„Preaching to the choir“: Warum es manchmal OK ist, in unserer Blase zu bleiben & wieso uns das stark macht.

Vor einigen Jahren unterhielt ich mich auf einer Veranstaltung mit einer Mitarbeiterin des Helene Weber Kollegs – eine Organisation, die Frauen in der Kommunalpolitik fördert. Wir sprachen darüber, welche Art von Publikum zu Veranstaltungen kommt, die sich explizit mit den Themen Gleichberechtigung und Gleichstellung beschäftigen. Sie spräche oft auf dem Land, in kleinen Orten davon, wie wichtig die Beteiligung von Frauen an der Kommunalpolitik sei, so die Frau vom Helene Weber Kolleg. Das Problem dabei sei: Im Publikum säßen nur die Menschen, die das Problem schon längst begriffen hätten, die Bekehrten. Die Menschen, die man wirklich erreichen müsste, kämen nicht.

Wir schauten uns um: Auch die Veranstaltung, auf der wir uns befanden, brachte Frauen zusammen, die zwar unterschiedliche Karrieren und berufliche Hintergründe hatten, eines aber definitiv gemeinsam hatten: Sie alle fanden, dass Frauen auf vielfältige Weisen diskriminiert und benachteiligt werden und diskutierten diese Tatsache in zahlreichen Workshops, bei Vorträgen und Panels. Man war sich einig, dass es ein Problem gab. Oder, um es anders zu sagen: Hier sprachen die bereits Bekehrten mit anderen bereits Bekehrten.

Offene Türen

Im Englischen gibt es die Redewendung „preaching to the choir“, was wörtlich „dem Kirchenchor predigen“ bedeutet und im übertragenen Sinne „offene Türen einrennen“. Es ist etwas, über das ich mir in den letzten Jahren viele Gedanken gemacht habe. Und es noch immer tue. Zu meinen Veranstaltungen kommen nahezu ausschließlich Menschen, die sich für Feminismus interessieren, die finden, Gleichberechtigung sei noch lange nicht erreicht. Gleichzeitig werde ich immer wieder gefragt: „Wie kann ich Menschen, die Feminismus ablehnen, davon überzeugen, dass er immer noch wichtig ist?“ In Interviews will man von mir wissen: „Was tust du, um bei anderen für deine Ideale und Forderungen zu werben?“

Es sind Fragen, auf die ich – immer noch – keine guten Antworten habe. Ich bin hin- und hergerissen. Zwischen dem Bedürfnis, andere davon zu überzeugen, dass Feminismus wichtig ist und nicht ein Synonym für männerhassende BH-Verbrenner*innen. Und dem, nicht ständig etwas erklären zu müssen, was so selbstverständlich sein sollte. Wie oft würde ich einfach gerne ausrufen: „Educate yourself“ oder „Google it“.

Doch dann denke ich: Habe ich nicht eine Verantwortung? Mache ich es mir zu einfach? Ist es nicht sogar die wichtigste Aufgabe, Menschen von meinem Anliegen zu überzeugen?

Ich bin offensichtlich nicht die Einzige, die sich solche Fragen stellt. Ein aktuelles Beispiel: Vor der Wahl in Sachsen reiste der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer durch sein Land, um mit Bürger*innen zu sprechen und sie davon zu überzeugen, seine Partei zu wählen, und nicht die AfD. Im Umgang mit der AfD sind auch andere Parteien ratlos und oft innerlich gespalten: Wie soll man zur AfD abgewanderte Wähler*innen zurückholen, gleichzeitig die Parteibasis bedienen und neue Wähler*innengruppen erschließen? Dabei ist die Basis, so scheint es oft, ist eine zu vernachlässigende Größe. Zu ihr sprechen bedeutet, offene Türen einzurennen, dem Kirchenchor zu predigen. Schließlich geht es hier um die Treuen, die Anhänger*innen, die einer Partei sowieso ihre Stimme geben. Um sie muss man sich nicht mehr bemühen, ihre Unterstützung hat man bereits.

