Seit 2016 setzen sich Gizem Adiyaman und Lucia Luciano mit ihrem Kollektiv Hoe_mies nun schon für eine diversere Hip Hop Szene ein. Damals begann die heutige Eventreihe als einzelne Party, um gegen die Verdrängung von Frauen und LGBTQ-Personen zu protestieren. Heute gelten ihre Partys als Ort, an dem ebenjene Menschen ungestört, vor allem aber auch sicherer, feiern können. Um unterrepräsentierte Realitäten auch außerhalb der Veranstaltungen sichtbarer zu machen, aufzuklären und die Geschichten jener Menschen zu erzählen, deren Stimmen so häufig ignoriert werden, haben die beiden Frauen jetzt den Podcast Realitäter*innen ins Leben gerufen, den ihr euch ab heute anhören könnt. Wir haben mit Lucia und Gizem über Diversität in der Musikbranche, Sexismus und ihren Podcast gesprochen.
Ihr seid bereits seit 2016 als Hoe_mies unterwegs und widmet euch gleichermaßen innerhalb als auch außerhalb eurer Partys Themen, die nicht immer offen angenommen werden — welches waren die schwierigsten Momente eurer bisherigen Laufbahn?
Gizem: Was immer schwierig ist und woran man sich nie zu 100 Prozent gewöhnen kann, ist, wenn sich sehr viele Leute auf einen stürzen und jede Menge Kritik für eine Sache üben. Das hatten wir einige Male, beispielsweise mit der Aktion #rkellystummschalten. Damals haben wir uns in einer Art Rechtfertigungsdruck gesehen, auch, wenn wir immer wussten, warum wir gewisse Dinge tun.
Lucia: Ich würde auch sagen, dass es schwierig ist, die Intention, die man hat, nach außen transparent zu machen, damit die Leute die Beweggründe verstehen. Wir denken uns bei den Dingen, die wir machen, ja auch immer sehr viel. Natürlich sind wir nicht perfekt und befinden uns noch immer in einem Lernstadium. Kritik ist ja auch immer etwas Positives, so lange sie denn konstruktiv ist. In manchen Momenten hätten wir uns aber schon gewünscht, dass andere Menschen sehen, dass wir keine Institution, sondern zwei Menschen sind, die versuchen, ihr Bestes zu geben und an alles zu denken. Manchmal vergessen wir dann auch, etwas zu erwähnen — das wird uns dann oft direkt sehr krummgenommen.
Gizem: Stimmt. Wir würden uns allgemein mehr Fehlerfreundlichkeit wünschen.
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Und wie geht ihr solchen Rückschlägen und Druck um?
Lucia: Das ist ganz unterschiedlich. Als am Anfang noch alles sehr neu war, habe ich mich zurückgezogen, weil ich wirklich getroffen war. Da habe ich mich schon gefragt, warum manche Menschen so gemein sind.
Gizem: Wir haben aber auch gelernt, dass wir vieles nicht so persönlich nehmen dürfen, weil wir auch unserer Community gegenüber eine gewisse Verantwortung tragen. Wir wollen möglichst viele Leute repräsentieren, weil wir sichtbar sind und eine Plattform haben. All diesen Erwartungen gerecht zu werden, ist manchmal aber auch ganz schön schwierig.
Lucia: Ja, vor allem, wenn es Leute sind, die man unterstützen möchte. Im Nachhinein hatte es eigentlich auch sehr viel Positives, weil wir viel gelernt haben. Darüber, wie man mit Communities umgeht und wie Community Building überhaupt funktioniert — aber auch über uns selbst. All das waren wichtige Schritte, die uns zu den Personen gemacht haben, die wir jetzt sind. Ich glaube, dass wir mittlerweile ganz anders mit Rückschlägen umgehen.
Gizem: Auf jeden Fall. Wir adressieren es mittlerweile und lassen es nicht einfach unter den Tisch fallen. Wenn es ein wichtiges Thema ist, das man transparent machen sollte, machen wir das auch, beziehen Stellung und suchen den Dialog.
Lucia: Genau. Selbst, wenn wir dann häufiger gefragt werden, warum wir uns für etwas rechtfertigen oder erklären. Es gibt aber nun einmal eine Gruppe an Menschen, denen das Thema sehr wichtig ist und wenn wir im ersten Moment unaufmerksam waren, möchten wir im Nachhinein darüber sprechen.
