Es ist schon ein paar Jahre her, da brach mein damaliger Freund zu einer längeren Reise auf. Schon auf dem frühmorgendlichen Weg zum Flughafen war er sich nicht mehr sicher, ob er denn die Fenster in seiner Wohnung zugemacht hatte. Einen kurzen WhatsApp-Austausch später und ich fuhr zu besagter Wohnung, um die Fenster zu kontrollieren – und bekam fast einen Schlag, als ich die Tür aufschloss: offene Schubladen, Unordnung in der Küche, überall herumfliegende Dinge, Dreck. Mein Freund, der Chaot. Nachdem ich pflichtschuldig die Fenster inspiziert hatte (alle waren geschlossen), kam mir ein toller, großartiger Einfall: Warum nicht die Wohnung einem Rundumputz unterziehen, bevor mein Freund zurückkommt? Wäre das nicht toll? Ich stellte mir sein ungläubiges, erfreutes Gesicht vor beim Anblick seiner Wohnung, in der alles sauber ist und es nicht mehr aussieht, als sei dort wahlweise eingebrochen worden oder ein Tsunami durchgefegt.
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Aus der Aktion wurde letztendlich nichts, weil ich die Tage vor der Rückkehr meines Freundes krank im Bett verbrachte und so schwach war, dass ich kaum eine Tasse Tee, geschweige denn einen Staubsauger hätte halten können. Heute denke ich: Zum Glück! Und schäme mich ein bisschen für meine damalige Bereitschaft zur Aufopferung. Hätte ich ernsthaft wie eine gute Fee für meinen Freund seine Wohnung geputzt und aufgeräumt, damit er es bei seiner Rückkehr schön hat? Ich, eine emanzipierte Frau, eine fahnenschwenkende Feministin? Ja, hätte ich.
Im Rausch der Hormone
Liebe macht bekanntermaßen plemplem, zumindest ein bisschen, und vor allem, wenn man gerade frisch verliebt ist. Man tut und sagt Dinge, die man normalerweise nicht tun oder sagen würde, Dinge, die man vielleicht sogar ablehnt oder blöd findet. Es soll doch alles schön sein, wie im Rausch, flauschig und regenbogenfarben und das alles will man ja nicht jetzt schon durch kritische Bemerkungen und Diskussionen zerstören.
Stattdessen zeigt man sich von seiner besten Seite, ist immer gut drauf und zu allem bereit und hofft, dass das Objekt der Begierde diese Inszenierung einerseits akzeptiert und andererseits die eigentlich darunter liegende Wahrheit, den Charakter, erkennt: Ich will, dass du mich so annimmst, wie ich bin, auch wenn ich gerade noch nicht so richtig zeigen kann, wie ich eigentlich bin.
Ja, Liebe macht plemplem und das ist schön und gleichzeitig furchtbar. Denn im Rausch der Hormone lässt man oft Prinzipien Prinzipien sein, die stets hochgehaltenen Überzeugungen sind plötzlich gar nicht mehr so wichtig, eine generelle Laissez-faire-Haltung macht sich breit. So zaubert man für den Angebeteten mal eben ein Drei-Gänge-Menü, obwohl man eigentlich findet, dass man damit das Rollenmodell der eigenen Eltern reproduziert. Man rasiert sich im Namen der Attraktivität die Achselhaare, obwohl man sich geschworen hatte, dem Enthaarungsimperativ nicht mehr nachzugeben, auch und gerade nicht für einen Mann. Man ignoriert die stumpf-sexistischen Witze der Kumpel, um nicht eine Diskussion vom Zaun zu brechen und den Partner in Verlegenheit zu bringen. Oder man überlegt, die Wohnung des Freundes einem Großputz zu unterziehen, obwohl der Freund erwachsen ist und außerdem zwei gesunde Hände hat, die es ihm erlauben, selbst für die Sauberkeit seiner Wohnung zu sorgen.