Der (falsche) Glaube an Bekehrung

Für die US-amerikanische Autorin Rebecca Solnit ist diese Einstellung fatal. In ihrem Essay dem Kirchenchor predigen (erschienen 2018 in der Essaysammlung Die Dinge beim Namen nennen) schreibt sie über den Ausdruck „preaching to the choir“, dieser werde „bedauerlicherweise viel zu häufig in Abschlag gebracht, um den Austausch zwischen Menschen, deren Ansichten mehr oder weniger übereinstimmen, schlechtzumachen oder ganz und gar zu unterbinden. Der Ausdruck unterstellt, dass politische Arbeit vor allem eine Art missionarischer Glaubensfeldzug sein sollte; dass die Aufgabe politischer Arbeit ist, rauszugehen und die Heiden zu bekehren; dass es absolut gar nichts bringt, mit denen zu reden, mit denen man sowieso schon einer Meinung ist.“

Würde man dieser Logik folgen, so Solnit, müsse alles, was im Wahlkampf kommuniziert werde, auf die Gegner*innen abzielen und ein Versuch sein „sie auf meine Seite zu ziehen“. Dahinter steht ein (falscher) Glaube an Bekehrung, an die Wichtigkeit eines starken Konsenses. Stattdessen sei es, um politisch zu gewinnen, wichtig, die eigenen Leute zu motivieren, denn „um Veränderungen zu erreichen, braucht es nicht die Zustimmung aller.“ Ideen, so Solnit, würden an den Rändern entstehen und in Richtung Zentrum migrieren, wenn sie erfolgreich sein wollen.

In ihrem Text zitiert Solnit eine Seelsorgerin aus Michigan, Karen Haybood Stokes. Diese sagt: „Meine Aufgabe als Predigerin ist es, Orte der Übereinkunft zu finden und von dort aus weiterzugehen. Nicht, um die Einstellung von irgendjemandem zu ändern, sondern um zu tieferem Verständnis zu gelangen.“ Es geht darum, das, auf das sich alle Gemeindemitglieder einigen können, zum Ausgangspunkt zu machen – und nicht zum Ziel.

 

 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von Carissa Potter Carlson (@peopleiveloved) am

Ich mag diese Idee, vom Gemeinsamen auszugehen, das Verbindende in den Mittelpunkt zu stellen, um kollektiv zu handeln. Und ich stimme Rebecca Solnits Kritik zu: Mit Menschen zu diskutieren und zu sprechen, die eine ähnliche Haltung vertreten, meiner Meinung sind, hat einen Wert. Es ist sinnvoll und fruchtbar. Das merke ich jedes Mal, wenn ich auf Veranstaltungen mit Gleichgesinnten ins Gespräch komme: Ich gehe beschwingter nach Hause, weil ich weiß, ich bin nicht allein mit dem, was ich versuche zu machen. Sich gegenseitig zu motivieren und zu bestärken ist wichtig, es ist eine der Voraussetzungen dafür, überhaupt in irgendeiner Art und Weise politisch und gesellschaftlich wirken zu können. Gleichzeitig finde ich es schwierig, von der Idee zu lassen, Andersdenkende – im Rahmen meiner Möglichkeiten – doch noch zu überzeugen. Vielleicht bin ich naiv und vielleicht glaube ich zu sehr an die Macht der Worte. Wobei mir, natürlich, die Grenzen dieser Idee immer deutlicher vor Augen geführt werden: Manche Menschen sind meine Zeit und meine Worte nicht wert. Menschen, die überzeugte Rassist*innen oder Misogynist*innen sind, beispielsweise.

Sich gemeinsam stark machen

Rebecca Solnits Worte sind für mich eine Erinnerung daran, dass ich mich nicht immer und überall für meine Überzeugungen rechtfertigen, sie erklären muss. Dass ich nicht versagt habe, wenn ich einen schlechten Tag habe und mich weder emotional noch physisch in der Lage fühle, jemandem vom Lager „Feminismus ist eine Sekte“ vom Gegenteil zu überzeugen. Es mag sein, dass ich oft zu den bereits Bekehrten spreche, zum Kirchenchor predige. Aber das ist nicht unwichtig, es ist sogar essentiell: weil diese Bekehrten auch zweifeln, müde sind, abgestumpft. Und weil wir es nur gemeinsam schaffen können, uns stark zu machen für die Kämpfe, die noch gekämpft werden, die Stimmen, die noch gewonnen werden müssen.

Illustrationen der Collage: @blessthemessy

3 Kommentare

  1. Linda

    In dem Fall bin ich sehr gerne dein Kirchenchor und mein Mann und meine Tochter auch!
    Liebste Grüße

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