Mal wieder ist eine Frau tot. Mal wieder war der Täter ein Mann. Im österreichischen Kitzbühel hat ein Mann seine Ex-Freundin, deren Eltern, Bruder und neuen Partner erschossen – und wie immer in solchen Fällen ist der Aufschrei groß: Wie konnte das passieren? Der junge Mann war doch so ein netter Bursche, seine Familie im Ort angesehen!
Ja, wie konnte das geschehen? Tatsache ist: Es geschieht überall, täglich, stündlich. 2017 wurden laut einer UN-Studie weltweit 50.000 Frauen von ihrem Partner, Ex-Partner oder Familienangehörigen getötet. In Deutschland wird alle drei Tage eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet: 147 Frauen waren es 2017, 123 im letzten Jahr. Die meisten dieser Fälle gelangen nicht in die überregionalen Medien – vielleicht, weil sie so alltäglich sind.
„Verbrechen aus Leidenschaft“
Wenn etwas alltäglich, normal ist, gerät es schnell aus dem Fokus. Man gewöhnt sich daran. In Deutschland haben wir uns daran gewöhnt, dass für viele Frauen ihr Zuhause kein geschützter, sondern ein gefährlicher – der gefährlichste – Ort ist. Daran, dass immer noch viel zu oft von „Beziehungsdrama“ oder „Verbrechen aus Leidenschaft“ die Rede ist, wenn mal wieder ein Mann seine Ex-Partnerin oder Frau ermordet. Daran, dass die Bundesregierung zwar mit mehreren Millionen Euro die EU-Initiative Spotlight unterstützt, die unter anderem gegen Femizide kämpft, sich aber weigert, das Problem hierzulande beim Namen zu nennen. Femizid, das bedeutet: Mord an Mädchen und Frauen, weil sie Mädchen und Frauen sind. Es geht um das Geschlecht. Und das ist der Bundesregierung dann wohl doch zu krass.
Immerhin hat diese 2017 doch brav die Istanbul-Konvention ratifiziert und sich somit verpflichtet, Gewalt gegen Frauen entschieden zu bekämpfen. Aber wie entschieden tut sie das in der Realität? Kristina Wolff, die Anfang 2019 die Online-Petition Stoppt das Töten von Frauen #saveXX initiierte, stellt der Bundesregierung keine gute Bilanz aus:
Im Familien- und Frauenministerium belaufe sich die personelle Ausstattung für Bearbeitung, Umsetzung und Koordinierung im Bereich „Gewalt gegen Frauen“ auf gerade einmal 0,9 Planstellen. Nicht einmal ein ganzer Mensch. Vom groß angekündigten „Bundesprogramm zur Unterstützung von Frauen und Kindern gegen Gewalt“ gehen laut Wolff allein 30 Millionen Euro für bauliche Maßnahmen an Bestandsgebäuden drauf – übrig bleiben mickrige 5 Millionen für konkrete Maßnahmen.
Schwindende Geduld
Das alles wären gute Gründe, sich aufzuregen. Und in anderen Ländern tut man das auch: In Frankreich, dessen Femizid-Zahlen in etwa mit den deutschen vergleichbar sind, haben Femen-Aktivistinnen am vergangenen Wochenende bei einer Demonstration in Paris der 114 französischen Frauen gedacht, die in diesem Jahr bereits von ihren Partnern oder Ex-Partnern ermordet wurden. In Argentinien, wo im Schnitt alle 30 Stunden eine Frau getötet wird, bringt die Bewegung Ni Una Menos (dt. Nicht eine weniger) Hunderttausende auf die Straße: Ihr Zeichen ist die erhobene Hand, oft in Lila oder auf violettem Untergrund.
Doch auch in Deutschland tut sich etwas, schwindet die Geduld mit einer Regierung und einem Staat, die noch viel mehr in die Verhinderung von Gewalt gegen Frauen investieren müssten, in Schutzräume für Betroffene, in Prävention. So hat es sich die Initiative #KeineMehr zum Ziel gemacht, über die strukturellen Hintergründe des Femizids zu informieren und das öffentliche Bewusstsein dafür zu stärken. An konkreten Maßnahmen fordert sie unter anderem eine Reform des §211 Strafgesetzbuch, in dem das Tötungsstrafrecht formuliert ist. So müssen für den Strafbestand Mord bestimmte Merkmale wie „Heimtücke“ oder „Habgier“ vorliegen – bei Femiziden aber werden die Täter oft nur wegen Totschlags verurteilt, weil sie angeblich im Affekt handelten und nicht heimtückisch.
Die Dinge beim Namen nennen
Dinge beim Namen zu nennen, ist ein erster, wichtiger Schritt, damit sich etwas ändern kann. Wenn Dinge keinen Namen haben – oder den falschen – lässt sich nur schwer über sie sprechen. Namen haben Macht, sie zu benutzen ist der Beginn einer Diagnose, eines möglichen Heilungsprozesses.
123 Frauen haben letztes Jahr in Deutschland ihr Leben verloren, weil sie Frauen waren. Sie wurden ermordet von Männern. Lasst uns das Ding beim Namen nennen. Lasst uns endlich von Femizid sprechen.