Warum wir genervt von starken Frauen als Superheldinnen sind

13.02.2020 Feminismus

Letzte Woche veröffentlichte die New York Times einen Meinungsbeitrag der amerikanischen Schauspielerin, Drehbuchautorin, Produzentin und Regisseurin Brit Marling. Darin schrieb Marling, sie wolle nicht länger die „starke weibliche Hauptrolle“ sein. Sie berichtet, wie ihr als Schauspielerin immer nur Rollen als dünne, attraktive Ehefrau angeboten wurden – oder solche, in denen sie sehr schnell einen brutalen Tod stirbt. Die Rollen, so Marling, hätten nichts mit dem zu tun gehabt, was sie an der Schauspielerei ursprünglich angezogen hätte, nämlich „dass sie mir erlauben würde, die vollständige, leibliche Person zu werden, die ich mich erinnerte in der Kindheit gewesen zu sein – eine, die frei denken, gründlich zuhören und mit ganzem Herzen fühlen könnte.“ Unzufrieden mit den vorhandenen weiblichen Rollen begann Marling, ihre eigenen zu schreiben. Sie schrieb und produzierte zwei Low-Budget-Filme, in denen sie auch jeweils mitspielte, präsentierte sie auf angesehenen Festivals – und bekam plötzlich ganz andere Rollen angeboten als zuvor: die der starken weiblichen Hauptrolle.

 
 
 
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Auftragsmörderin, Spionin, Soldatin

Stark, das musste Marling feststellen, meint in Hollywood (aber auch in manchem Indie-Film) tatsächlich nicht mehr als das: Eine Frau, die körperlich fit und durchsetzungsfähig ist, anderen also – real oder metaphorisch – in den Hintern treten kann. Eine starke Frau hat Power, sie ist tough. Oder, wie Marling schreibt: „Sie ist eine Auftragsmörderin, eine Spionin, eine Soldatin, eine Superheldin, eine C.E.O. Sie kann während der Flucht eine Wundkompresse aus einer Damenbinde machen. Sie hat MacGyvers Einfallsreichtum, sieht aber in einem Tank Top besser aus.“

In anderen Worten: Starke weibliche Charaktere sind oft nicht mehr als ein Klischee. Ein sexy Klischee. Aber ist es nicht trotzdem erstmal gut, dass es eine Alternative zu Frauenrollen wie der dünnen, attraktiven Ehefrau gibt? Dass Frauen auch, nun ja, „stark“ sein dürfen? Marling schreibt, natürlich seien Geschichten, in denen Frauen Handlungsfähigkeit und eine Stimme hätten, positiv. Doch letztendlich seien all die den Frauen zugeschriebenen Stärken – körperliche Leistungsfähigkeit, greadlinige Ambitionen, fokussierte Rationalität – männlich konnotiert. Weiblich konnotierte Eigenschaften wie Empathie, Verletzlichkeit oder die Fähigkeit, zuzuhören, würden hingegen nie als „stark“ angesehen.

Weibliche Stärke = anormal

Schon 2013 schrieb Sophia McDougal in einem lesenswerten Artikel für den New Statesman (passend tituliert „Ich hasse starke weibliche Charaktere“): „Niemand fragt jemals, ob ein männlicher Charakter ‚stark‘ ist. Noch, ob er ‚angriffslustig‘ oder ‚kick-ass‘ ist, wenn wir schon mal dabei sind. Das ist offensichtlich so, weil von ihm standardmäßig angenommen wird, dass er ‚stark‘ ist. Teil des herablassenden Versprechens eines ‚Starken Weiblichen Charakters‘ ist, dass dieser anormal ist.“ Die Prämisse sei, so McDougal, dass normale Frauen schwach und langweilig seien. Der „starke weibliche Charakter“ hingegen sei anders, weil er (beziehungsweise: sie) ordentlich austeilen könne.

[typedjs]Wenn solche weiblichen Charaktere in vielen Filmen immer noch der Goldstandard für das sind, was als „stark“ gilt, nur weil sie sich so brutal verhalten wie Männer, ist das ein Problem.[/typedjs]

Auch die Schauspielerin und Regisseurin Natalie Portman kritisiert, dass, nur weil Frauen im Kino zunehmend abenteuerliche Kampfsportarten beherrschen, „kick-ass“ seien, mache sie das nicht automatisch zu facettenreichen Charakteren. Ja, es ist toll, dass es Charaktere wie Furiosa gibt, die von Charlize Theron in Mad Max: Fury Road dargestellte Kampfmaschine. Oder Scarlett Johanssons Black Widow (bald sogar mit eigenem Film). Aber: Wenn solche weiblichen Charaktere in vielen Filmen immer noch der Goldstandard für das sind, was als „stark“ gilt, nur weil sie sich so brutal verhalten wie Männer, ist das ein Problem. Zumal Männern im Film von jeher eine größere Bandbreite zugestanden wird, wie sie sein dürfen.