Mit eurer Hoe_mies Reihe fördert ihr queere Menschen und Frauen, um sie zu empowern − was genau bedeutet Empowerment für euch?
Lucia: Für uns bedeutet es, dass wir mitspielen, mitwirken und mitgestalten dürfen und dass verschiedene Lebensrealitäten, die in Deutschland stattfinden, sichtbar gemacht werden.
Gizem: Sichtbarkeit und Repräsentation ist superwichtig, aber auch, Solidaritäten miteinander zu schaffen, um Menschen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Empowerment bedeutet für mich, gesehen und verstanden zu werden.
Stichpunkt „gesehen werden“: Habt ihr das Gefühl, euch wird eine andere Wertschätzung gegenüber gebracht, als Männern?
Lucia: Ich glaube, Frauen haben es immer schwieriger. Sie werden viel eher nach ihrem Aussehen und ihrem Alter beurteilt. Daran wird ihr Wert gemessen. Es gibt ganz viele Maßstäbe, von denen ich glaube, dass es sie unter Männern gar nicht gibt.
Gizem: Total. Ich glaube, dass es auch für uns ein Privileg ist, dass wir in eine gewisse Norm passen, denn natürlich werden uns hierdurch auch ein paar mehr Türen geöffnet. Das zu reflektieren und nicht einfach so zu tun, als hätten es alle gleich gut oder schlecht, empfinde ich als wichtig. In der Vergangenheit gab es auch einige Ereignisse, die uns gezeigt haben, dass Männer und Frauen nie gleichgestellt sein werden — vor allem, wenn man mal in Clubs schaut.
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Habt ihr ein Beispiel?
Gizem: Vergangenen Herbst hatten wir einen Gig, für den wir eigentlich aufgrund unserer Policy gebucht wurden. Bei der Abendgestaltung wurde dann aber gar keine Rücksicht darauf genommen und es lief ziemlich aus dem Ruder. Wir waren dann diejenigen, die aufräumen mussten, weil sich Gäste daneben benommen haben und nicht entsprechend reagiert wurde, obwohl uns das im Vorfeld eigentlich kommuniziert wurde.
Lucia: Vor allem haben wir an dem Abend selbst gesehen, was passiert ist. Als die entsprechende Person aus dem Club gebeten wurde, hieß es von Veranstalterseite, es sei nichts gesehen worden. Noch dazu kam auch noch der Sexismusvorwurf auf, weil ein Mann aus dem Club geworfen wurde — das war eine ziemlich merkwürdige Unterhaltung, bei der wir schnell gemerkt haben, dass wir nicht weiterkommen, weshalb wir auch nicht mehr in den besagten Club gehen werden.
Gizem: Solche Dinge passieren und dann merkt man, dass man es als Frau viel schwieriger in dieser Branche hat. Andererseits gibt es auch Leute, die uns unterstellen, wir hätten es als Frauen viel leichter, weil weibliche DJs gerade der totale Trend seien.
Lucia: Klar, dann haben wir eben ein paar mehr Gigs, letztendlich repräsentieren wir aber auch etwas. Wir machen uns viele Gedanken, in welche Clubs wir gehen und setzen uns in dem Zuge stärker mit den Veranstaltern auseinander. Da merken wir dann auch schon, wenn jemand unser Konzept gar nicht erst verstanden hat.
Gizem: Auf jeden Fall. Es geht uns aber auch darum, nicht einfach bloß aufzulegen. Wir möchten nachhaltig etwas bewirken, Strukturen hinterfragen und Diskurse anregen, ganz egal, wo wir hingehen.
Habt ihr denn das Gefühl, dass es ein Trend ist, mit Frauen zusammenzuarbeiten?
Lucia: Auf jeden Fall. Letztes Jahr waren es beispielsweise vermehrt Frauen, jetzt gibt es einen stärkeren Fokus auf die LGBTQ-Community. Das bestimmen nicht wir, sondern die Brands. Daran merkt man dann schon, was gerade ein Trend ist — das bedeutet aber nicht, dass Frauen jetzt alles übernommen haben.
Gizem: Das stimmt. Gewisse Zahlen setzen sich natürlich auch weiterhin fort. Nur weil mal hier und dort eine Frau im Line-Up ist, bedeutet das nicht, dass sich von Grund auf alles verändert hat.
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Glaubt ihr, dass sich in puncto Diversität etwas in der Branche geändert hat?
