#CoronaEltern, oder: Der Tag, an dem ich mindestens zwei Tassen weniger im Schrank hatte

Vor etwa einer Woche habe ich zum ersten Mal seit Beginn der KiTa-Schließung die weiße Fahne gehisst. Mich ergeben und von der Illusion befreit, man könne diese Krise locker überstehen ohne ein paar Murmeln aus der Birne zu verlieren. Denn das Zurückkehren zur Langsamkeit mag in der Theorie sehr verlockend klingen, aber so einfach ist es nicht, für beinahe niemanden, auch nicht für Eltern. Zwei, drei, vier Wochen ohne Kinderbetreuung – da habe ich noch verständnisvoll und solidarisch genickt, die zusätzliche Familien-Zeit genossen, gewusst: Nur zusammen können wir das schaffen. Weil ja irgendwie auch ein Ende zu fühlen war. Nach aktuellem Stand soll diese Farce jedoch bis Anfang August andauern. Adieu, das war’s – wie eine Comicfigur meiner selbst saß ich vor dieser News, auf die das halbe Land (nicht) gewartet hatte, und lachweinte vor lauter Verzweiflung in mein Abendbrot hinein, an dem ich nur knapp nicht erstickte. Wie soll das zu schaffen sein? Kinder und Homeoffice, das passt in etwa so gut zusammen wie Arsch und Eimer Nagelteppich. Aber zurück zur Fahne.

Da hockte ich also nur wenige Minuten nach einem bühnenreifen Trotzanfall vonseiten des 5-jährigen Kindes, das mir schließlich stampfend und Türen knallend ein übermütiges „Ist mir doch scheißegal, dass du jetzt so ein doofes Meeting-Gespräch hast“ hinterher rief als sei es über Nacht 15 und besoffen geworden, neben dem Sofa. Mit einem Ast, an den ich mit etwas Tesa ein Taschentuch befestigt hatte, wedelte ich wild hinter dem Polster hervor: „Ich ergebe mich“ rief ich. „Und weißt du was, mir ist jetzt auch alles scheißpipikackegal, dann guck halt zwei Stunden am Stück Paw Patrol und iss alle Bonbons, die du finden kannst, aber wenn du dich dann übergeben musst, dann lasse ich die Suppe da einfach da liegen und dann kannst du mal gucken, wer dir heute Abend deine Pfannkuchen brät, ich, mein Freund, mache das nämlich nicht, ich kapituliere.“ Stille. Bis der Bonuspapa schließlich in gewohnt besonnener Manier den Raum betrat, um mir ein mitfühlendes „Was machst du denn da?“ entgegen zu aufmunterungslächeln. Noch bevor ich antworten konnte, motzte das Kind schon wieder im erhabenen Ton: „Mama ist gerade verrückt geworden.“ Und behielt zumindest für diesen Tag recht. Das Taschentuch brauche ich am Ende noch für die ein oder andere Träne der temporären Überforderung.

So sah er aus, der Moment, in dem ich merkte, dass die allgemeine Scheiße auch mir mittlerweile vom Schuh bis über den Oberschenkel gewandert war – obwohl ich mit meinem weißen privilegierten Arsch in einer fetten Kreuzberger Wohnung sitze. Tatsächlich weiß ich langsam aber auch nicht mehr, wie ich meine Augen nachts am Schreibtisch ohne Zahnstocher weiter aufhalten soll, weil tagsüber nunmal ganz andere Dinge als nur die Arbeit, existenzielle Sorgen und alles, was man schon unter normalen Umständen mit sich herum schleppt, an mir zerren  – wie um alles in der Welt sollen also Menschen durch diese Krise kommen, die viel weniger haben, von allem? Weniger Platz, weniger finanzielle Mittel, weniger familiären wie emotionalen Support in Form eines Partners oder einer Partnerin? Weniger physische oder psychische Gesundheit? Wer kümmert sich? Wer hört zu? Wer schützt Eltern, wer beschützt die Kinder? Niemand. Noch nicht einmal die Politik, die jetzt dringend gefragt wäre.

