Der Tag, an dem ich meine Jugend vermisste, mir das Haar färbte und lernte, im Moment zu leben.

20.08.2019 box2, Kolumne, Wir, Leben

Als ich vierzehn war, trennten sich meine Eltern, ich blieb bei meinem Vater wohnen, der mir spannende Dinge wie Make-up und bunte Haarfarben verbot. Seither empfinde ich das Haarefärben als eine Art der Rebellion, im kleinsten aller möglichen Rahmen.

Vergangene Woche packte es mich dann, das dringende Gefühl, unbedingt und sofort etwas verändern zu müssen und wie so oft, waren meine Haare die Leidtragenden. Ich dachte an damals, als mein Haar jahrelang rot schimmerte, zögerte nicht lange und saß wenig später auf meinem Wohnzimmerboden vor dem Spiegel. In der Hand irgendeine billige, rotbraune Tönung aus dem Supermarkt, wie früher, nur, dass ich dieses Mal irgendwie doch nicht so rebellisch war, der Rotton viel subtiler war und ich den Dielenboden vorher sorgsam mit alter Zeitung auslegte, weil dieses Zeug in meinem Eifer eben doch verdammt viel kleckerte und spritzte. Diese Rebellion irgendwann meiner Vermieterin erklären zu müssen und mich dabei in Grund und Boden zu schämen, wollte ich mir ersparen.

 
 
 
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Beim letzten Mal als ich mir die Haare spontan rot färbte, war ich 21. Ich steckte in einer mittelschweren Krise voller Kummer um eine gerade zerbrochene, jahrelange Freundschaft, traf dafür aber wieder auf eine alte Freundin, die stets genügend Flausen für zwei im Kopf hatte. Euphorisiert von unseren gekreuzten Wegen, mischten wir Schlammbowle und vertilgten das süße Zeug innerhalb kürzester Zeit. Es war irgendein Samstag im August, die Luft war schwül und drängte sich durch die offenen Fenster in die Wohnung, während wir uns das übel stinkende Färbemittel in die Haare rieben. Wir klecksten den weißen Badezimmerboden voll, tropften bunte Spritzer auf unsere Kleidung, aber irgendwie war all das egal, mit 21 erschufen wir uns unsere ganz eigene kleine Rebellion.

Ordentlich beschwipst zogen wir schließlich gen Innenstadt, unser Weg führte uns auf das alljährliche Stadt Open Air, das ich zuvor Jahr für Jahr erfolgreich vermieden hatte. An diesem Tag aber hätte es nichts Schöneres für mich geben können. Zwei Stunden später tanzten wir im Regen zu Milow, krächzten seinen Songtext zu You don’t know in schiefen Tönen mit. Meine rote Haarfarbe lief mir den Nacken herunter, aber das machte den Moment nur noch schöner – was hätte ich mich auch um ein bisschen Farbe scheren sollen, schließlich wollte ich aller Welt zeigen, wie unbekümmert ich war, dass mir an diesem Tag nichts und niemand etwas anhaben konnte. Ganz plötzlich fühlte ich mich auf eine kitschige Art so frei, wie ich es vorher vielleicht noch nie getan hatte.

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Heute glaube ich, dass es mir vergangene Woche gar nicht so sehr um die roten Haare selbst ging, sondern vielmehr darum, das Gefühl einzufangen, das mir unterwegs abhandengekommen ist. Diese billige Farbe aus dem Supermarkt ist für mich ein Sinnbild für jenen Tag, an dem ich zum ersten Mal so richtig lernte, im Moment zu leben, über Dinge hinwegzusehen, die sich manchmal nun einmal ändern und dann auch nicht mehr rückgängig machen lassen. Während ich so im Regen tanzte, vollgesaugt mit Klischees, Melancholie und purem Glück, verlor ich die Angst davor, Fehler zu machen, und suhlte mich in einer wundervollen Leichtigkeit.

Vielleicht also setzte ich mit meiner jüngsten Haarfärbeaktion ein Zeichen für mich selbst, wieder mehr daran zu arbeiten, Fehler zuzulassen, mich auf den Moment zu konzentrieren und meiner jugendlichen Unbekümmertheit so lange hinterherzujagen, bis ich zumindest ihren Rockzipfel greifen kann – vielleicht ohne Schlammbowle und rote Farbkleckse auf dem Boden, dafür aber mit mindestens so viel Euphorie und Leidenschaft.

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