Vor etwa einer Woche habe ich zum ersten Mal seit Beginn der KiTa-Schließung die weiße Fahne gehisst. Mich ergeben und von der Illusion befreit, man könne diese Krise locker überstehen ohne ein paar Murmeln aus der Birne zu verlieren. Denn das Zurückkehren zur Langsamkeit mag in der Theorie sehr verlockend klingen, aber so einfach ist es nicht, für beinahe niemanden, auch nicht für Eltern. Zwei, drei, vier Wochen ohne Kinderbetreuung – da habe ich noch verständnisvoll und solidarisch genickt, die zusätzliche Familien-Zeit genossen, gewusst: Nur zusammen können wir das schaffen. Weil ja irgendwie auch ein Ende zu fühlen war. Nach aktuellem Stand soll diese Farce jedoch bis Anfang August andauern. Adieu, das war’s – wie eine Comicfigur meiner selbst saß ich vor dieser News, auf die das halbe Land (nicht) gewartet hatte, und lachweinte vor lauter Verzweiflung in mein Abendbrot hinein, an dem ich nur knapp nicht erstickte. Wie soll das zu schaffen sein? Kinder und Homeoffice, das passt in etwa so gut zusammen wie Arsch und Eimer Nagelteppich. Aber zurück zur Fahne.
Da hockte ich also nur wenige Minuten nach einem bühnenreifen Trotzanfall vonseiten des 5-jährigen Kindes, das mir schließlich stampfend und Türen knallend ein übermütiges „Ist mir doch scheißegal, dass du jetzt so ein doofes Meeting-Gespräch hast“ hinterher rief als sei es über Nacht 15 und besoffen geworden, neben dem Sofa. Mit einem Ast, an den ich mit etwas Tesa ein Taschentuch befestigt hatte, wedelte ich wild hinter dem Polster hervor: „Ich ergebe mich“ rief ich. „Und weißt du was, mir ist jetzt auch alles scheißpipikackegal, dann guck halt zwei Stunden am Stück Paw Patrol und iss alle Bonbons, die du finden kannst, aber wenn du dich dann übergeben musst, dann lasse ich die Suppe da einfach da liegen und dann kannst du mal gucken, wer dir heute Abend deine Pfannkuchen brät, ich, mein Freund, mache das nämlich nicht, ich kapituliere.“ Stille. Bis der Bonuspapa schließlich in gewohnt besonnener Manier den Raum betrat, um mir ein mitfühlendes „Was machst du denn da?“ entgegen zu aufmunterungslächeln. Noch bevor ich antworten konnte, motzte das Kind schon wieder im erhabenen Ton: „Mama ist gerade verrückt geworden.“ Und behielt zumindest für diesen Tag recht. Das Taschentuch brauche ich am Ende noch für die ein oder andere Träne der temporären Überforderung.
So sah er aus, der Moment, in dem ich merkte, dass die allgemeine Scheiße auch mir mittlerweile vom Schuh bis über den Oberschenkel gewandert war – obwohl ich mit meinem weißen privilegierten Arsch in einer fetten Kreuzberger Wohnung sitze. Tatsächlich weiß ich langsam aber auch nicht mehr, wie ich meine Augen nachts am Schreibtisch ohne Zahnstocher weiter aufhalten soll, weil tagsüber nunmal ganz andere Dinge als nur die Arbeit, existenzielle Sorgen und alles, was man schon unter normalen Umständen mit sich herum schleppt, an mir zerren – wie um alles in der Welt sollen also Menschen durch diese Krise kommen, die viel weniger haben, von allem? Weniger Platz, weniger finanzielle Mittel, weniger familiären wie emotionalen Support in Form eines Partners oder einer Partnerin? Weniger physische oder psychische Gesundheit? Wer kümmert sich? Wer hört zu? Wer schützt Eltern, wer beschützt die Kinder? Niemand. Noch nicht einmal die Politik, die jetzt dringend gefragt wäre.
Eltern müssen Teil der Lösung sein
Susan Hoffman ist selbst Mutter. Auf der feministischen Online-Plattform Edition F findet sie sehr passende Worte zum Thema #CoronaEltern:
„So sehr wir Eltern und die Kleinkinder unter sechs Jahren uns in der Corona-Krise auch bemühen: Die letzten fünfeinhalb Wochen haben Spuren hinterlassen. Körperlich. Mental. In unserer Partnerschaft. In der Beziehung zu unseren Kindern. Zu Freund*innen. Zur Familie. Zur Arbeit. Für ganz viele Momente bin ich dankbar. Etliches habe ich stoisch hingenommen und einiges brachte mich fast zum Platzen. Vielleicht wiegt die Aussage der Bundesregierung zum Thema Kitaschließungen deshalb so schwer.Wir haben uns bemüht. Wir waren still. Wir haben alles mitgemacht. Den Mund gehalten. Und jetzt scheinen wir uns im Vergleich zu den großen Lobbys nicht behaupten zu können. Wir, die Generation, die die Wirtschaft braucht. Wir, die den Generationenvertrag mit unseren Kindern am Laufen halten. Wir, die mit unseren Ideen und Erfahrungen Teil einer Lösung sein könnten. Wir werden nicht gesehen, gehört und gefragt.“ |
Dabei wollen und müssen wir Teil der Lösung sein.