Eltern müssen Teil der Lösung sein

Susan Hoffman ist selbst Mutter. Auf der feministischen Online-Plattform Edition F findet sie sehr passende Worte zum Thema #CoronaEltern:

„So sehr wir Eltern und die Kleinkinder unter sechs Jahren uns in der Corona-Krise auch bemühen: Die letzten fünfeinhalb Wochen haben Spuren hinterlassen. Körperlich. Mental. In unserer Partnerschaft. In der Beziehung zu unseren Kindern. Zu Freund*innen. Zur Familie. Zur Arbeit. Für ganz viele Momente bin ich dankbar. Etliches habe ich stoisch hingenommen und einiges brachte mich fast zum Platzen. Vielleicht wiegt die Aussage der Bundesregierung zum Thema Kitaschließungen deshalb so schwer.

Wir haben uns bemüht. Wir waren still. Wir haben alles mitgemacht. Den Mund gehalten. Und jetzt scheinen wir uns im Vergleich zu den großen Lobbys nicht behaupten zu können. Wir, die Generation, die die Wirtschaft braucht. Wir, die den Generationenvertrag mit unseren Kindern am Laufen halten. Wir, die mit unseren Ideen und Erfahrungen Teil einer Lösung sein könnten. Wir werden nicht gesehen, gehört und gefragt.“

Dabei wollen und müssen wir Teil der Lösung sein.

 

Eltern werden nun selbst aktiv 

Mit insgesamt drei  Lösungsansätzen wird die Edition F-Mitgründerin nun selbst aktiv und appelliert an die Politik. Sie fordert:

  1. Rechtliche Bedingungen, die es Familien erlauben, gemeinsame Betreuungslösungen möglich zu machen – beispielsweise die Betreuung von bis zu drei oder fünf Kindern in privaten Räumen. 
  2. Gleiches Recht für alle: Während Ladenflächen von bis zu 800qm geöffnet werden dürfen, bleiben Kitas derzeit geschlossen – ohne dabei bereits vorhandene Vorschläge wie Wechselmodelle, Neueinteilung von Gruppen nach Risiko oder „Frischluft“-Betreuung in Betracht zu ziehen. Dabei liegen bereits etliche Ideen vor.
  3. Das Corona-Elterngeld.
 
 
 
 
 
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Ich bin Erstunterzeichnerin dieses Appells an @franziskagiffeyberlin, Peter Altmaier, @hubertus_heil und @olafscholz. Den vollen Wortlaut könnt ihr unter coronaelterngeld.org lesen und mitzeichnen (Link in Bio). Ich bin so wütend, dass ich neben Homeoffice und Kinderbetreuung jetzt auch noch so laut werden muss, weil die Politik uns nicht sieht. Und: Mir geht es in der jetzigen Situation noch sehr gut. Vor allem Alleinerziehende, Eltern mit Behinderung oder Eltern von Kindern mit Behinderung, geflüchtete Frauen und viele andere marginalisierte Gruppen fallen bei allen Beschlüssen hinten über. Ein #coronaelterngeld und eine verantwortungsvolle Öffnung von Kitas und Schulen – in Zusammenarbeit mit Erzieher:innen und Lehrer:innen – wäre ein erster guter Schritt. — [Bildbeschreibung: Kachel mit der Aufschrift „Jetzt Appell unterzeichnen“.] . . . #coronaeltern #corona #appell

Ein Beitrag geteilt von Ninia LaGrande (@ninialagrande) am

Wie wichtig es ist, #CoronaEltern mit den Folgen der Kita- und Schulschließungen nicht sich selbst zu überlassen, macht unterdessen die Petition von Katharina Mart deutlich:

„Kinder sind keine Hobbies. Die gesamte Gesellschaft und die Politik steht in der Verantwortung und darf Eltern nicht einfach allein lassen. Deswegen fordere ich als ersten Schritt, dass Eltern mit kleinen Kindern ein zusätzliches Kindergeld von 1000€ pro Monat – ein sogenanntes Corona-Kindergeld erhalten. Alleinerziehende, Eltern von Kindern mit Behinderungen und Eltern mit mehreren Kindern sollten weitere Zuschüsse erhalten. So können die schlimmsten Verdienstausfälle ausgeglichen und eventuell professionelle Einzelbetreuung organisiert werden. Außerdem müssen die Gebühren für Kitas und Hort in allen Bundesländern pausiert werden.“

 

Und wie geht es bei alldem eigentlich den Kindern?

