Kolumne // Die Frau, die ich gern wäre.

Seit ich knietief in einer Beziehung der allerersten Sahne stecke, gibt es Momente, in denen ich gar nicht mehr einzuschätzen weiß, ob ich noch immer saumäßig unabhängig oder einfach schon ein bisschen trotzig ob der ganzen Liebe bin, die macht, dass ich mich am liebsten an den Mann kleben würde, manchmal. Ich sage dann Sachen wie „Das kann ich ganz allein, Valentinstag ist mir egal, Zusammenziehen dann in zehn oder zwölf Jahren vielleicht“ oder „Heute ist’s schlecht, ich wäre viel lieber allein.“

Wie eine, die keine Angst vor gar nichts hat, stehe ich dann da, in etwa so, als könne ohnehin kein Mensch der Welt je mein Herz zerfleischen, ganz gleich wieviel harte Arbeit er in meinen emotionalen Untergang auch investieren würde, am Ende bliebe ich allein sowieso meine erste und größte aller Lieben.

Was aus der Ferne betrachtet wie ein eiserner Wille wirken muss, ist in Wahrheit vielleicht nichts weiter als ein empfindliches Mantra, das ich mir immer und immer wieder selbst aufsage, eine stille Hoffnung. Darauf, dass ich irgendwann zu all dem werde, was ich von mir erwarte. 

Bis dahin aber blute ich nach jedem Beweis meiner Unabhängigkeit zwei, drei Tropfen auf den tiefen Grund meiner Sehnsucht nach einhundertprozentiger Nähe. Sie ist nicht immer merklich, manchmal bleibt sie sogar wochenlang scheu und freiwillig im Verborgenen. Kehrt sie wieder, bin ich gewappnet. Mit Büchern, die mich stützen, Zitaten, die meine Gedanken klar waschen und mit dem, was ich im Laufe der vergangenen 31 Jahre hoffentlich gelernt habe. Weil ich es doch eigentlich besser wissen müsste, denke ich dann, während ich zum achtunddreißigsten Mal infolge nach meiner verdammten Ratio suche. Und mir eine PMS-Träne wegwische, bloß weil heute nicht gekuschelt wird.

Das alles kommt natürlich nicht von ungefähr. Dieser Drang danach, so wild und frei und furchtlos zu sein wie all die Frauen, denen irgendwelche Leute irgendwelche Sätze in den Mund legen, damit wir am Ende sagen: Wow. Das will ich auch! Dieses Hirn, das über jedes Herz erhaben ist. Ich nenne diese Bilder, die ich selbst so sehr mag, gern „Pretender Porn“. Weil sie mir beim Anschauen etwas geben, über das ich selbst ganz offensichtlich nicht immer verfüge: Totale Unabhängigkeit und Dankbarkeit ohne Angst vor einem Ende. Obwohl ich doch beides beherrschen müsste, oder?

 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von THIS IS JANE WAYNE (@thisisjanewayne) am

Wir lesen ja schließlich so viel über diese Tugend: Vom Freisein und dem Gegenteil von dem, was alle machen, die vor lauter Zweisamkeit Gefahr laufen, den Respekt vor sich selbst verlieren, bis sie am Ende nicht nur verschmelzen, sondern verschwinden. Wir hören von Antithesen und diesem unbändigen und zugleich schmückendem, kühlen und kühnem Mut, der so unfassbar verlocken klingt. Der schreit: Ich kenne meinen Wert! Du musst mich verdienen! Und wenn du’s nicht kapierst, verpiss dich halt.

Wir erfahren von Menschen, die unter den Augen erlesener Gäste nicht jemand anderen, sondern sich selbst heiraten, hoch offiziell. Zum Beispiel weil es sowieso das Beste und Klügste ist, was man überall dort anstellen kann, wo Scheidungen so zahlreich sind wie Betrunkene in der Nacht. Wir hören von Leuten, die sich glücklich beseelt der „Sologamie“ hingeben, von Frauen, die endlich „enough“ sind´oder mit „sich selbst verpartnert“, wie Emma Watson es zuletzt benannte, und von großen Beispielen der Geschichte, die das viel geteilte Zitat „I’m not searching for my other half, because I’m not a half“ nicht nur gepostet, sondern gelebt haben. Simone de Beauvoir etwa, die 1930 einen „erneuerbaren Freundschaftspakt“ mit Jean-Paul Sartre schloss. Eine freiwillige Liebe war das, eine große sogar, der es an nichts mangelte. Außer an Alltag, Streit und Heimlichkeiten. 