Eltern werden nun selbst aktiv
Mit insgesamt drei Lösungsansätzen wird die Edition F-Mitgründerin nun selbst aktiv und appelliert an die Politik. Sie fordert:
- Rechtliche Bedingungen, die es Familien erlauben, gemeinsame Betreuungslösungen möglich zu machen – beispielsweise die Betreuung von bis zu drei oder fünf Kindern in privaten Räumen.
- Gleiches Recht für alle: Während Ladenflächen von bis zu 800qm geöffnet werden dürfen, bleiben Kitas derzeit geschlossen – ohne dabei bereits vorhandene Vorschläge wie Wechselmodelle, Neueinteilung von Gruppen nach Risiko oder „Frischluft“-Betreuung in Betracht zu ziehen. Dabei liegen bereits etliche Ideen vor.
- Das Corona-Elterngeld.
Wie wichtig es ist, #CoronaEltern mit den Folgen der Kita- und Schulschließungen nicht sich selbst zu überlassen, macht unterdessen die Petition von Katharina Mart deutlich:
„Kinder sind keine Hobbies. Die gesamte Gesellschaft und die Politik steht in der Verantwortung und darf Eltern nicht einfach allein lassen. Deswegen fordere ich als ersten Schritt, dass Eltern mit kleinen Kindern ein zusätzliches Kindergeld von 1000€ pro Monat – ein sogenanntes Corona-Kindergeld erhalten. Alleinerziehende, Eltern von Kindern mit Behinderungen und Eltern mit mehreren Kindern sollten weitere Zuschüsse erhalten. So können die schlimmsten Verdienstausfälle ausgeglichen und eventuell professionelle Einzelbetreuung organisiert werden. Außerdem müssen die Gebühren für Kitas und Hort in allen Bundesländern pausiert werden.“ |
Und wie geht es bei alldem eigentlich den Kindern?
Kein Tag vergeht, an dem mein Kind, das noch dazu ein Einzelkind ist, nicht nach seinen Freund*innen verlangt. Das Toben mit Gleichaltrigen, seine Delphin-Gruppe und seinen Kindergarten vermisst. Danach fragt, ob es seine Erzieher*innen vor der geplanten Einschulung im Sommer jetzt nun wirklich nicht mehr wiedersehen wird. Oder frustriert vor dem Absperrband der Spielplätze steht. Nun werden selbige zwar wieder geöffnet, aber: Reicht das aus? Und wieso werden Kinder in allem Abwägen zwischen Wirtschaft und Gesundheit sooft vergessen?
Mit diesen und anderen Fragen beschäftigt sich die Petition Kinder brauchen Kinder, die vor wenigen Tagen von einer Elterninitiative ins Leben gerufen wurde und fordert, dass die Konzepte zur Wiedereröffnung des Bildungsangebotes in enger Zusammenarbeit mit einem Expert*innenrat entwickelt werden, der die Belange von Kindern, Eltern, Wirtschaft und Gesellschaft endlich in Einklang bringen kann:
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„Für die Kinder brechen nicht nur ihre gewohnten Alltagsstrukturen weg, sondern auch Kontakte zu wichtigen Bezugspersonen wie Großeltern, Erzieher:innen und Freund:innen sowie nahezu alle Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten, z. B. Spielplätze, zoologische Gärten, Parkanlagen, Sportvereine und Schwimmbäder. Als Folge eines Mangels an äußeren Anreizen droht den Kindern soziale Deprivation, also die Gefährdung ihrer Entwicklung und ihrer seelischen Gesundheit [1]. Besonders hart treffen diese Regelungen Kinder mit Entwicklungsauffälligkeiten, Neurodiversität (z. B. ADHS, Autismus), Kinder aus belasteten Familiensystemen und solche, für die der Kindergarten ein wichtiger Ort für den Spracherwerb von Deutsch als Zweitsprache ist [2].“
Wie auch immer ein verantwortungsbewusster Umgang mit der aktuellen Situation auch aussehen mag und ganz gleich, ob wir für oder gegen die sofortige Öffnung von KiTas sind, über einen Punkt lässt sich meines Erachtens nach nicht streiten:
Familien müssen mindestens so wichtig sein wie die Wirtschaft. Auch, weil sie Teil von ihr sind. Eltern und Kinder müssen mitgedacht werden. Und genau: Teil der Lösung sein. Statt Leidtragende einer Politik, die gigantische Malls öffnet, während im ganzen Land Kinder wie Eltern im Regen stehen.
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