 
 
 
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Das Problem ist, dass starke weibliche Charaktere oft automatisch als feministisch gelten – schließlich treten sie das Patriarchat wortwörtlich in den Hintern. Und ist es nicht das, was Frauen sehen wollen? Einige Frauen sicher, andere sicher nicht. Oder nicht nur. In Natalie Portmans Worten: „Der Trugschluss in Hollywood ist, dass, wenn du eine ‚feministische‘ Geschichte schaffst, die Frau hardcore ist und gewinnt. Das ist aber nicht feministisch, es ist macho. Und ein Film über eine schwache, verletzliche Frau kann feministisch sein, wenn er eine echte Person zeigt, mit der wir mitfühlen können.“

Ein bisschen mehr Komplexität, bitte

Wie also sollten weibliche Charaktere sein? Ganz einfach: Genauso vielfältig wie männliche Charaktere. Stark und schwach. Sympathisch und unsympathisch. Verschlossen und offen. Unsicher und selbstsicher. Mitfühlend und empatheilos. Brutal und sanft. Alles dazwischen und noch viel mehr. Kurz: komplex. Alles andere ist nämlich ziemlich langweilig.

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8 Kommentare

  1. Julia

    Was ist denn überhaupt stark? Ich denke jede vermeintliche Stärke kann auch eine Schwäche sein und umgekehrt oder beides zugleich. Das ist alles eine Frage der Perspektive unabhängig ob männlich oder weiblich. Menschen sind komplex. Auch frage ich mich, ob Männern tatsächlich so viel Facettenreichtum zugestanden wird? Dürfen sie denn wirklich ihre Ängste, Unsicherheiten und Gefühle von Hilflosigkeit öffentlich zeigen, die zweifellos vorhanden sind, ohne beschämt zu werden? Ich bin ziemlich überzeugt davon, dass es weniger Gewalt gäbe, wenn dem so wäre.

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  2. Frauke

    Mal abgesehen vom Hollywood-Frauenbild und vermeintlicher Stärke ist es ja leider immer noch eine Seltenheit, dass ein Film dem Bechdel-Test standhält und alle drei Fragen mit Ja beantworten kann: Gibt es mindestens zwei Frauenrollen? Sprechen sie miteinander? Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann? Diese offensichtliche Minderheit von Frauen in tragenden Rollen, fehlender Austausch und Solidarität unter ihnen, das macht in meinen Augen einen Film platt und langweilig.

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  3. Susann

    In der 2. Hälfte der aktuellen (und letzten) Staffel von Bojack Horseman wird das auch thematisiert. Große Serienempfehlung!

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  4. Eva

    Die Tatsache, dass eine Eigenschaft „männlich“ konnotiert ist, sollte m. E. nicht dazu führen, sie als Monopol der Männer wahrzunehmen,egal ob schwach oder stark. Mich hat das in den Romanen von Elena Ferrante z. B. gestört. Da sagt die Protagonistin, dass sie sich als Wissenschaftlerin in eine männliche, rationale Matrix einfügen müsse. Das heißt für mich: Die Tatsache, dass Frauen jahrhundertelang vom „Patriarchat“ von der Wissenschaft ferngehalten wurden und man ihnen eine Unfähigkeit zur Rationalität angedichtet hat, heißt, daß Wissenschaft männlich ist und Emotionen sind weiblich? Das heißt doch, dass man sich diese unterdrückende Argumentation aneignet. Emotionen müssen nicht negativ sein, aber sie sind ganz sicher nicht weiblich. Hollywoodfilme sind eben oft klischeehaft. Das ist ja nun keine besondere Überraschung.

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  5. Laetitia A. M. Wegmann

    Ich verstehe es nicht. Es gibt so viele tolle Frauen da draußen, es gibt so viele starke Frauen da draußen und trotzdem werden sie immer – selbst wenn sie die Protagonistin sind, sie im Mittelpunkt stehen – fast immer über ihre Beziehungen zu Männern definiert. Im Wonderwoman Film wurde endlich mal eine Facettenreiche, Starke und Selbstbestimmte Frau gezeigt und doch ist sie ständig durch die zwar wichtige ( und durchaus sympathische) männliche Nebenrolle eingeschränkt und irgendwo auch durch diese definiert. Warum? Ich bin es leid. Warum braucht anscheinend jede starke Frau einen Mann, schließlich ist es andersrum ja auch nicht so, es würde ja auch niemand Superman über Louis Lane definieren. Und warum lässt jeder die alltägliche und sehr, sehr deutliche Diskrimination von Frauen nahezu weg? Ich hoffe die Zukunft bringt blad gewaltige Veränderungen, als realistisch denkender Mensch muss ich das, aber leider, sehr bezweifeln.

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    1. Miri

      Ich würde Superman tatsächlich sehr stark über Louis definieren. Ich kenne mich ein bisschen im Marvel und DC Universum aus und tatsächlich hat jeder Superheld (außer jetzt vielleicht Batman…) eine Freundin oder Frau, auf die der Held sehr stark fokussiert ist.
      Alleine in Avengers:Endgame hat Captain America sein Helden-Dasein zugunsten seiner großen Liebe komplett aufgegeben…

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