Kein Tag vergeht, an dem mein Kind, das noch dazu ein Einzelkind ist, nicht nach seinen Freund*innen verlangt. Das Toben mit Gleichaltrigen, seine Delphin-Gruppe und seinen Kindergarten vermisst. Danach fragt, ob es seine Erzieher*innen vor der geplanten Einschulung im Sommer jetzt nun wirklich nicht mehr wiedersehen wird. Oder frustriert vor dem Absperrband der Spielplätze steht. Nun werden selbige zwar wieder geöffnet, aber: Reicht das aus? Und wieso werden Kinder in allem Abwägen zwischen Wirtschaft und Gesundheit sooft vergessen? 

Mit diesen und anderen Fragen beschäftigt sich die Petition Kinder brauchen Kinder, die vor wenigen Tagen von einer Elterninitiative ins Leben gerufen wurde und fordert, dass die Konzepte zur Wiedereröffnung des Bildungsangebotes in enger Zusammenarbeit mit einem Expert*innenrat entwickelt werden, der die Belange von Kindern, Eltern, Wirtschaft und Gesellschaft endlich in Einklang bringen kann:

 
 
 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von KinderbrauchenKinder (@kinderbrauchenkinderpetition) am

„Für die Kinder brechen nicht nur ihre gewohnten Alltagsstrukturen weg, sondern auch Kontakte zu wichtigen Bezugspersonen wie Großeltern, Erzieher:innen und Freund:innen sowie nahezu alle Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten, z. B. Spielplätze, zoologische Gärten, Parkanlagen, Sportvereine und Schwimmbäder. Als Folge eines Mangels an äußeren Anreizen droht den Kindern soziale Deprivation, also die Gefährdung ihrer Entwicklung und ihrer seelischen Gesundheit [1]. Besonders hart treffen diese Regelungen Kinder mit Entwicklungsauffälligkeiten, Neurodiversität (z. B. ADHS, Autismus), Kinder aus belasteten Familiensystemen und solche, für die der Kindergarten ein wichtiger Ort für den Spracherwerb von Deutsch als Zweitsprache ist [2].“

Wie auch immer ein verantwortungsbewusster Umgang mit der aktuellen Situation auch aussehen mag und ganz gleich, ob wir für oder gegen die sofortige Öffnung von KiTas sind, über einen Punkt lässt sich meines Erachtens nach nicht streiten: 

Familien müssen mindestens so wichtig sein wie die Wirtschaft. Auch, weil sie Teil von ihr sind. Eltern und Kinder müssen mitgedacht werden. Und genau: Teil der Lösung sein. Statt Leidtragende einer Politik, die gigantische Malls öffnet, während im ganzen Land Kinder wie Eltern im Regen stehen.

 

 
 
 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von Mareice Kaiser (@mareicares) am

19 Kommentare

  1. Frauke

    Liebe Nike, während des Lesens kommen mir die Tränen – hier in der Peppa-Wutz-Mittagspause mit dem 3-Jährigen, der fast 1-Jährige schlafend – weil weiß und privilegiert und trotzdem ständig überfordert und ohne Pause ohne schlechtes Gewissen (s. Peppa Wutz).
    Lösungen habe ich auch keine, aber ich bin auch kein Politiker, der dafür zuständig ist. Dennoch haben meine Kinder aktuell keine Normalität und vermissen soziale Kontakte genauso wie ich.
    Viele Grüße, Frauke

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  2. Sarah

    Liebe Nike, das ist mit das beste, das Du je geschrieben hast. Und das trotz Zahnstocher in den Augen und fehlenden Tassen.
    <3

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  3. Anna Philippa

    Ich finde es schrecklich und bin so froh, dass jetzt wenigstens in den Medien darüber berichtet wird, so dass wir hoffentlich von der Politik nicht mehr übersehen werden.
    Denn es ist ja auch klar, dass weder Corona im August verschwunden sein wird noch bis dahin ein Und Mittel vorhanden sein wird. zumal im Herbst Gruppe (und wohl auch Corona) erst wieder richtig Fahrtwind bekommen werden.
    Also wieder und wieder verlängern?
    Beim besten Willen: Das geht nicht. Monatelange soziale Isolation ausgerechnet für die Kleinem, die von den digitalen Möglichkeiten am wenigsten profitieren? Ganz zu schweigen von dem Beruf und dem Nervenkostüm der Eltern (in 90% der Fälle: Mütter).