Unbequeme Fragen
Ich glaube, das alles ist normal und gar nicht so dramatisch. Oder? Das Problem ist, dass romantische Beziehungen vor dem Hintergrund einer fundamental ungleichen Gesellschaft geführt werden. Geschlechterrollen und -bilder haben sich bereits gewandelt, trotzdem halten sich bestimmte Vorstellungen davon, wie sich Menschen ihrem biologischen Geschlecht entsprechend zu verhalten haben, erstaunlich hartnäckig. Natürlich hat das einen Einfluss auf romantische Beziehungen, vor allem auf heterosexuelle (Studien zeigen, dass homosexuelle Paare weniger unter dem Druck zu stehen scheinen, bestimmte Geschlechterrollen und -stereotype zu erfüllen). Oder, um es anders zu sagen: Backe ich meinem neuen Partner einen Kuchen, weil ich gerne backe und so meine Zuneigung zeigen kann – oder weil ich irgendwie doch internalisiert habe, dass Kuchenbacken eine nette, weibliche Geste ist?
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Was schon zum nächsten Problem führt: In den ersten Wochen und Monaten einer Beziehung werden die Regeln festgelegt, nach denen diese Beziehung funktioniert. Man handelt aus, was geht, was nicht geht, was gehen könnte. Rituale und Verhaltensweisen schleichen sich – oft unbewusst – ein und die lassen sich später gar nicht mehr so leicht ändern. Man akzeptiert Dinge erstmal und denkt sich: Da müssen wir später mal drüber reden. Später. Später. Beziehungen bestehen naturgemäß aus Kompromissen, denn zwei Menschen werden nie in allem immer einer Meinung sein. Aber woher weiß ich, dass ich im Namen der Liebe gerade einen Kompromiss eingehe – oder mir wichtige Prinzipien hintenanstelle?
Gemeinsam plemplem
Liebe macht also nicht nur plemplem (zumindest zeitweise), sie konfrontiert einen auch mit unbequemen – unwillkommenen – Fragen. Fragen nach den eigenen Überzeugungen und danach, was einem wirklich wichtig ist. Die Antworten darauf sind manchmal überraschend, für einen selbst wie für andere. So verkündete eine Freundin von mir stets, Heiraten käme für sie gar nicht in die Tüte, weil, die Ehe als Institution sei abzulehnen und überhaupt, sie habe schon zu viele Ehen scheitern gesehen. So weit, so nachvollziehbar. Besagte Freundin hat dieses Jahr doch geheiratet – natürlich in Weiß. Nach dem Motto: Wenn ich schon heirate, was ich ja eigentlich immer abgelehnt habe, dann aber richtig! Von einem Extrem ins andere. So richtig verstehe ich das nicht.
Aber vielleicht muss ich das auch nicht. Was für die Eine ein im Namen der Liebe verschmerzbarer Kompromiss ist, ist für die Andere bereits ein Verrat ihrer Überzeugungen. Menschen sind unterschiedlich, Beziehungen auch. Die Erkenntnis, dass Liebe ein bisschen plemplem macht, zumindest zeitweise, ist so beunruhigend wie beruhigend – denn das bedeutet, dass, im Falle von gegenseitiger Verliebtheit, das Objekt der Begierde ebenfalls plemplem ist und deshalb ebenfalls Dinge tut, die für diese Person sonst untypisch sind. So schleppt man den Partner in jedes Thai-Restaurant, weil er immer noch von seinem Thailand-Urlaub schwärmt – und hört dann von seinem Kumpel, dass der Partner sonst ja überhaupt nicht gerne asiatisch äße, aber jetzt offenbar schon. Oder man hört, dass die beste Freundin plötzlich bereitwillig Fußball guckt, weil ihre neue Partnerin selbst aktive Fußballspielerin ist – und die Partnerin das Training neuerdings öfter mal ausfällen lässt, weil sie lieber Zeit mit ihrer Angebeteten verbringen möchte.
Vielleicht gibt es für das Dilemma also keine Lösung. Stattdessen nur diese Erkenntnis: Im Idealfall ist man gemeinsam ein bisschen plemplem.