Gestern ist auf Netflix die Mini-Serie “Unorthodox” gestartet. Sie erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die aus ihrer jüdisch-orthodoxen Gemeinde in Brooklyn aufbricht, um in Berlin ein neues Leben zu beginnen. Vogue Deutschland haben die Drehbuchautorinnen Anna Winger und Alexa Karolinski erzählt, wie sie es geschafft haben, diese vielen unbekannte Lebenswelt so sensibel und authentisch abzubilden.
Zum Start von “Unorthodox” haben wir mit den Kreateurinnen der Serie gesprochen: der britisch-amerikanischen Drehbuchautorin Anna Winger („Deutschland 83“) und der detusch-kanadischen Filmemacherin Alexa Karolinski („Oma & Bella“), die zusammen für Drehbuch und Produktion (Winger) verantwortlich sind. Im Interview erzählen sie, wie man es schafft, zu einem hochsensiblen Thema zu recherchieren, das sich meist hinter verschlossenen Türen abspielt, was sie an der Community fasziniert hat und welche Reaktion sie sich auf “Unorthodox” erhoffen.
VOGUE: Die Buchvorlage von Deborah Feldman, Sie zwei als Drehbuchautorinnen und Maria Schrader als Regisseurin – wie hat sich dieses Team, das zum Teil schon in vergangenen Projekten miteinander gearbeitet hat, zusammengefügt?
Alexa Karolinski: Wir (Anna und Alexa) wollten schon seit längerem etwas zusammen machen. Wir waren große Fans von unseren jeweiligen Projekten, und was beim Kaffeetrinken begann, entwickelte sich zu konkreten Gesprächen über eine eventuelle Serie. Anna erzählte mir irgendwann von Deborah, deren Sohn auf die gleiche Schule in Berlin ging wie ihrer, und von ihrem Buch, welches wir beide verschlungen haben. So kroch sich “Unorthodox” allmählich in unser Gespräch, bis wir eines Tages mit Deborahs Segen entschieden, damit loszulegen. Maria ergab sich relativ natürlich als Regisseurin. Wir beide sind große Fans von ihrem Film “Morgenröte” und sie spielt in Annas Serie “Deutschland 83” und “Deutschland 86” als Schauspielerin mit. Anna gab ihr bei den Dreharbeiten das Buch und sie wollte mitmachen. Voilà!
Was hat die Zündung für die Verfilmung von “Unorthodox” gegeben und wie lange haben Sie an dem Projekt gearbeitet?
Alexa Karolinski: Es ging alles sehr schnell. Anna und mir war es wichtig, die Serie mit jemandem zu machen, der für unsere Vision offen war. Auch, dass wir zum Beispiel unsere Williamsburg-Szenen auf Jiddisch drehen. Dann kam Netflix an Bord und wollte die Serie gern ein Jahr später fertig haben. Das ist sehr schnell! Wir haben die ganze Serie in anderthalb Jahren fertig gemacht.
Die Geschichte von Esty in “Unorthodox” weicht von Deborah Feldmans eigener, autobiografischer Geschichte in vielen Punkten ab. Warum? Gab es etwas, dass Sie unbedingt zusätzlich erzählen wollten (und wenn ja, was)?
Beide: Die Serie hat zwei Ebenen, die eine spielt in Estys Vergangenheit in Brooklyn, die andere im heutigen Berlin. Estys Brooklyn hält sich sehr nah an das Buch, jedoch haben wir alles in Berlin erfunden. Zum einen liegt das daran, dass Deborah noch eine junge Frau ist. Es schien uns nicht als fair, ihre genaue Geschichte zu erzählen, weil sich ihr Leben noch ständig entfaltet. Zudem mussten wir einen Weg finden, Estys innere Stimme “nach außen” zu holen. Für uns ging das, indem wir andere Charaktere, wie zum Beispiel den ihres Mannes, entwickelten und andere dazu erfanden.
