Zeit für ein Manifest:
„Wer bin ich, wer will ich sein & wofür stehe ich?“

17.09.2019 Gesellschaft, box3, Leben

September ist für viele traditionell eine Zeit des Wieder- oder Neubeginns. Der Sommer ist so gut wie vorbei und mit ihm die Wochen und Monate, in denen sich alles etwas zu verlangsamen schien: weniger Mails, Veranstaltungen und Termine, dafür mehr Freizeit, Rosé im Freien und Sonne. Im September kommt alles so langsam wieder ins Rollen und selbst wenn man nicht mehr zur Schule geht oder Kinder im schulpflichtigen Alter hat, stellt sich dieses gewisse „Back to School“-Gefühl ein.

In mir verursacht der September sowohl aufgeregtes Kribbeln als auch Nervosität und Melancholie. Mein Stressfaktor steigt und ich trauere dem vergangenen Sommer hinterher. Um nicht in meiner melancholischen Stimmung zu versinken versuche ich, so gut es geht, das aufgeregte Kribbeln produktiv zu nutzen, Pläne zu schmieden und die nächsten Monate vorzubereiten. Selbstmotivation nennt man das wohl. Und dabei hilft mir: ein Manifest.

Zwischen Politik und Kunst

Manifeste gibt es in vielen Formen und Formaten. Die meisten Unternehmen haben eins, die meisten Magazine auch: ein Dokument, in dem festgelegt ist, wofür man steht. Ganz allgemein gesagt ist ein Manifest eine öffentliche Erklärung von Zielen und Absichten. Ein „Mission Statement“. Es kann, zum Beispiel, künstlerisch, philosophisch oder politisch sein und von einer Einzelperson, einer politischen Partei oder einem Kollektiv verfasst werden.

Insbesondere zu politischen Manifesten finden sich zahlreiche Beispiele: Olympe de Gouges Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin oder das Manifest der 121, in dem 1960 u.a. Jean-Paul Sartre, Marguerite Duras und andere französische Intellektuelle die Haltung Frankreichs gegenüber der algerischen Unabhängigkeitsbewegung kritisierte. Das Riot Grrrl Manifesto von 1991 ist sowohl ein politisches als auch künstlerisches Manifest. Die Verfasserinnen schreiben:

[typedjs]„BECAUSE we are unwilling to falter under claims that we are reactionary ‘reverse sexists’ AND NOT THE TRUEPUNKROCKSOULCRUSADERS THAT WE KNOW we really are.” [/typedjs]

Woran glaube ich?

Letztendlich geht es bei einem Manifest um Überzeugungen. Mir hilft es, mich ab und zu mal in Ruhe hinzusetzen und zu überlegen, woran ich glaube und wofür ich stehe. Stehen möchte. Und dann ein Manifest zu schreiben. Das heißt nicht, dass ich eine Art Parteiprogramm für mich selbst schreibe – sondern, dass ich mich frage, was meine Überzeugungen sind und inwiefern das, was ich tue, damit übereinstimmt. Ich mag die Form des Manifests, weil sie sich verbindlicher anfühlt als eine schlichte To-Do-Liste. Weil sie Reflexion und ja, auch ein bisschen Arbeit erfordert.

Ein Manifest ist etwas ganz individuelles. Es muss kein Entweder/Oder sein – alles hat dort Platz, Gesellschaft, Politik, Karriere, Beziehungen. Die grundsätzliche Frage, die man sich aber immer stellen sollte, lautet: Was oder woran glaube ich? Die Antwort kann einfach oder komplex sein. Die britische Autorin und Podcasterin Emma Gannon beantwortet diese Frage beispielsweise so: „I believe… in equality, in cringe-inducing honesty, in prioritising family/loved ones, in having an unlikely role model, that we all change a little bit every day (…), in exercising your voices (…)”.

Erinnerung daran, wer ich bin

Das Private und das Politische schließt sich also nicht aus, vielmehr ist das Private oft die Voraussetzung für das Politische. Weitere, hilfreiche Fragen, die man sich in einem Manifest stellen kann, sind diese: In welcher Welt will ich leben und was macht diese anders oder besser als die, in der ich gerade lebe? Welchen Beitrag kann und will ich dazu leisten? Außerdem noch nützlich für ein Manifest: konkrete Tipps, Ratschläge und persönliche Lebenserfahrung (z.B. „Schlaf wird nicht überbewertet“), inspirierende Zitate und Vorbilder.

Ein Manifest kann vieles sein und solange man nicht vorhat, es öffentlich zu teilen und daraus tatsächlich ein (politisches) Programm zu machen, ist seine Form egal. Sie muss und soll lediglich zu der Person passen, die das Manifest schreibt. Wichtiger ist sowieso der Prozess des Schreibens und die damit verbundenen Überlegungen und Fragen. Mein Manifest ist meist nicht mehr als ein paar Punkte, die ich auf einer Notizbuchseite notiere, manchmal ein schlichtes Word-Dokument auf meinem Laptop. Oft vergesse ich, dass ich dieses Manifest geschrieben habe. Doch wenn ich dann zufällig darauf stoße, Tage, Wochen, Monate später, fühlt es sich jedes Mal an wie eine willkommene Überraschung. Und eine Erinnerung. Denn da sind sie plötzlich: ein paar Wörter und Sätze, die mir ins Gedächtnis rufen, wer ich bin und wer ich sein will, wofür ich stehe. Und was das für meine Arbeit und mein Leben bedeutet.

Manifest aus der Collage: © Dreamy Moons, Cecilie Bahnsen

2 Kommentare

  1. hirndiva

    Deine Worte haben mein Hirn frei und mein Herz warm gemacht.
    Danke dafür ! und einen frischen Herbst….

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