Lucia: In einigen Momenten habe ich das Gefühl, dass sehr viel passiert, vor allem, wenn es um neue Strukturen geht. Schaut man aber auf alte Strukturen, merkt man, dass sich die Menschen hier sehr schwer damit tun, etwas zu verändern — wobei wir mittlerweile gar nicht mehr versuchen, bei anderen Leuten mit am Tisch zu sitzen. Wir machen lieber unseren eigenen Tisch.
Gizem: Genau. Es sind aber auch viele weibliche Kollektive entstanden, die sich gegenseitig helfen und unterstützen. Auch unter Festivals gibt es einige tolle Beispiele — etwa das Whole Festival, das Primavera Festival und das Puls Open Air. Natürlich gab es aber auch Momente, in denen wir gemerkt haben, dass sich noch vieles ändern muss, insbesondere beim Booking. Einmal haben wir, zwei Women of Color, ziemlich spät auf einem Festival in der Pampa gespielt, einen Shuttle nach Hause gab es aber nicht. Darüber, wie sich Leute wirklich wohl fühlen können, wird sich einfach noch wenig Gedanken gemacht.
Lucia: Es gab auch schon den Fall, in dem wir solche Dinge in der Öffentlichkeit angesprochen haben und darauf wütende Reaktionen bekommen haben.
Gizem: Das stimmt. Da wurde uns dann von Veranstalterseite noch angeboten, die Probleme auf eine andere Weise zu klären. In solchen Momenten merken wir, dass man uns gar nicht wirklich zuhören, sondern uns lediglich zum Schweigen bringen will.
Diese Leute springen also lediglich auf einen Zug auf, statt sich wirklich mit der Thematik auseinanderzusetzen?
Lucia: Ganz genau. Wir begegnen sehr oft Menschen, die nicht ganz verstanden haben, worum es uns geht. Sie wollen uns einfach buchen, damit Frauen in ihren Club kommen. Was ein weibliches oder queeres Publikum wirklich will und dass man bestimmte Schritte gehen muss, damit sich diese Personengruppen wohlfühlen,, haben sie nicht verstanden.
Und an welchen Stellen muss sich in euren Augen noch viel verändern?
Gizem: Eigentlich überall dort, wo es größere Strukturen gibt. Ob das jetzt große Labels, Vertriebe, Verlage oder Booking-Agenturen sind. Eigentlich alles, das nicht sonderlich divers ist. Wenn man in große Booking-Agenturen schaut, sitzen dort größtenteils Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft. Weiße, männliche Booker, die vielleicht auch nicht ganz das Gefühl dafür haben, wofür wir stehen und uns dann auch nicht korrekt platzieren können.
Lucia: Das stimmt. Häufig hören wir auch die Aussage, es gäbe ja gar nicht so viele Frauen in der Branche. Als Antwort darauf haben wir mal einen Post gemacht, in dem wir ganz viele weibliche Künstlerinnen aufgezählt haben — das haben einige Leute dann schon als Angriff aufgefasst.
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Gizem: Und das, obwohl es mit einem Augenzwinkern war und wir den Leuten eigentlich sagen wollten, dass sie ihre Arbeit machen und sich Leute ins Boot holen sollen, die mehr Expertise haben, was bestimmte Gruppen angeht. Aber das ist nur eine Baustelle von vielen.
Lasst uns mal über euren Podcast sprechen — was hat es mit dem Namen Realitäter*innen auf sich?
Gizem: Der Namensfindungsprozess hat ehrlicherweise wahnsinnig lange gedauert, als er dann stand, war es aber irgendwie doch ganz klar, weil sich unser Podcast um Realitäten, die sonst untergehen, dreht.
Das bedeutet?
Lucia: Wir laden Menschen ein, die einen interessanten Hintergrund haben und somit eine andere Perspektive einbringen, wodurch sich viele spannende Unterhaltungen ergeben und man viel Neues lernt.
Gizem: In der ersten Folge geht es zum Beispiel um Dating. Das klingt jetzt erst mal nicht nach einem Thema, das nie beleuchtet wird, aber durch unsere Gäste, zwei nicht-binäre Personen, von denen eine asexuell und gleichzeitig eine Sexarbeiterin ist, bekommen wir richtig spannende Einblicke.
