Jonathan Safran Foer war und ist und bleibt einer meiner Lieblings-Autoren und ganz heimlich ist er sogar der Grund für den zweiten Vornamen meines Sohnes, der Lio Jonathan heißt. Vollends unvoreingenommen bin ich beim Durchlesen von „Wir sind das Klima“, Foers neuestem Werk, also ganz sicher nicht gewesen. Aber dennoch: Skeptisch. Denn in der FAZ hatte Literaturkritikerin Julia Encke kaum ein gutes Haar an diesem Dokument der Suche nach einem besseren Leben gelassen. „Unerwartet zögerlich“ beschreibt sie diesen fast 300 Seiten langen Essay. Der Autor interessiere sich außerdem „mehr für sich selbst als für die klimapolitische Lage“. Und weshalb Foer, „der aus einer Familie von Holocaustüberlebenden kommt, den Widerstand gegen die Nazis mit der Notwendigkeit, den Klimawandel aufzuhalten,“ vergleicht, will ihr ebenso wenig einleuchten. Es stimmt schon: Das Buch „Wir sind das Klima“ schockiert nicht. Es tut nicht weh. Es provoziert nicht und wirkt wenig wütend, dafür aufrichtig und reflektiert. Aber genau darin liegt, wenn man mich fragt, die unbändige Stärke dieser Zeilen, die sich klug und mit Bedacht an unseren Verstand wenden, mit jeder Seite, die sich schließlich zu einem eindringlichen Appell formen, der eben nicht wieder verschwindet, wie sonst etwa nach einem anfänglichen Schock, sondern nachhallt und genau dort bleibt, wo er sich binnen der gelesenen Stunden ungestört und sicher festsetzen konnte, als hätte Foer ihn mit Pattex an unser Bewusstsein geklebt. All die Worte, die Vergleiche, die persönlichen Beschreibungen ergeben tatsächlich allergrößten Sinn – sofern man während des Lesens denn nicht auf die eine große Antwort auf alle Klimafragen hofft, sondern vielmehr darauf, sich selbst mit „Wir sind das Klima“ noch ein Stückchen mehr aus der „Mir egal und außerdem alles viel zu anstrengend-Lethargie“ heraus zu manövrieren, im besten Fall schon morgens beim Frühstück.
Einen Textmarker sollte man nicht nur für Foer, sondern auch für Theodor W. Adorno bereit halten, dessen Vortrag von 1967 über die „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ wahrhaftig wie „eine Flaschenpost an die Zukunft“ wirkt. Erschreckend präzise wirken die Theorien über die Gründe für so viel braunes Denken und Handeln selbst dann noch, wenn man die NPD während des Lebens gedanklich gegen die AfD austauscht. Ein MussMussMuss für alle, die noch ein bisschen mehr begreifen wollen.
Weil Doris Lessing in diesem Jahr außerdem ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte, erschien soeben das Sammelwerk „Worum es wirklich geht“ – und es ist so unendlich gut, natürlich, der pure Genuss sozusagen. Nicht nur für jene, die mit dem Schreiben Lessings vertraut sind, wohlbemerkt. Wer Doris noch nicht vergöttert, wird es spätestens danach tun.
Bleibt nur nur „Kein Schöner Land“ – zum gemeinsamen Aufregen über die deutsche Gegenwartskultur. Herrlich schnippig und scharf und schlau geschrieben ist dieses gesammelte Werk von insgesamt acht Autor*innen. Selbst dann, wenn die eigene Meinung mal zuteifst mit dem Aufgeschriebenen rangelt, lernt man noch sehr viel dazu. Und so ehrlich und unvorsichtig wie Autorin Quynh Tran da über diese seltsame Beziehung zwischen Deutschland und der Mode philosophiert, zu Recht, ist eine große, gelungene Ausnahme, die in Anbetracht der Fakten eigentlich Routine sein solle. Danke.