    LG Anna

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  4. Jules

    Zu“ Ich finde es schrecklich und bin so froh, dass jetzt wenigstens in den Medien darüber berichtet wird“: Ich höre zur Zeit wenig von Familien in den Medien. Dafür viel von anderen, notleidenden Gruppen. Bspw. von Zahnärzten. Oder Porsche. Und wenn ich in den Medien noch einmal von Fußball lese/sehe/höre, kotze ich echt im Strahl. Wen interessiert es, ob vor leeren Rängen oder überhaupt gespielt wird? Sind das denn so viel mehr, als Familien mit betreuungsbedürftigen Kindern?

    Antworten
  5. Ninotschka

    Als DINO-Person bin ich natürlich meilenweit vom momentanen Kinderbetreuungsnotstand entfernt und zudem so obermäßig privilegiert, dass es kracht, denn ich bekommen mein Gehalt vom Staat. Aber ich möchte (trotzdem oder auch gerade deshalb) meine Zustimmung bekunden: Momentan arbeite ich wie viele meiner kinderlosen Kolleg*innen an den Universitäten weit mehr als jemals zuvor, um das digitale Semester nicht nur zu ermöglichen, sondern für die Studierenden möglichst gut zu gestalten. Vieles ist neu und erfordert einen enormen Einsatz. Ich bin vor allem dankbar dafür, dass mir Kurzarbeit erspart bleibt und leiste meinen (natürlich im Vergleich etwa zu Pflegekräften nur minimalen) Beitrag zur Gemeinschaft sehr gerne. Solidarität mit den Eltern im Kollegium finde ich eine Selbstverständlichkeit. Aber nach vielen Wochen, in denen ich zwischen 12 und 14 Stunden pro Tag im Homeoffice gearbeitet habe, stoße auch ich langsam an meine Grenzen. Es wäre auch für uns Kinderlose eine riesige Erleichterung, wenn Kinder in Gruppen betreut werden und ihre Eltern zurück zur Arbeit kommen könnten.

    Antworten
  6. Anuschka

    Danke für diesen Artikel! Super, dass ihr das Thema „Kinder ohne Lobby“ aufgreift. Als Eltern geht uns die Luft aus – Zeit, dass sich was tut! Ich habe eine Petition für die Öffnung von Kitas und Spielplätzen gestartet: http://chng.it/jJwMD7QGL4

    Liebe Grüße!

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  7. Helen

    Liebe Nike,

    Bin selbst keine Mama kann aber jedes einzelne Wort nachvollziehen.
    Es geht ja beinahe jedem ohne Kind schon so-wie soll es nur mit sein!?
    Jedenfalls arbeite ich mit Kindern und wir versuchen wirklich relativ verzweifelt Kontakt zu Kindern aufrecht zu erhalten die Zuhause in einer schlechten Situation sind.
    Es ist super schwer und gerade in Familien wo es auch sonst schwer und spannungsvoll ist kann ich nur erahnen wie es gerade sein muss.
    Das macht mich traurig für alle Kinder für die Schule(und Kita) und auch Psych. Tagesklinik (derzeit geschlossen) ein sicherer Ort ist an dem Erzieher*Innen,Lehrer*Innen, Ärzt*Innen, Psycholog*Innen und Sozialarbeiter*Innen nach Ihnen schauen.

