Nein, nein, keine Sorge: Das wird kein Text über Gentrifizierung und auch keiner über den Mietenwahn in deutschen Großstädten. Und trotzdem glaube ich langsam aber sicher aus Berlin herauszuwachsen. Wann aber weiß mensch, dass es endgültig reicht mit immer vollen Gehwegen, dem Feinstaub und dem ganzen Lärm? Und überhaupt: Wie wollen wir eigentlich leben?
Meine Position ist privilegiert. Immerhin kann ich arbeiten, wo ich will. Ohne festen Raum, nur ein bisschen Strom und Muße und einen Ort zum Wohlfühlen.
Was in den letzten Jahren Berlin für mich war, entpuppt sich, vor allem nach einem heißen Sommer 2.0, zu einem Joch der vielen, in dem ich, abgesehen von konstanter Überforderung, nur noch wenig wahrnehme. Das war nicht immer so: Als ich mit 20 meine Heimatstadt verließ, war ganz klar, wohin es gehen sollte: Körper über Kopf, Berlin über alles, stand da auf dem Programm, was mir damals ein Studiumsabbruch und die Sorge meiner gesamten Familie wert war. Aufregend: So viel Trubel, so viel Angebot und so viel los – Vorteile, die ich bis heute ungern missen will. Dennoch: Die Vorstellung einer Großstadt von morgen empfinde ich als beängstigend. Diese Angst zerstörte schon vor einiger Zeit sämtliche romantischen Hauptstadt-Ideale. Eine ganz andere Angst hält mich bis jetzt davon ab, Verbleib und Zukunft zwischen Spree und Landwehrkanal tatsächlich zu hinterfragen.
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Erst kürzlich sprach ich mit einer jungen Aktivistin über die Wahlen in Sachsen. „Was sind eure Wünsche?“, wollte ich wissen, „Was kann man euch für nachhaltige rechtsstaatliche Entwicklung und eine demokratische Zivilgesellschaft ohne Angst vor einer rassistischen Partei Gutes tun?“
„Kommt in den Osten, kommt wirklich. Denn es mangelt an Fachkräften, kulturellen Angeboten, frischem Wind und Energie,“ hatte sie brachial und resolut geantwortet, wie ich es lange nicht gehört hatte. Komisch. Dass überlaufende Fass an Potenzial ist bei weitem keine Neuentdeckung. Die Tagträumerei von einer konventionsbefreiten Großstadt, die auch auf den x-ten Input eines kreativen Kopfes, einer hippen Kanzlei oder eines nachhaltigen Fashion Brand angewiesen sein soll, können wir allerdings getrost an den Nagel hängen. Aus lauter Furcht, dass mich nur die Gewohnheit, der Komfort und die nächstbeste bezahlbare Wohnung hier hält, sind es stets Gedanken die ich auf „in ein paar Jahren“ vertage.
Auch wenn es arrogant ist zu glauben, dort wohnen zu müssen, wo man selbst oder das eigene Schaffen einen höheren Sinn erfüllt, hat mich der Aufruf der Fremden inspiriert und motiviert, vielleicht sogar regelrecht die Stimmung verändert. Ein guter Anlass, bei Themen wie Landflucht oder Dorfsterben nicht einfach mitleidig und verträumt aus dem Autofenster zu glotzen, sondern den Kopf anzuknipsen. Perspektiven erarbeiten, sich selbst in die Verantwortung nehmen und hinterfragen, ob es nicht Konzepte, Ideen und Formate gibt, die man sich besser vorstellen kann als die 50m² für 900 Euro kalt. Mit etwas mehr Grün und etwas mehr Ruhe in einem Umfeld, in dem sich tatsächlich etwas bewegen und verändern ließe.
Wenn heute vor allem die großen Städte aus allen Nähten platzen, scheint es fast wie eine gesellschaftliche Verantwortung im Hinblick auf Deutschlands und meine Zukunft, dorthin zu gehen, wo tatsächlich jemand etwas mit mir anfangen kann. Dort, wo nicht alle das gleiche studieren. Dort, wo nicht alle in ein und der selben Hammer-Immobilie in Mitte, P-Berg, Neukölln oder Charlottenburg einziehen wollen.
Sich gegen den Mietenwahnsinn zu wehren wäre ein Anfang. Auch die Suche nach neuen lokalen Wohnprojekten ist eine Option. Aber was, wenn das bisschen Engagement zwischen dem Alltagswahnsinn nicht reicht und innerhalb der nächsten zehn Jahre innerstädtische Zentren „gesäubert“ werden und zu einer homogenen Masse an freischaffenden, kreativen, arbeitswilligen, gutverdienenden Menschen unter vierzig verschmelzen? Fast zu spät, ich weiß. Insgeheim bin ich schon lange sauer auf mich und mindestens 25 Prozent meiner Nachbarschaft, die demnächst ausschließlich Menschen mit ähnlichen Jobs und gleichen Ideen besteht. Wie wäre es, wenn sich nicht der Lieferdienst um unsere wöchentliche Prise Landluft in Form der Bio-Kiste kümmert, sondern wir selbst? Mal ganz abgesehen von der regelmäßigen Stadtflucht, weil mensch es schlichtweg nicht mehr aushält und pünktlich zum Wochenende dem Epizentrum, der Spaßfabrik den Rücken kehrt, um gleich darauf im Stau zu stehen.
Langsam bin ich davon überzeugt, dass es die Ambivalenz des großstädtischen Lebens ist, die den ultimativen Reiz auslöst, um auch die totale Ablehnung nur ein paar Tage später wieder zuzulassen. Der sagenhafte Überfluss, die stetige Zugänglichkeit und der Zahn der Zeit nicht zu vergessen. Wie das neuste Yuppi-Phänomen, das einen selbst bestellten Viertelhektar Land an der Grenze zu Brandenburg beinhaltet, und die vermeintliche Brücke baut, zwischen dem Buddeln im eigenen Acker, der zum Glück noch im Carsharing-Speckgürtel liegt und allen anderen „Vorteilen“ des urbanen Lebens.
Auf der Suche nach Perspektive und Zukunft, haben meine Gedanken schon einige Male Berlin als Ballungszentrum verlassen. Lange werde ich mir die Miete hier nicht mehr leisten können. Nicht, ohne mich kaputt zu arbeiten und 50 Abstriche zu machen. Die kernsanierte zwei Zimmer Wohnung gibt es in Frankfurt (Oder)hingegen schon für 335,00€ kalt.