Vorgestern war ich ein früher Vogel und schwer damit beschäftigt, meinem spätsommerlichen Toastbrot-Hirn bei Kaffee und überbackenem Croissant ein paar Ideen zu entlocken, als ich plötzlich den nahezu hypnotischen Blick bemerkte, der von rechts zu mir rüber geschlichen kam, sich auf meinem Oberschenkel ausbreitete und dort einfach hocken blieb. Ich schaute dann zum Kopf herüber, der am Blick noch mit dran hing, aber er bemerkte mich überhaupt nicht. Die Augen der Dame klebten einzig an meinem Bein, ganz so als hätte mir ein Wabenkrötenmännchen im spektakulären Begattungs-Looping ein paar Eier unter die Haut gepresst. In Wahrheit waren da aber nur Beulen. Solche, wie sie beinahe alle Frauen mit Bindegewebe an und in sich tragen, irgendwo, sogar am Po. „Orangenhaut“ sagen die Leute auch fälschlicherweise dazu, ich meine nämlich: Es ist einfach Haut! Ohne Frucht obendrauf, die ja unweigerlich impliziert, es handle sich hierbei um Extrawurst-Stellen, um besondere Mängel, die hervorgehoben gehören. Dabei sind all diese Dellen und Kreusel und Krater einerseits doch gängig wie wackelnde Oberarme und andererseits Teil unseres größten und wunderbaren Organs der sinnlichen Wahrnehmung. Unsere Haut trägt soziale Bindungen, macht Liebe spürbar und Berührung erst so herrlich kribbelnd, ganz gleich welche Form oder Farbe sie hat. Und trotzdem werden wir nicht müde, sie zu verfluchen. Weil wir immer meinen: Sieht scheiße aus. Alles, was nicht glatt und platt wie ein Crepe ist, meine ich. Das nennt man auch: Brain Wash. Ist doch komisch, dass wir uns so sehr für etwas schämen, was am Ende sowieso fast alle haben.
Und so kam es wahrscheinlich auch, dass die Dame neben mir kurz nicht glauben konnte, was sie da sah. Ich wich nämlich ausnahmsweise nicht zurück, ich legte keinen Jutebeutel und auch kein Sweatshirt über meine kleine Hügellandschaft und entschlug auch nicht die Beine, um vorteilhafteren Antlitzes meinen Kaffee aufzuschlürfen. Ich lächelte nur stur. Vor allem, weil ich in meinem Gegenüber mit einem Mal all meine eigenen Unsicherheiten aus der Vergangenheit wiederentdeckte. Und diese bescheuerten Eitelkeiten, die niemandem irgendetwas bringen, außer eben: Unbehagen. Zweifel. Und Einschränkungen. Gott, was habe ich lange an all den Tricks gefeilt, die die meisten von uns nur allzu gut kennen, kackegal in welchem Körper wir stecken. Hände hoch, wer es auch nicht erträgt, beide Beine beim Sitzen auf einer Gartenbank parallel zueinander wie einen Kuchenteig auf die Holz-Latten sinken zu lassen und stattdessen wie automatisch ein wenig auf den Zehenspitzen stehen bleibt oder gar an den vorderen Rand der Sitzfläche rückt, um ausnahmsweise die Vorteile der Schwerkraft zu genießen. Trug ich kurze Hosen, klemmte ich bis vor ein par Jahren außerdem des Öfteren meine Beinwurst weg. Auf dass sie nicht rücklings irgendwo herum baumeln möge.
Nun, es gibt einer internen Umfrage zufolge offenbar zahlreiche Vertuschungs-Möglichkeiten, sogar dem Achsel-Speck geht es hin und wieder an den Kragen. Und zwar ganz bestimmt auch, weil wir trotz aller Body Positive und –Neutralism Kampagnen viel zu unehrlich und streng mit allem Alltäglichen umgehen, das irgendwie nicht in die Vorgaben des weichgespülten Schönheitsideals passen will. Ich sage ja gar nicht, dass wir fortan auf jedem Foto alles schlackern lassen müssen, was nicht niet- und nagelfest ist. Aber im echten Leben, da kann genau das die beste aller Ideen sein. So ein Zustand der grenzenlosen Give-A-Fucks wirkt sich nämlich nicht nur herrlich befreiend auf uns selbst aus, sondern auch wahnsinnig ermutigend auf alle anderen Frauen um uns herum, die genau so sind wie wir: Manchmal verunsichert, aber immerimmer unendlich schön.