    Antworten
  8. Marie

    Ich danke Dir! Warum gelten Kitas eigentlich nicht als systemrelevant, frage ich mich verzweifelt? Und warum finden Kinder in der medialen Debatte so wenig statt? Spielplätze zu öffnen ist hübsch, aber keine Lösung. Ob ich mein Kind nun zum Spielplatz begleite oder was anderes mit ihm mache, ist so lange unerheblich, wie weiterhin ich non stop für die Betreuung meines Kindes sorgen muss. Dass Du aufzeigst, was sich gerade alles bewegt, ist sehr hilfreich, um sich mitzubewegen. Es muss kreativere Lösungen geben als Kitas geschlossen zu halten, bis ein Impfstoff gefunden ist. Und danach vielleicht zu merken, dass jetzt kein Geld mehr da ist, um weiterhin welche zu betreiben. Und: hoffentlich finden die Studien, die es jetzt ja zunehmend gibt, dass Kita- und Schulschließungen deutlich unerheblicher für die Eindämmung der Pandemie sind, als andere Maßnahmen, zukünftig mehr Gehör bei den Entscheidungsträgern.

    Antworten
  9. Annika

    Die aktuelle Situation zeigt doch ein ganz grundsätzliches Problem der Überforderung auf. Beruf, Kinder und Haushalt sind nach wie vor nicht vereinbar, zumal das Meiste an den Frauen hängenbleibt. Warum ist die Konsequenz die Überzeugung, dass die Kinder das „Zuviel“ sind? Warum wird mit dem Arbeitgeber nicht über bessere Arbeitsbedingungen wie reduzierte Arbeitszeit verhandelt bzw. Petitionen gegenüber der Politik in diese Richtung gestartet? Das Argument, Kita-Kinder bräuchten andere Kinder, scheint mir vorgeschoben. Jahrzehntelang wurden Kleinkinder ohne Schaden zu nehmen zu Hause betreut. Tatsächlich scheint es doch viel mehr darum zu gehen, dass die Eltern in Ruhe ihren sonstigen Verpflichtungen nachgehen können und die Wirtschaft wie gewohnt weiterlaufen kann.

    Antworten
    1. Anna Philippa

      Liebe Annika,

      Mag sein das jahrzehntelang Kleinkinder ohne Schaden zu nehmen, zu Hause betreut wurden. Aber in diesen Jahrzehnten durften Kinder sehr wohl noch andere Kinder außerhalb ihrer Familie sehen, sei es auf dem Spielplatz, beim Muter-Kind-Turnen, Schwimmkursen oder auch einfach im Nachbarsgarten. Sie wurden damals also nicht sozial isoliert wie es aktuell der Fall ist.
      Ganz abgesehen davon, dass vor Jahrzehnten viele Familien mehr Kinder hatten als es heute der Fall ist.

      Über reduzierte Arbeitszeiten lässt sich grundsätzlich natürlich Diskutieren, aber wenn das Kind zu 100% zu Hause betreut werden muss, müsste die Arbeitszeit auch entsprechend reduziert werden.

      Und ganz ehrlich: Wenn mein 5-Jähriger abends weinend im Bett liegt und auf die Frage, warum er weint, antwortet, dass er so einsam sei, weil er endlich seine Freunde wieder sehen will, geht es ihm ganz sicher nicht darum, dass wir Rabeneltern ihn endlich wieder abschieben und die Wirtschaft ankurbeln können.

      LG Anna

      Antworten
      1. Annika

        Zunächst: Ich habe niemanden als Rabeneltern bezeichnet und habe auch volles Verständnis für das Gefühl der Überforderung. Ich denke dennoch, dass sich das Kind bei ausreichend Zeit für dessen Betreuung nicht so einsam fühlen würde. Wenn unser ganzes Gesellschaftskonstrukt nur funktioniert, wenn die Kinderbetreuung ausgelagert wird, dann läuft was Grundlegendes falsch. Zu viel Arbeit, ungleiche Verteilung der Aufgaben der Eltern, zu wenig Zeit für Familie und Partnerschaft. Die jetzige Krise zeigt das nur umso deutlicher auf. Mich wundert daher nur, dass die einzige Schlussfolgerung aus diesem Gefühl der Überforderung aktuell in der Forderung nach einer Öffnung der Kitas zu bestehen scheint – was angesichts einer Pandemie einfach nicht zu rechtfertigen wäre. Mal ganz abgesehen davon, dass niemand danach fragt, wie die Betreuerinnen und Betreuer das eigentlich fänden. Meiner Meinung nach bietet die aktuelle Situation eine einzigartige Chance, diese ganzen Probleme mal zur Sprache zu bringen und über unsere Prioritäten von Familie, Partnerschaft, Arbeit, Geld, Konsum etc. nachzudenken.