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Kein Schöner Land – Angriff der Acht auf die deutsche Gegenwart
„Nach einem gemeinsamen Ausflug an die Isar fassen vier Frauen und vier Männer den Entschluss, die deutsche Gegenwartskultur auf den Prüfstand zu stellen. Sie sind Experten für Mode, Literatur und Kunst, für Theater, Essen und Musik, für die Politik, für Film und Fernsehen. Sie sind die unabhängigen Geister, die hierzulande so dringend gebraucht werden – und so selten geachtet. Herausgekommen ist eine genauso unterhaltsame wie kontroverse Gegenwartsdiagnose, die es so noch nicht gegeben hat. Acht Nadelstiche gegen den deutschen Stumpfsinn, acht kritische Perspektiven auf ein Land an der Schwelle zu den neuen Zwanzigern: Kein schöner Land ist ein Bootcamp gegen die geistige Trägheit – und ein Ausbruch aus der deutschen Bequemlichkeit.“
Kein Schöner Land, erschienen bei C.H. Beck, auch hier erhältlich.
Doris Lessing – Worum es wirklich geht
„Dieser Band versammelt eine Auswahl der eindrücklichsten Erzählungen von Doris Lessing – bestens geeignet zum Wiederentdecken oder als Einstieg in das umfangreiche Werk der Literatur-Nobelpreisträgerin.Es geht um Liebe, Ehe und um das spannungsgeladene Geschlechterverhältnis, um Einsamkeit, aber auch Hoffnung, die der Liebe entspringen können.Lessings Kurzprosa überzeugt mit menschlicher Wärme, psychologischer Präzision und kritischem Humor.“
Worum es Wirklich geht, erschienen bei ebersbach & simon , auch hier erhältlich.
Joanthan Safran Foer – Wir sind das Klima
„Jonathan Safran Foer schafft es erneut, uns ein komplexes Thema wie die Klimakrise so nahe zu bringen wie niemand sonst. Und das Beste: Einen Lösungsansatz liefert er gleich mit. Mit seinem Bestseller »Tiere essen« hat Jonathan Safran Foer weltweit Furore gemacht: Viele seiner Leser wurden nach der Lektüre Vegetarier oder haben zumindest ihre Ernährung überdacht. Nun nimmt Foer sich des größten Themas unserer Zeit an: dem Klimawandel. Der Klimawandel ist zu abstrakt, deshalb lässt er uns kalt. Foer erinnert an die Kraft und Notwendigkeit gemeinsamen Handelns und führt dazu anschaulich viele gelungene Beispiele an, die uns als Ansporn dienen sollen. Wir können die Welt nicht retten, ohne einem der größten CO2- und Methangas-Produzenten zu Leibe zu rücken, der Massentierhaltung. Foer zeigt einen Lösungsansatz auf, der niemandem viel abverlangt, aber extrem wirkungsvoll ist: tierische Produkte nur einmal täglich zur Hauptmahlzeit. Foer nähert sich diesem wichtigen Thema eloquent, überzeugend, sehr persönlich und mit wachem Blick und großem Herz für die menschliche Unzulänglichkeit.“
Wir sind das Klima, erschienen im KiWi Verlag, auch hier erhältlich.
Theodor W. Adorno – Aspekte des neuen Rechtsradikalismus
„Am 6. April 1967 hielt Theodor W. Adorno auf Einladung des Verbands Sozialistischer Studenten Österreichs an der Wiener Universität einen Vortrag, der aus heutiger Sicht nicht nur von historischem Interesse ist. Vor dem Hintergrund des Aufstiegs der NPD, die bereits in den ersten beiden Jahren nach ihrer Gründung im November 1964 erstaunliche Wahlerfolge einfahren konnte, analysiert Adorno Ziele, Mittel und Taktiken des neuen Rechtsradikalismus dieser Zeit, kontrastiert ihn mit dem »alten« Nazi-Faschismus und fragt insbesondere nach den Gründen für den Zuspruch, den rechtsextreme Bewegungen damals – 20 Jahre nach Kriegsende – bei Teilen der bundesdeutschen Bevölkerung fanden.
Vieles hat sich seitdem geändert, manches aber ist gleich geblieben oder heute, 50 Jahre später, wieder da. Und so liest sich Aspekte des neuen Rechtsradikalismus wie eine Flaschenpost an die Zukunft, deren Wert für unsere Gegenwart Volker Weiß in seinem Nachwort herausarbeitet.“
Aspekte des neuen Rechtsradikalismus, erschienen bei Suhrkamp, auch hier erhältlich.