Unbequeme Wahrheiten // Von Spiritualität und dem Geschäft mit dem Zen

Beim Wort Esoterik kommt mir seit Ewigkeiten ein Deck Tarotkarten und der beißende Geruch von Räucherstäbchen in den Sinn (Nanu-Nana, 2,99€). Im religionsunabhängigen Kontext konnte ich mit jeglicher Form von Spiritualität zudem nur wenig anfangen. Zu undefiniert, zu wage das Verständnis von transzendenten Zwischenwelten und der Macht von innen, von ganz innen in dir drin (schanti schanti). Erst in der Auseinandersetzung mit Yoga habe ich langsam Zugang zu all diesen rituellen Praktiken finden können, mit denen heute Wohnungen ausgeräuchert, Meditations-Gongs geläutet und heilende Steine aufgelegt werden. Bei Onlineshops für moderne Spiritualität kann ich mir heute allerlei Schnickschnack für meinen heimischen Altar kaufen, den es früher nur in hippiesken Geschäften nebst Patschuli-Kerze und Salzkristall zu erwerben gab. Man merke wieder einmal: Seelenheil gilt dem, der es sich gerade leisten kann.

Haben wir es mit einem gefährlichen Symptom einer überarbeiteten Stress- und Leistungsgesellschaft zutun? Anhand eines Yoga- und Meditationszirkels ließe sich das beispielhaft durchspielen: Mein gestresster Bürojob und ich führen eine Hassliebe, denn es gibt zu wenig Geld und eigentlich komme ich nie vor 20:00 Uhr aus dem Büro, aber Karriere wollte ich schon immer. Mein neuer Chef ist aber super, der holt nun zwei mal die Woche eine Yogalehrerin ins Büro, die nach einer einstündigen Einheit eine geführte Meditation anbietet. Anschließend: Entspannung pur. Carpe Diem. Genau so passiert es vielfach in deutschen Großstädten neben dem Angebot von immervollen Obstkörben und schwabbeligen „After Work Drinks“. Die Kiste nennt sich Leistungssteigerung und hält uns fest im immerwährenden Loop von Überforderung, produktivem Stressabbau durch Fremdaktivität, um dem Stress am Folgetag wieder gewachsen zu sein, und ist hierbei ein taktisch schlauer Schritt. Sicherlich ist Yoga nicht ausnahmslos fehl am Platz, aber auf jeden Fall die Trendsportart einer chronisch großstädtischen, sitzenden, gestressten Generation, die zum Einschlafen am liebsten eine Einschlafapp benutzt, die mich wie von Zauberhand in die Träume begleitet.

Wem das Betriebsyoga nicht reicht, darf sich bei Shops wie Soul Zen Palo Santo, weißen Salbei und Amethyst für den Schreibtisch bestellen. Die Eso-Fee kommt schon lange nicht mehr in Haremshose und barfuß daher. Sie wohnt im Prenzlauer Berg, arbeitet seit dem Bachelor bei McKinsey und braucht dringend eine Pause. Da heute ohnehin ja niemand mehr in die Kirche geht, lohnt es sich, die teure zwei Zimmer Wohnung am Helmholzplatz direkt in ein heimeliges Alternativ-Gebetshaus umzubauen, was gereinigt ist von allen bösen Geistern und das gewisse Chi einfach fließt. Hier gibt es eine wunderbare Mischung: Neben dem Yoga-Altar samt Ganesha Statue und Laxmi Figur auf einem kleinen Treppchen (ab 44,00€) kann ich mir auch einen auf mein Sternzeichen angepasstes Tagebuch zulegen und mich mit meiner Geburtsminute auch so richtig in Verbindung zu setzen (wie war noch gleich mein Aszendent?)

 

 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von Glam Flow (@glamflow.bychantal) am

[typedjs]Hauptsache entspannend soll es sein, hauptsache mein „inner Child“ kommt endlich aus dem Keller.[/typedjs]

Es scheint, als hätte da jemand etwas durcheinandergebracht, munter „Spiritualität“ in die gängigen Suchmaschinen eingehämmert und dann drauf los gesammelt was das Zeug hält, Hauptsache entspannend soll es sein, Hauptsache mein „inner Child“ kommt endlich aus dem Keller. Wunderbar. Da kann man sich als Nicht-Hindu einfach mal zwei Gottheiten neben seine Ikea x Hay Designkollobartion stellen und alle Sorgen fliegen wie von Zauberhand davon. Haben wir etwa die Essenz einer postmodernen Großstadt-Spirtualität aufgedeckt, die im maßlosen Konsum von pseudoreligiösen, analogen Beruhigungsmitteln liegt, weil uns eigentlich alles zu viel geworden ist?