        Antworten
        1. Anna Philippa

          Das stimmt, du hast nicht ausdrücklich von Rabeneltern gesprochen.
          Das habe ich für mich zwischen den Zeilen rausgelesen. Wie auch in der jetzigen Antwort „Ich denke dennoch, dass sich das Kind bei ausreichend Zeit für dessen Betreuung nicht so einsam fühlen würde.“

          Das klingt für mich nach: Hätten die Eltern ausreichend Zeit für die Betreuung ihres Kindes würden sich das Kind nicht so einsam fühlen.

          Dazu folgendes: Ich bin aktuell in Elternzeit, muss also keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und kümmere mich ausschließlich um die beiden Kinder.
          Zumal ich den Haushalt weitestgehend Haushalt sein lasse.

          Antworten
          1. Annika

            Da liest Du falsch zwischen den Zeilen. Die Kritik richtet sich gegen das System, nicht gegen die Eltern.

          2. Kitty

            Mein Sohn ist zwei und wurde auch vor Corona „noch“ von mir zu Hause betreut, ich bin in Elternzeit. Und obwohl er noch nicht zur Kita geht und diese deshalb nicht vermissen kann, geht es ihm aktuell schlecht damit, keine anderen Kinder sehen zu können. Denn die Problematik, dass Kinder gerade nicht gesehen werden, umfasst ja nicht nur die geschlossenen Kitas. Sondern die geschlossenen Spielplätze, Zoos, Spielgruppen, Schwimmbäder etc.
            Als Erwachsener finden sich – wenn man möchte – Schlupflöcher (z.B. Kaffee trinken oder Spazieren gehen „auf Abstand“) und auch die Nutzung von Skype und co hilft, Kontakt zu „Gleichaltrigen“ aufrecht zu erhalten. Diese Möglichkeiten haben vor allem kleine Kinder nicht.
            Besonders Einzelkinder sind gerade echt gelackmeiert. Mein Sohn hat seit Wochen andere Kinder nur aus der Ferne gesehen, sein bester Freund ist jetzt der Staubsauger und das, obwohl ich fast meine gesamte Zeit auf seine Betreuung verwenden kann und das auch mit mal mehr, mal weniger Motivation tue. Kinder brauchen Kinder!

  10. Lotta

    Volle Zustimmung für alle hier, aber eins muss ich doch loswerden:

    Wir leben gerade nicht in diesem Zustand, weil das der Politik gerade mal so eingefallen ist oder weil sie über Kinder nicht nachdenken. Wir leben in diesem Zustand, weil wir uns mittendrin in einer lebensbedrohlichen Pandemie befinden und die bisher – auch wenn die Sehnsucht danach übermächtig zu sein scheint – so gar nicht im Griff ist und das wird auch so bleiben, bis wir einen Impfstoff haben. Ich verstehe die Forderungen nach Lockerungen nur zu gut, ich lebe allein und würde auch wirklich gerne mal wieder meine Freunde entspannt treffen, ins Gemeinschaftsbüro arbeiten gehen, das Leben da draußen genießen, nicht in Einsamkeit versinken. Und meine berufliche Sicherheit zurückhaben, die aufgrund der Pandemie und Solo-Selbstständigkeit massiv gefährdet ist.

    Dennoch: Ich finde die Lockerungen viel zu schnell, habe wirklich Sorge über eine zweite Infektionswelle, die um einiges schlimmer und schwerer zu kontrollieren sein wird wie die erste (siehe Singapur, etc). Deswegen bei allem Verständnis: Es ist gerade nicht die Zeit für Kita. Genausowenig für überstürzte Ladenöffnungen, Maßenanstürme auf Parks wie jetzt am Wochenende zu sehen. Ja, das ist Scheiße. Aber wie gesagt: Pandemie. Menschen sterben.

    Antworten
    1. Anna Philippa

      Liebe Lotta,

      ich verstehe dich total und auch ich habe Angst vor einer zweiten Infektionswelle.

