Bis vor einer Woche habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht, ob ich denn jemals einen zweiten Instagram Account brauchen könnte, auf dem ich wirkliche Schnappschüsse, vermeintliche Peinlichkeiten und Gedankenwirrwarr teilen kann. Vor einer Woche wusste ich aber auch noch nicht, dass es durchaus üblich ist, so einen zweiten Account zu besitzen. „Finsta“ nennt es die Generation Z, wie ich in einem BBC Artikel erfuhr. Ironischerweise steht dieser Begriff für „Fake Instagram“, meint damit aber eigentlich das genaue Gegenteil — also Accounts, auf denen Leute all das posten, worauf sie gerade Lust haben, auch das verrutschte Selfie oder das wackelige Foto der letzten Pommes Schranke, die im betrunkenen Zustand binnen Sekunden vertilgt wurde. Alle Fotos, Screenshots und Videos, die es niemals auf den Rinsta (kurz für Real oder Regular Instagram) schaffen, werden hier fleißig und ganz ohne Scham geteilt — natürlich ausschließlich im Privatmodus. Privat ist meist auch der Benutzername, denn bestenfalls soll der Account von ungebetenen Followern erst gar nicht gefunden werden. Akzeptiert werden ausschließlich die engsten Freunde oder, in seltenen Fällen, Familienmitglieder.
Im ersten Moment ging es mir da wie ganz sicher vielen von euch auch: Ich rollte ungläubig mit den Augen und fragte mich, warum die Leute ihren Account nicht einfach auf privat stellen. Immerhin wirkt die Überlegung doch recht schnell so, als würde man sich ausschließlich mit sich selbst und seiner Außendarstellung beschäftigen. Doch irgendwie wurde mir auch schnell klar, dass man nicht selten versucht, sogar im kleinen Kreis noch gut dazustehen.
Mit jedem Satz, den ich über dieses Phänomen der jüngeren Generation las, dachte ich ein bisschen mehr über einen Namen für meinen eigenen, potenziellen Finsta Account nach — und kam mir im ersten Moment ganz schön dämlich vor, weil ich mir so viele Gedanken über einen Instagram Account und damit auch über mich machte. Irgendwie wollte ich es aber dennoch austesten, um herauszufinden, was genau eigentlich hinter so einem Finsta steckt und ob ich − neben meinem Account, den ich meist für berufliche Zwecke nutze − nicht auch Gefallen an einem geheimeren Ort finden könnte. Anschließend brauchte es etwa einen Tag, bis ich einen Nutzernamen fand, der nicht vergeben war und dann war er da, mein ganz eigener Finsta Account.
In der ersten Zeit war ich furchtbar aufgeregt und freute mich über mein kleines Geheimnis, von dem niemand außer mir wusste. Ich stürzte mich unmittelbar in meinen Fotoordner, der etliche Bilder beinhaltete, die eigentlich nie für irgendeine Plattform gedacht waren — doch statt einfach alles, das mir in die Finger kam, hochzuladen, zerbrach ich mir den Kopf darüber, welches Bild es denn überhaupt in die engere Auswahl schaffen sollte und mir wurde klar: Irgendwie habe ich dieses „einfach frei drauf los posten“ verlernt, was natürlich schon reichlich dämlich ist, wenn man bedenkt, dass dieses Bild ja ohnehin niemand außer mir selbst sehen würde. Nach viel zu langer Bedenkzeit lud ich schließlich ein Selfie, das ich irgendwann mit einem Alien-Filter von Instagram gemacht hatte, hoch — ohne Caption, ohne Filter und ohne Scham, obwohl ich mich nie und nimmer getraut hätte, es auf meinem regulären Profil zu posten, weil es mir dafür dann doch zu peinlich war.
Bekannterweise ist ja aber aller Anfang schwer, selbst dann, wenn er vor lauter Banalität nicht zu übertreffen ist, wie in meinem Fall. Nach einer ersten Schockstarre fand ich mich langsam zurecht und postete in den kommenden Tagen schließlich analoge Bilder, Fotos von meinem Freund, von Ausflügen und irgendwann auch ein Foto des Schauspielers, von dem ich als Teenie unfassbar schwärmte. Es begann sogar für einen Moment, richtig Spaß zu machen, bis ich bemerkte, dass ich so ein Bild eben doch nie nur für mich ganz alleine poste. Auf meinem eigentlichen Account teile ich Inhalte mit Menschen, die mir aus irgendwelchen Gründen folgen. Auf meinem Finsta Account hingegen teile ich meine Bilder mit genau 0 Followern, was sich nach kurzer Zeit wahnsinnig sinnlos anfühlt, weil es ja eben niemand sieht, außer mir selbst. Der reine Akt des Postens wahlloser Inhalte war demnach nicht das, was mich befreite, es musste also mehr dahinter stecken.
Wild entschlossen ging ich zum finalen Akt über und fügte meine engsten Freundinnen hinzu, um meine misslungenen Kochkünste, Couch-Potatoe-Abende, peinliche Selfies und frühere prominente Teenie-Flammen fortan mit ihnen zu teilen. Und tatsächlich: Bereits das bloße Wissen, dass da fortan jemand zuschaut, mit dem ich all diese Nichtigkeiten teilen kann, gab alldem endlich irgendeinen Sinn. Ich glaube, da habe ich zum ersten Mal so wirklich richtig verstanden, warum dieses Finsta so beliebt, ja für manche sogar essenziell ist: Denn es geht nicht bloß darum, Fotos ganz ohne Druck posten zu können, sondern vielmehr um einen Ort, an dem man sich mit seinen Freundinnen trifft, man selbst sein kann, ohne unmittelbar verurteilt oder abgewertet zu werden. Es ist eine Art neuer „Safe Place“, der uns einst mit dem Untergang von Plattformen wie Facebook oder Studi VZ genommen wurde, aber selbst in Zeiten der medialen Selbstdarstellung vor meist unbekannten Personen noch immer relevant ist.
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Für mich jedenfalls hätte es derzeit keinen besseren Ort geben können, um Alltägliches mit meinen Freundinnen, die mittlerweile in den verschiedensten Ecken verteilt leben, zu teilen und das Gefühl zu bekommen, ihnen auf diese Weise ein Stückchen näher zu sein. Und wenn ich dabei auch noch völlig unbeschämt Fotos meiner früheren Teenie-Schwärme à la Jesse Bradford teilen kann, klingt es doch stark nach einer gigantischen Win-Win-Situation.