Neulich, es war einer dieser Feierabende, an denen man sich mit möglichst geringer Anstrengung vom Schreibtischstuhl auf das Sofa gleiten lässt, scrollte ich durch meinen Instagram Feed, als ich, völlig unvorbereitet, nicht bloß einmal, sondern gleich dreimal auf ein und dasselbe Zitat stieß. „Which do you want — the pain of staying where you are, or the pain of growth“ stand da in leuchtend grüner Schrift, deren Lettern mich schier nicht loszulassen schienen. Versteht mich nicht falsch, es war wahrlich nicht das erste Mal, dass ich auf ein solches Zitat stieß, immerhin, das wissen wir doch alle, gehören jene inspirierenden oder motivierenden Worte in den sozialen Medien schon längst zum guten Ton. Auf Instagram, Twitter, ja gar einem stiefmütterlich behandelten Facebook, werden Sätze wie „Be yourself; everyone else is already taken“ oder „No rainbow without rain“ verbreitet, ernten viele Likes und Kommentare wie „OMG same“ und „so true“, bevor sie voller Inbrunst geteilt werden. Stoße ich auf ein solches Zitat, überfliege ich sie im Großteil der Fälle bloß, fühle mich ihnen kurz verbunden — oder eben auch nicht — und scrolle dann weiter. Im Fall der grünen Buchstaben aber war es anders. Tatsächlich nämlich kreisten die Worte noch stundenlang in meinem Kopf umher und brachten mich zum allerersten Mal in der Geschichte der inspirierenden Zitate wirklich zum Nachdenken. Vielmehr aber, als die Suche nach der Antwort (Spoiler: Ich habe bis heute keine) interessierte mich jedoch eine ganz andere Frage: Warum sind inspirierende und motivierende Zitate so beliebt, dass es mittlerweile Tausende, ja Abertausende von ihnen gibt?
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Okay, durchaus stoßen jene motivierende oder inspirierende Worte nicht überall auf Anklang: Schon längst hat sich mit Instagram Accounts wie „Unspirational“ eine Gegenbewegung gebildet, die sarkastische Sätze auf verträumte Hintergründe setzt, und immerhin weit über 600.000 Follower zählt. Als einen Grund für die Abneigung nannte Amelia Diamond in einer Kolumne für Man Repeller einst das Gefühl, andere Menschen würden durch das Teilen solcher Zitate suggerieren, sie hätten die, durchaus simple, Antwort auf schlechte Tage, Wochentiefs oder gar Sinnkrisen. Dass auch sie, trotz der anfänglichen Verurteilung, einen positiven Effekt der inspirierenden Zitate spürte, stellte sie erst in Zeiten schwerer Angststörungen fest:
„And […], much to my surprise, I found that inspirational quotes made me feel better. […] They absolutely do not “solve” any problems, nor did they “cure” my anxiety, but they can act as a salve where I ache. When in the right mindset, they offer me some or a lot of relief.“
Am Anfang war der aufstiegsorientierte Mensch
Dieses Phänomen ist weit verbreitet, denn dass Zitate durchaus helfen können, hoffnungsvoller durch das Leben zu gehen, ja gar eine schlechte Phase besser zu überstehen oder Ziele zu erreichen, erklärte auch Jonathan Fader, Psychologe, in einem Interview mit dem amerikanischen Magazin Fast Company. Dies führt er insbesondere darauf zurück, dass wir motivierter seien, an uns und unseren Zielen zu arbeiten, sobald andere Personen an uns glauben. Zudem hätten Menschen einen allgemeinen Appetit auf gut ausgedrückte Weisheiten, ganz gleich, ob sie inspirierender oder motivierender Natur seien. Wichtig sei hierbei lediglich die richtige Wortwahl. Dass wir uns besonders gerne an bekannten Personen wie etwa Gandhi, Joan Didion oder Oscar Wilde orientieren, liegt übrigens an der aufstiegsorientierten Denkweise der Menschen. Zitaten führender Personen aus Politik, Kunst und Unternehmen schreiben wir mehr Bedeutung zu, da wir glauben, jene Personen hätten ihre Positionen oder Lebensweise erst durch die Umsetzung ihrer eigenen Zitate erreicht.
