Letzte Woche veröffentlichte die New York Times einen Meinungsbeitrag der amerikanischen Schauspielerin, Drehbuchautorin, Produzentin und Regisseurin Brit Marling. Darin schrieb Marling, sie wolle nicht länger die „starke weibliche Hauptrolle“ sein. Sie berichtet, wie ihr als Schauspielerin immer nur Rollen als dünne, attraktive Ehefrau angeboten wurden – oder solche, in denen sie sehr schnell einen brutalen Tod stirbt. Die Rollen, so Marling, hätten nichts mit dem zu tun gehabt, was sie an der Schauspielerei ursprünglich angezogen hätte, nämlich „dass sie mir erlauben würde, die vollständige, leibliche Person zu werden, die ich mich erinnerte in der Kindheit gewesen zu sein – eine, die frei denken, gründlich zuhören und mit ganzem Herzen fühlen könnte.“ Unzufrieden mit den vorhandenen weiblichen Rollen begann Marling, ihre eigenen zu schreiben. Sie schrieb und produzierte zwei Low-Budget-Filme, in denen sie auch jeweils mitspielte, präsentierte sie auf angesehenen Festivals – und bekam plötzlich ganz andere Rollen angeboten als zuvor: die der starken weiblichen Hauptrolle.
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Auftragsmörderin, Spionin, Soldatin
Stark, das musste Marling feststellen, meint in Hollywood (aber auch in manchem Indie-Film) tatsächlich nicht mehr als das: Eine Frau, die körperlich fit und durchsetzungsfähig ist, anderen also – real oder metaphorisch – in den Hintern treten kann. Eine starke Frau hat Power, sie ist tough. Oder, wie Marling schreibt: „Sie ist eine Auftragsmörderin, eine Spionin, eine Soldatin, eine Superheldin, eine C.E.O. Sie kann während der Flucht eine Wundkompresse aus einer Damenbinde machen. Sie hat MacGyvers Einfallsreichtum, sieht aber in einem Tank Top besser aus.“
In anderen Worten: Starke weibliche Charaktere sind oft nicht mehr als ein Klischee. Ein sexy Klischee. Aber ist es nicht trotzdem erstmal gut, dass es eine Alternative zu Frauenrollen wie der dünnen, attraktiven Ehefrau gibt? Dass Frauen auch, nun ja, „stark“ sein dürfen? Marling schreibt, natürlich seien Geschichten, in denen Frauen Handlungsfähigkeit und eine Stimme hätten, positiv. Doch letztendlich seien all die den Frauen zugeschriebenen Stärken – körperliche Leistungsfähigkeit, greadlinige Ambitionen, fokussierte Rationalität – männlich konnotiert. Weiblich konnotierte Eigenschaften wie Empathie, Verletzlichkeit oder die Fähigkeit, zuzuhören, würden hingegen nie als „stark“ angesehen.
Weibliche Stärke = anormal
Schon 2013 schrieb Sophia McDougal in einem lesenswerten Artikel für den New Statesman (passend tituliert „Ich hasse starke weibliche Charaktere“): „Niemand fragt jemals, ob ein männlicher Charakter ‚stark‘ ist. Noch, ob er ‚angriffslustig‘ oder ‚kick-ass‘ ist, wenn wir schon mal dabei sind. Das ist offensichtlich so, weil von ihm standardmäßig angenommen wird, dass er ‚stark‘ ist. Teil des herablassenden Versprechens eines ‚Starken Weiblichen Charakters‘ ist, dass dieser anormal ist.“ Die Prämisse sei, so McDougal, dass normale Frauen schwach und langweilig seien. Der „starke weibliche Charakter“ hingegen sei anders, weil er (beziehungsweise: sie) ordentlich austeilen könne.
Auch die Schauspielerin und Regisseurin Natalie Portman kritisiert, dass, nur weil Frauen im Kino zunehmend abenteuerliche Kampfsportarten beherrschen, „kick-ass“ seien, mache sie das nicht automatisch zu facettenreichen Charakteren. Ja, es ist toll, dass es Charaktere wie Furiosa gibt, die von Charlize Theron in Mad Max: Fury Road dargestellte Kampfmaschine. Oder Scarlett Johanssons Black Widow (bald sogar mit eigenem Film). Aber: Wenn solche weiblichen Charaktere in vielen Filmen immer noch der Goldstandard für das sind, was als „stark“ gilt, nur weil sie sich so brutal verhalten wie Männer, ist das ein Problem. Zumal Männern im Film von jeher eine größere Bandbreite zugestanden wird, wie sie sein dürfen.
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Das Problem ist, dass starke weibliche Charaktere oft automatisch als feministisch gelten – schließlich treten sie das Patriarchat wortwörtlich in den Hintern. Und ist es nicht das, was Frauen sehen wollen? Einige Frauen sicher, andere sicher nicht. Oder nicht nur. In Natalie Portmans Worten: „Der Trugschluss in Hollywood ist, dass, wenn du eine ‚feministische‘ Geschichte schaffst, die Frau hardcore ist und gewinnt. Das ist aber nicht feministisch, es ist macho. Und ein Film über eine schwache, verletzliche Frau kann feministisch sein, wenn er eine echte Person zeigt, mit der wir mitfühlen können.“
Ein bisschen mehr Komplexität, bitte
Wie also sollten weibliche Charaktere sein? Ganz einfach: Genauso vielfältig wie männliche Charaktere. Stark und schwach. Sympathisch und unsympathisch. Verschlossen und offen. Unsicher und selbstsicher. Mitfühlend und empatheilos. Brutal und sanft. Alles dazwischen und noch viel mehr. Kurz: komplex. Alles andere ist nämlich ziemlich langweilig.