Wir wollten aber auch Esty nach Berlin bringen, um einen Weg zu finden, unsere eigenen Gedanken über die Stadt, ihre Geschichte und Menschen zu erzählen, die uns in anderen Serien fehlen. So trifft Esty eine Gruppe von internationalen klassischen Musikern. Mehr erzählen wir aber hierzu aus Spoiler-Gründen nicht! (schmunzeln)
Esty kommt aus der chassidischen Gemeinde in Williamsburg, Brooklyn. Wie haben Sie bei einem so sensitiven Thema sichergestellt, dass in der Seriendarstellung alles mit den dortigen Regeln und Lebensweisen übereinstimmt?
Von Anfang an war es klar, dass wir zusätzlich zu unserer eigenen Recherche Leute brauchten, die dieses Leben kennen und gelebt haben. Wir trafen in unserer Recherche auf Eli Rosen, der unser Übersetzer, Sprachcoach und Spezialist wurde, und auch den Rabbiner in der Serie spielt. Er kommt selber aus einer chassidischen Community und war jeden Tag am Set. Hinzu kommt, dass viele unserer SchauspielerInnen und StatistInnen selber aus verschiedenen chassidischen Gemeinden kommen. Jeff Wilbusch, der zum Beispiel unseren Moishe spielt, kommt ursprünglich aus Meah Sharim, Jerusalem, einer ultraorthodoxen Gemeinde, aus der er mit 13 Jahren floh.
Wie haben Sie auch vor Ort recherchiert – ist es nicht sehr schwierig, Einblicke in die Community zu erhalten?
Das haben wir Eli zu verdanken. Wir waren mehrmals in Williamsburg, wo er uns Kontakte zu Menschen in der Community schuf. Viele leben sozusagen zwischen den Welten. Sie leben zwar noch ein orthodoxes Leben, sind aber eventuell schon auf dem Weg raus, oder leben hinter geschlossenen Türen, aber mit mehr Freiheiten (etwa: sie sehen fern oder gehen in säkularer Kleidung in Bars). Vielen war es auch wichtig, dass wir das authentische Leben zeigen, sie wollten etwas dazu beisteuern.
Was hat Sie am Leben der Community am nachhaltigsten beeindruckt?
Diese bestimmte Community entwickelte sich in Williamsburg nach dem Holocaust. Was sie neben der Religion am stärksten zusammenhält ist die gemeinsame Trauer der ermordeten Familienmitglieder und der Glaube, dass der Holocaust Gottes Strafe für die Assimilation der Juden in Europa war. Sie ziehen die Garbe der Vorfahren an, damit man visuell erkennen kann, dass sie jüdisch sind. Deshalb sprechen sie auch Jiddisch, eine Sprache die es seit dem Holocaust in nichtakademischen säkularen Kreisen kaum noch gibt. Obwohl diese Entscheidungen nicht für jeden nachvollziehbar sind, ist es trotzdem bewegend und trägt zur Tragik des Holocausts bei. Es ist bewegend.
Als Esty nach Berlin kommt, trifft sie direkt auf eine sehr offene Multikulti-Gruppe an MusikerInnen, die sich ihrer annimmt; alle in Deutschland Geborenen kennen sich bestens mit der (Holocaust-)Vergangenheit des Landes aus. Zeichnet das nicht auch ein (leider) utopisches Bild der Stadt?
Wir erzählen nicht die Realität der ganzen Stadt, sondern die einer internationalen Gruppe von sehr talentierten StudentInnen. Solch eine Schule ist Utopie, aber eine, die in Berlin existiert. Berlin hat knapp 50 Musikschulen und Akademien. Das ist an und für sich eine utopische Zahl.
Welches ist das wichtigste Statement, dass Sie mit “Unorthodox” setzen möchten, was hoffen Sie, welche Diskussionen diese Serie anstößt?
Wir hoffen, dass Leute in erster Linie Spaß beim Schauen haben. Am Ende des Tages geht es um Entertainment und wir hoffen, dass die Serie den Leuten gefällt! Was Diskussionen und Debatten betrifft, sind wir selber gespannt. Mal schauen!