Die Wahrheit ist jedoch: So bin ich einfach nicht. Nicht jeden Tag. Nicht allumfassend. Stattdessen liebe ich so gern und so exzessiv, dass es manchmal weh tut. Ich ziehe an und stoße ab, brauche heute viel Nähe und morgen wieder viel mehr Luft zum Atmen. Mal bin ich weich, dann wieder hart. Oft stark, aber auch sehr schwach. Ich kann gar nicht anders. Und trotzdem lerne ich von diesen Frauen, die ich gern wäre. Ich lerne von ihnen aber keineswegs mehr wie sie zu sein, sondern: ich zu sein. Mich zu hinterfragen. Zu heilen. Meinem Gegenüber Zeit und Raum zu geben, dabei aber trotzdem nicht zu vergessen, dass ich eigene Bedürfnisse haben darf. Dass man an Nähe wachsen kann. Dass es okay ist, einzufordern, was nicht Trauma oder Utopie, sondern Herzenswunsch ist. Und mir dämmert inzwischen, dass es im Grunde vermutlich genau darum geht.

Weil es überhaupt nicht wichtig ist, ob wir unverwundbar sind, nein, freiwillig verletzlich zu werden, weil wir jemanden lieben, mit ihm oder ihr ein ganzes Leben zu teilen, das ist meines Erachtens sogar sehr, sehr mutig. Vielleicht sogar viel tollkühner als das theatralische Imzaumhalten zu großer Gefühle, das Versteinern. Was wirklich zählt ist doch, dass wir uns bei alldem trotzdem wichtig nehmen. Uns genau zuhören. Herausfinden, wie wir sind. Wert zu schätzen, wer wir sind. Und auszudrücken, was wir uns wünschen, weil wir es wollen. Viel richtiger wäre schlussendlich also:

I am complete. But you’re welcome to join.

11 Kommentare

  1. Coco

    Danke für deine Worte!!! Tut so gut, das mal von wem anders zu hören und sich nicht als einzige zu fühlen, die offenbar alles falsch macht, weil sie Nähe und Beisammensein braucht.

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  2. Sibylle

    Hm, der letzte Satz bestärkt das Gefühl, dass der Artikel nicht auf meiner Herzensfrequenz schwingt. Wenn jemand mir nicht geben kann, was ich brauche, muss ich mir angucken warum ich das von dieser Person benötige, woher der Mangel in mir kommt. If you don’t love yourself, no one can love you. Und so. Natürlich rede ich nicht von der Situation in welcher ein Partner den anderen nicht liebt und emotionales Blackmailing etc. im Spiel ist. Aber in einer liebevollen Beziehung kann der Partner nicht immer alles sein. Dafür sind dann andere Freundschaftsbeziehungen da mit der Familie, mit Freunden. Und oft merke ich zumindest bei mir selbst, wenn ich denke mein Partner liebt mich nicht so wie ich das heute brauche, dann liegt das Problem oft in mir selbst. Wenn ich beispielsweise einen Tiefpunkt an Selbstbewusstsein habe, könnte er mich feiern wie er möchte. Der echte Grund kann dann eher Angst vor Scheitern sein und ich kann mich nur besser fühlen wenn ich das identifizieren und daran arbeiten kann. Aber wenn die Beziehung richtig gut läuft und man sich nicht scheut offen darüber zu reden, dann geht das identifizieren zusammen manchmal schneller. Generell ist es in meinen Augen eine falsche Stärke, die uns die Gesellschaft da einredete, dass man alleine wahrhaftig stark ist, dass man seinen Wert ohne Partner festlegen können muss. Ich glaube, sich wirklich auf jemanden voll und ganz einzulassen, sich nicht noch eine Hintertür im Herzen offen halten, keine kleine Mauer stehen lassen, auf der man sich vielleicht noch auf dem Bauch liegend verstecken kann, das braucht wahre Stärke. Denn ja, manchmal dauert es nicht für immer und man muss vielleicht wie ein Phönix aus der Asche sich neu finden. Aber wer bleibt denn wirklich gleich, ob alleine oder zu zweit? Alles ist ein Prozess, keiner ist eine komplette Form. Ich bin jetzt neun Jahre mit meinen Mann und gerade frisch verheiratet. Und wir beide wissen, wir sind gute Menschen in unserer eigenen Form, aber zusammen finden wir uns noch besser. Ich wäre eine ganz andere, bestimmt auch gute Person ohne ihn, aber ich liebe die Person die ich mit ihm bin. Und wenn er mir nicht geben kann, was ich brauche, dann finde ich es in mir. Und wenn ich nicht bin, was er braucht, dann helfe ich ihm suchen wo es herkommen könnte. Ich glaube an die Liebe und dass sie uns die Möglichkeit gibt bessere Menschen zu werden. Nicht weil da ein anderer Mensch neben einem steht, sondern weil man sich trauen muss, sich voll und ganz seinen Ängsten in die Augen zu blicken. Und im besten Fall geht das zusammen leichter.