Urplötzlich ist „die innere Mitte“ und das „eins mit Mutter Natur und den Sternen“ ein Hype sondergleichen und stellt alles in den Schatten, was mir die Tarot-Karten von damals je hätten prophezeien können. Wichtig nur, dass wir uns bei all dem Trubel und dem kaum erschwinglichen Heim-Gebetsstuhl nicht vergessen, was uns wirklich entspannen und zu Ruhe kommen lassen würde. Natürlich will ich niemals jemandem Räucherkerze, Yogastunde und Sternendeuten absprechen, jedoch darauf hinweisen, dass der Shop, der alles auf einmal für das dicke Portemonnaie für Yuppies von 18-38 anbietet, nicht das Richtige ist. Das heilige Hölzchen brennt bestimmt auch ohne Marmor-Halterung (29,00€) ganz hervorragend, genau so wie ich meine Yogamatte auch ohne Ganesha ausrollen kann, vor allem wenn ich mit dem Hinduismus eigentlich gar nichts am Hut habe.

Lassen wir Creativity Bleistiftset (14,00€), mein Bucket List Journal (29,00€) und Meditationsmatte (89,00€) mal beiseite und kommen auf den Boden der irdischen Tatsachen zurück. Ab in den Wald zum Durchatmen, mit dem Buch auf die Couch für ein bisschen Ruhe und um den Kopf frei zu kriegen, darf es auch gerne ein wenig Yoga sein. Der leere Geldbeutel und das Bestreben, bei all der Entspannung auch noch gewissen Trendvorgaben erfüllen zu müssen, muss aber nun wirklich nicht sein.

12 Kommentare

  1. Anna

    Ach, ich Weiss nicht, das ist doch bei den meisten Dingen so. Ein trend kommt auf, erst ist alles super und dann kommen halt Kapitalisten und wollen Profit daraus schlagen. Generell ist der Trend Entspannung und Yoga was absolut positives, sei er auch manchmal eingebettet in den beruflichen Kontext. Und da sollte ienm ja irgendwann bewusst werden, dass man nicht alles kaufen muss, das es gerade dabei nicht um Konsum geht.

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  2. Lena

    hahaha ich lieb’s! inhaltlich und der Stil ist sowieso wie immer on point! Was ich noch ergänzen will: die meisten Eso-Produkte, kommerzialisieren ja nicht nur diesen Hype, sondern fehlinterpretieren vieles auch volle Kanne. Ich arbeite in einem Kiosk, in dem sich die Zeitschriften „Happiness“, „Flow“& „Herzstück“ aneinanderreihen und meine Kolleginnen und ich müssen oft laut lachen (obwohl wir natürlich selbst Tarotkarten legen). Oft habe ich das Gefühl, dass sich dort der gewohnte Ehrgeiz einfach auf das neue Ziel des glücklich und ausgelassen sein überträgt und dabei krampfhaft sämtliche esoterischen Praktiken herangezogen werden. Ich (und meine Hindu-Familie auch) finde, dass Rituale in erster Linie Spaß machen sollten. xx

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  3. Pingback: Cherry Picks #30 - amazed

  4. Jutta

    Nicht zu vergessen, die oft damit einhergehende gelebte Arroganz von „…und nach all dem bin ich ein besserer Mensch als du!“
    Namasté!

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  5. Isabelle

    Hm. Bei dem Titel hatte ich mir diesem Artikel mehr versprochen als Konsumkritik. Dass man Spiritualität nicht kaufen kann und Esoterik mehr bedeutet als Räucherstäbchen und Palo Santo finde ich jetzt nicht besonders spannend, da fehlt mir die Tiefgründigkeit. Und so ganz verstehe ich auch nicht was hier angeprangert wird, wenn du beschreibst, dass die Yogalehrer jetzt schon ins Office kommen. Ja wohl kaum Yoga und Spiritualität, denn das ist sicherlich noch das gesündeste an einem 12-Stunden-Arbeitstag (bei dem früher zur „Belohnung“ die Pizza geliefert wurde). Eigentlich richtet sich er Artikel ja mehr gegen Burn-Out-Arbeitsbedingungen und selbst gemachten Stress, oder? Von daher: Work less, meditate more 😉

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