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Wegweiser & Krisenhelfer
All die Phrasen können jedoch auch als Wegweiser fungieren, denn oftmals helfen sie uns, soziale, kulturelle und politische Kulturen unserer Zeit einzuordnen, schreibt Marilyn Price-Mitchell in Psychology Today. Zudem würden sie uns dabei unterstützen, unsere eigene Denkweise, unser eigenes Wesen zu verstehen, uns jedoch auch an die Menschlichkeit erinnern, die zwischen vielen negativen Nachrichten oftmals verloren zu gehen scheint. Genau an diesen Punkt knüpfen derzeit diverse Nachrichten-Plattformen und Zeitungen an: So teilte jüngst etwa CNN eine ganze Liste an Zitaten bekannter Personen, die uns hoffnungsvoller durch die Corona-Krise bringen sollen.
Zitate als Währung
Die Beliebtheit der Zitate spiegelt sich jedoch insbesondere in den Google-Suchergebnissen wider: Die ersten Seiten sind voller Listen, die so heißen wie „300 motivatonal quotes to inspire you today“ oder „50+ Best motivatonal quotes to overcome life’s challenges“. Klar, dass sich auch Unternehmen und einzelne Personen schon längst der Macht der inspirierenden Zitate angenommen haben. Im Jahr 2014 schrieb Paula Cocozza, sie seien in den sozialen Medien zu einer Art Währung geworden, die den Follow-Wert eines Accounts widerspiegelt — tatsächlich zählten laut einer Forbes-Liste im Jahr 2013 Personen, die motivierende Inhalte teilten, zu den einflussreichsten Menschen innerhalb der sozialen Medien. Hieraus entstand eine ganze Bewegung voller Mantren, die Follower um sich schart und Guru-artig geführt wird. Eine der Plattformen ist etwa der Twitter-Account Inspirational Quotes, der mittlerweile 1,6 Millionen Anhänger zählt. Der damalige Gründer, Gonzalo Arzuaga, sprach davon, Zitate auf der ganzen Welt verteilen zu wollen, bis jedes Individuum eines gefunden hat, das sie/ihn dazu inspiriert, die beste Version ihrer/seiner selbst zu sein. Viel interessanter, als seine Beweggründe sind an dieser Stelle jedoch die der Follower selbst, denn was bewegt 1,6 Millionen Menschen dazu, einem solchen Account zu folgen?
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Hilfreiche Worte oder schlechte Ratschläge?
Um dies zu ergründen, führte Arzuaga eine Umfrage unter seinen Followern durch. Als häufige Antworten nannten sie, dass sie sich mit ihren Gefühlen, Situationen oder Gedanken weniger alleine fühlten, eine positive Lebenseinstellung das Beste sei, das ein Mensch für sich tun könne, jedoch auch, dass sie in schlechten Zeiten durchaus hilfreich sein können. Wichtig sei allerdings, zwischen offensichtlichen und teils stumpfsinnigen Zitaten und jenen, die uns zum Nachdenken anreizen, zu unterscheiden, wie der Buchautor James Geary in einem Interview anmerkte. Denn während die einen lediglich ein Gefühl der Selbstzufriedenheit in uns auslösen würden, würden Letztere dazu führen, dass wir uns kritisch mit Situationen oder uns selbst auseinandersetzen, was durchaus eine Bereicherung sein kann.
Tatsächlich also, sind es unterschiedlichste Gründe, die von einem Zugehörigkeitsgefühl, nach dem wir ohnehin stets zu gieren scheinen, bis hin zu einem gut Zureden oder gar einem, metaphorisch gesprochen, Tritt in den Allerwertesten reichen. Nicht zuletzt jedoch ist da auch der Aspekt, uns zu ergründen, zu hinterfragen, auf dieser ständigen Suche nach uns selbst, um vielleicht endlich mal eine Antwort zu erhalten. Inspirierende und motivierende Zitate können also durchaus sinnvoll sein, sofern sie keinen Druck ausüben, in Toxic Positivity münden oder den Anschein erwecken wollen, simple Zitate würden Antworten auf tiefere Krisen oder psychische Erkrankungen geben, denn spätestens dann wären sie nicht mehr, als ein schlechter Ratschlag, von denen wir nun wahrlich nicht noch mehr brauchen.