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      1. Nana

        Eigentlich finde ich, Nike, dass du genau das gleiche sagst wie Sybille. Nur eben anders. Danke.

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  3. Sarah

    Ich finde es ehrlich gesagt sehr schön mit meinem Partner zu verschmelzen. Schon seit Teeniezeiten habe ich mir einen Partner gewünscht, der mein allerbester Freund ist. Danach hab ich gesucht – und bin dann auch irgendwann fündig geworden. Ich habe auch Freunde, aber keiner von denen kann mir die Geborgenheit und das innige Verbundensein geben wie mein Mann. Bei niemandem fühle ich mich so frei in meinem Ausdruck und meinem Sein wie bei ihm. Natürlich existiere ich auch allein, ich bin durch meinen Job auch immer als Einzelperson unterwegs und eine eigene „Marke“, die ganz ohne ihn auskommt. Natürlich komme ich auch allein klar, kann mich um alles kümmern und mich allein beschäftigen. Aber wie Sibylle es gesagt hat, mag ich den Menschen, der ich mit ihm bin – und DURCH ihn. Wir lernen soviel voneinander, entwickeln uns zusammen weiter, jeder in seinem Bereich, in seinem Tempo, aber dennoch gemeinsam, mit viel Austausch. Wir spiegeln, reflektieren und bestärken uns gegenseitig. Und das ist toll!

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  4. Lotta

    Also wenn man als Feministin nicht über beide Ohren verliebt sein darf, dann sind wir irgendwo falsch abgebogen 😉

    Wichtig ist ja nur, dass man nicht in einer Beziehung bleibt, weil man finanziell oder psychologisch (ich hab Angst allein zu sein, ich trau mir mein Leben alleine nicht zu) abhängig ist.

    Ich glaube nicht, dass uns – überspitzt ausgedrückt – Feminismus-Coolness-Regeln weiterhelfen à la „Ich heirate mich selbst“ oder „Eine moderne Frau braucht keinen Mann/Ehe“. Es geht doch viel mehr darum, dass man die Freiheit hat zu wählen. Für die eine ist Single sein richtig, die andere brennt darauf, ihr Leben mit jemandem zu teilen. Auch eine Frau, die sich gegen eine Karriere entscheidet und lieber die Kinder versorgt, kann Feministin sein (hoffen wir nur, dass sie mit ihrem Partner eine Rentenausgleichszahlung vereinbart hat 😉 ).

    Alles andere führt doch nur wieder zu Zwängen, die uns von außen auferlegt werden oder die wir uns in diesem Fall sogar selber aufdonnern.