Lucia: Das stimmt, da habe ich auch wahnsinnig viel gelernt. In der zweiten Folge sprechen wir über Männlichkeit — ein Thema, das in Deutschland zwar bereits viel diskutiert wird, aber hauptsächlich von weißen Männern. Uns war es deshalb wichtig, einen Schwarzen, queeren Mann zu Wort kommen zu lassen. Insgesamt wollen wir mit Menschen sprechen, die nicht unbedingt in der Öffentlichkeit stehen müssen. Es geht vielmehr um Menschen, welche die Community in Deutschland mitformen und genau deshalb so wichtig sind.
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Wen wollt ihr mit eurem Podcast erreichen?
Gizem: Einerseits zählen wir auf unsere Community, andererseits möchten wir auch Leute mitnehmen, die von gewissen Themen noch nicht so die Ahnung haben.
Lucia: Wir möchten versuchen, Brücken zu schlagen, statt Themen in Filterblasen auszuhandeln. Wir haben den Anspruch, mit dem, was wir machen, auch ein Mainstream-Publikum zu erreichen, weil die Mehrheit natürlich ein Gewicht hat. Ich bin mit vielen Themen, über die wir sprechen, eher natürlich aufgewachsen, weil mein Umfeld nun einmal so war. Plötzlich kommt man dann aber in einen Diskurs, in dem viele akademische Begriffe fallen, an die sich viele Menschen dann vielleicht nicht so herantrauen. Diese Angst wollen wir ein bisschen nehmen und auch während des Podcasts daran denken, dass einige vielleicht zum ersten Mal von diesen Dingen hören.
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Also macht ihr auch eine Art Aufklärungsarbeit?
Lucia: Ja, irgendwie schon. Wobei wir bereits ganz oft gefragt wurden, ob wir Aufklärungsarbeit machen und wir das immer von uns geschoben haben.
Gizem: Wir wollten diesen Stempel nie aufgedrückt bekommen, denn eigentlich passiert es eher natürlich, indem wir Menschen dazu einladen, ihre Geschichte zu erzählen. In diesem Zuge wird man automatisch aufgeklärt.
Wie erreicht man eigentlich Menschen, die sich gegen jene Themen sträuben?
Lucia: Ich glaube fast gar nicht. Letztes Jahr habe ich auf verschiedenen Wegen versucht, Menschen, die wirklich ignorant sind, zu erreichen. Ich dachte, dass die jeweilige Person ja mich mag und, wenn sie sieht, dass ich mich mit etwas befasse, vielleicht auch ein Interesse daran hat und einen Zugang findet. Das stimmt aber nicht. Ich glaube, es ist wichtig, sich auf die Menschen zu konzentrieren, die ein offenes Ohr haben und sie dann an die Hand zu nehmen — und hoffe, dass wir irgendwann mehr sind.
Gizem: Man kann es sich auch nicht zur Aufgabe machen, Menschen zu erreichen, die gar nicht offen sind. Wir können es nur versuchen, indem wir Themen so aufbereiten, dass sie von einem breiten Publikum verstanden werden. Die Aufgabe, sich mit etwas auseinanderzusetzen, macht sich noch jeder selbst. Es ist eben ein Prozess, den wir alle durchlaufen.
Was würdet ihr tun, wenn ihr Königinnen von Deutschland wärt?
Lucia: Ich würde einige Posten diverser besetzen, vielleicht sogar in Doppelbesetzung. In vielen Dingen ergänzen sich Geschlechter, egal, ob sie nicht-binär, weiblich, männlich oder Trans sind. Wenn man Positionen mit Personen verschiedener Geschlechter und Herkünfte besetzt, kann man viel eher gewährleisten, dass an mehr gedacht wird.
Gizem: Monarchie abschaffen! Lol, Spaß. Ich kann mir vorstellen, dass die Unzufriedenheit vieler Leute damit zusammenhängt, dass sie sich einfach nicht repräsentiert fühlen. Mit einer diverseren Stellenbesetzung könnte man sicher vieles bewegen.
Lucia: Schwierig ist ja auch, dass noch immer zu viele weiße Männer über alles bestimmen — selbst über die Dinge, die sie selbst wohl niemals erfahren werden.
Gizem: Auf jeden Fall. Auch sollten Organisationen, die nicht die Mehrheitsgesellschaft ansprechen, stärker gefördert werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Gemeinsam mit ihren Gästen führen Gizem und Lucia aufklärerische Gespräche zu Themen wie toxische Männlichkeit, Body Positivity oder selbstbestimmte Sexualität. Jeden zweiten Donnerstag gibt es eine neue Episode Realitäter*innen auf Spotify.
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