      Dennoch muss man sich fragen, was die Fortführung der aktuellen Politik bis ein Impfstoff oder zumindest ein Medikament gefunden ist bedeuten würde. Meines Wissens nach, ist es optimistisch, davon auszugehen, dass innerhalb der nächsten 1 – 1 1/2 Jahren ein Impfstoff/Medikament gefunden und zugelassen wird. Das würde bedeuten, dass wir solange alle ‚eingesperrt‘ wären, denn mit einer schnelleren Durchseuchung kann man auch nicht rechnen.

      Die wirtschaftlichen Folgen sind hier klar. Wenn wir unsere Wirtschaft vollends zum Erliegen bringen, können wir unser Gesundheitssystem aber auch nicht finanzieren.

      Die sozialen Folgen sind ebenso erheblich: Burn Out, Depressionen, Suizide, häusliche Gewalt, Verfestigung sozialer Ungleichheiten,…
      All das muss man gegen den Schutz des Lebens abwägen. Denn auch wenn wir dazu neigen, zu sagen, dass es nunmal um Leben und Tod gehe und alles andere deshalb zurückstehen muss, ist das so im Grundgesetz nicht vorgesehen. Mit Ausnahme der Menschenwürde sind sämtliche Grundrechte gleichrangig.
      Alles andere hätte einschneidende Folgen. Sonst wäre jede Maßnahme, die das Leben schützt zwingend und solche, die es gefährden verboten.
      Das hieße, dass wir höchstens in Schrittgeschwindigkeit mit dem Auto fahren dürften. Alles andere erhöht die Unfallwahrscheinlichkeit. Wir hingegen können uns nicht mal dazu durchringen ein Tempolimit auf Autobahnen zu beschließen (mobile Fortbewegungsfreiheit), was erwiesenermaßen deutlich weniger Unfalltote bedeuten würde.

      Auch ein Zwang zur Blut- und Knochenmarkspende gibt es nicht. Selbst post mortem wird niemand zum Zwangsorganspender. Lebensrettend hin oder her.

      Versteh mich bitte nicht falsch: Auch ich bin der Meinung, dass jetzt nicht die Zeit für überfüllte Innenstädte und Kindergarten- sowie Schulbetrieb „as usual“ ist. Aber bei den Entscheidungen wurden die Interessen der Kinder nicht berücksichtigt, obwohl das verfassungsrechtlich geboten ist.
      Kinder scheinen nur als gemeingefährliche Virenschleudern gesehen zu werden. Eine These, die nie belegt war und inzwischen gibt es einige Studien, die nahe legen, dass sie auch nicht stimmt.

      Der Lehrerverband hat z.B. Schichtbetrieb vorgeschlagen. Also in Woche 1 die eine Hälfte der Klasse unterrichten, in Woche 2 die andere Hälfte. In der unterrichtsfreien Zeit Hausaufgaben.

      Und auch bei Kindergarten- und Krippenkinder wäre ein (anders organisierter) Schichtbetrieb möglich. Oder Familiengemeinschaften, so dass man sich nur mit einer eingeschränkten Personenzahl treffen kann.
      Natürlich ist jeder zusätzliche Kontakt ein Infektionsrisiko. Aber in anderen Bereichen geht man dieses Risiko aufgrund der Abwägung mit den gegenstreitenden Interessen auch ein.

      Man muss sich wirklich Mal Überlegen, dass die derzeitigen Pläne so aussehen, dass kleine Kinder in Bayern für fast ein halbes Jahr keinen Kontakt mehr zu Gleichaltrigen haben soll.

      Und ob ausgerechnet im September, wenn die Grippewelle wieder los geht, wahrscheinlich auch die Coronawelle, es besser wird, bezweifle ich.

      LG Anna

      Antworten
  11. Nela

    bitte tut annikas Punkt nicht so ab. natürlich habt ihr alle recht, die schreiben, dass Kinder Kinder brauchen und wir Eltern Perspektiven. Aber eine Änderung des Systems hin zu mehr Luft für Eltern auch in normalen Zeiten wäre so wichtig und vielleicht genau jetzt umzusetzen!

    Antworten

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