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  5. Grace

    Liebe Nike, ich verstehe dich so gut. Manchmal bin ich wie ein Kind, dass sagt „Ich kann das alleine machen!“. Und das kann ich natürlich auch. Ich kann ganz schön viel alleine machen und schaffen. Falls ich dann doch mal Hilfe brauche im Leben, hab ich so viele unglaubliche Menschen um mich. Aber manchmal ist es einfach schön, Dinge nicht alleine machen zu müssen oder für ein paar Tage komplett ineinander zu zerfließen. Und dann stehe ich da mit meinem blöden „ich kann das alleine, weil ich bin super unabhängig“ und möchte doch einfach nur gekuschelt werden. Aber mein Liebster kennt mich zum Glück schon ganz gut und weiß, ich sag dann schon bescheid, wenn ich doch lieber wieder gemeinsam sein würde ohne meine Unabhängigkeit zu verlieren.

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  6. Mona

    Gar nichts ist schlimm daran, glücklich ‚aneinander zu kleben‘.
    Ich würde nur jedem empfehlen, sich als eigene Person nicht aus den Augen zu verlieren. Sowas passiert ja eher schleichend und oft auch erst nach ein paar Jahren, in denen man zusammen ist. Und dann kann es eben passieren, dass man nicht nur realisiert, dass man eine Person nie richtig im Kern kennen wird oder dass man über das gesunde Maß hinaus Kompromissen nachgegeben hat, die ungut sind, ohne dass man es überhaupt bemerkt hat.
    Genauso wie man mit 20 schon denkt, die komplette Welt verstanden zu haben, mit 30 gegen die ersten Wände gefahren ist und glaubt, nun wisse man aber wirklich Bescheid, sind die 40 und bestimmt auch 50 usw. wieder Etappen, an denen man innehält und merkt – Ich weiß gar nichts. Und das wird vermutlich auch immer so bleiben.
    Ich finde heute zumindest, dass die Hauptsachen Unabhängigkeit, Freundinnen, hören aufs Bauchgefühl und der Behalt des eigenen Geschmackes sind.

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    1. Fritzi

      Vielen Dank für den Artikel. Du bringst Gedanken zum Ausdruck, die mich auch viel beschäftigt haben.
      Ich frage mich in letzter Zeit sehr häufig, woher dieses im gegenwärtigen Feminimus sehr häufig geäußerte Ideal, unabhängig und stark und eigenständig sein zu müssen, eigentlich kommt (und das ja auch oft in dieser Girl-Boss-Sache mündet). Ist nicht eigentlich der Gedanke, dass wir Menschen alle autonome Individuen sind, ein Grundstein (und eine Illusion!) des Patriarchats, ein Menschenbild, das nur dann entstehen kann, wenn wir die ganze unsichtbare Care-Arbeit ausblenden? Denn diese macht sichtbar, dass wir als Menschen eben immer aufeinander angewiesen sind. Was für Kinder, alte Menschen etc gilt, gilt doch eigentlich für jede/n von uns: dass wir nur in und durch Beziehungen zu anderen sein können. Auch wenn wir nicht die Hilfe benötigen, wie sie kleine Kinder brauchen, so brauchen wir doch ständig ein Gegenüber und die emotionale, mal konflikthafte, mal harmonische, mal inspirierende, mal provozierende, mal beflügelnde Beziehung zu diesem. Mir hilft hier der italienische Feminismus weiter – und ich finde es schade, dass er gegenwärtig nur in Nischen vertreten ist. Wir sind demnach weder halb noch ganz, sondern ständig im Werden begriffen, und können nur in Beziehung zu anderen werden. Und gerade hierin liegt da die große Herausfordeurngen: Unsere Beziehungen so zu gestalten, dass wir einerseits die gegenseitige Angewiesenheit anerkennen und gleichzeitig uns auch als unterschiedliche Personen wahrnehmen, uns herausfordern und gleichzeitig wertschätzen – also an der Art und Weise der Beziehung arbeiten, anstatt an der Tatsache, dass wir Beziehungen brauchen. Ich würde mir wünschen, dass die Tatsache, dass wir alle elementar aufeinander bezogen sind, in den Mittelpunkt feministischen Denkens rückt und uns damit ein anderes Verständnis unserer eigenen Bedürfnisse und Beziehungen ermöglicht, das nicht dem (unerreichbaren und patriarchalen(?)) Ideal von Autonomie und Unabhängigkeit nachhängt.

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