer verrückten Familie verlassen, die immer für sie da ist. Und noch etwas wird Rahel immer klarer: Ihr Leben ist viel zu kostbar, um es nach fremden Erwartungen auszurichten. Von jetzt an nimmt sie es selbst in die Hand.“ Erschienen bei Ullstein. Hier entlang!