Die vergangenen acht Wochen sind vielleicht die langsamsten und schnellsten unseres Lebens. Heute kann ich sie in verschiedene Phasen unterteilen und gleichzeitig kaum mehr nachvollziehen, wann die erste begann und sich nach kurz oder lang ein neues Mindset einzuschleichen versuchte. Was mit Weltschmerz und Sorge begann, schlug in Trotz und Wut über und ist heute bei Akzeptanz und Normalität, aber auch Stagnation angekommen. Ständiger Begleiter waren die Gedanken an bessere, ja sorglosere Zeiten, in denen, viel weniger als jetzt, der tatsächliche Moment und der Genuss dessen wichtig waren. Heute sind es eher die Gedankenstrudel vor- oder rückwärts, die mich abschweifen, tagträumen und traurig werden lassen. Meditativ und beängstigend zugleich.
Urplötzlich erscheint der Kern unseres Seins, der 2020 schon längst auf Flexibilität, Veränderung und Fortschritt beruht, wie erstarrt, gefangen im Status quo. Besonders die Großstadt hat es uns spüren lassen, deren Straßen leerer, Lokalitäten verweist und Kulturprogramm lahmgelegt waren. Diese Bilder von verlassenen Plätzen und zerdrückten Nasen an Fensterscheiben erscheinen wie die melancholische Essenz, die viel besprochenen Black Mirror Dystopien, in denen nur noch der Corona-Pass von Jens Spahn zu fehlen vermag, um ein leidvolles Ende zu prognostizieren.
Diese allgegenwärtige Melancholie, ein Begriff zwischen kultureller Praxis, popkulturellem Mythos und alltäglichem Weltschmerz, fühlt sich besonders im „Dazwischen“ pudelwohl. Genau dort, wo der Stillstand verordnet ist und man selbst sowohl im Versuch der Anpassung, als auch der Abgrenzung scheitert.
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Wenn im Kopf nicht richtig Ruhe einkehren mag, man es aber trotzdem nicht schafft, sich aufzuraffen. Weniger Selbstmitleid als das Schwelgen in Erinnerungen und Zukunftsvisionen, die so weit entfernt erscheinen, kreieren das Gefühl der Stunde.
In der Reihe „Essay und Diskurs“ unterscheidet Johannes Ullmeier zwischen drei Stadien der zeitlichen Melancholie und definiert neben der melancholischen Trauer (das Schwelgen im Vergänglichen) und melancholischer Sorge (Schwarzsehen für die Zukunft), auch das melancholische Mitleid, das sich in immer gleichen Bahnen um die Wehklage des individuellen Leids zu drehen vermag. Sich ersäufen, ersticken, begraben in der Schroffheit des Moments, in dem man zeitweise nur sich selbst zu vernehmen vermag, ganz alleine, traurig hoffnungslos, an Wände starrend, im Bett verharrend. Innengekehrte Stagnation.
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„Melancholie ist potenziell lustvolles Leid in Zustandsform,“, sagt Ullmeier 2018 gegenüber Deutschlandfunk, „dessen Ursache beziehungsweise Anlass den – einzeln oder kollektiv – Betroffenen beziehungsweise deren jeweiliger Umwelt währenddessen unergründlich ist,“ und schafft Zeilen davor auch die klare Abgrenzung zur „Dysfunktion Depression“, die Betroffene anders zu erdrücken versucht, als das „lustvolle Leiden“, die „triste Softness“ oder das Schwelgen in melancholischen Gedankenströmen.
Melancholie als akute Strategie der Lebensbewältigung ist ein Schema F, das ich nur all zu gerne in meiner eigenen Lebenswelt anwende. Ich neige dazu, die Schwerfälligkeit der Welt in ihrer Komplexität aufsaugen zu wollen, Zeichen zu deuten und ab und zu mit dem Glauben an Schicksal und Karma zu frohlocken. Fast als wäre es wichtig, all diese negativen Gedanken und Rückblicke zuzulassen, um Platz zu schaffen für neue Energien und Schwingungen. Sicherlich nicht für alle dieselbe Tendenz, baden die mit pessimistischen Naturell, wie ich, wahrscheinlich viel eher in Weltschmerz als ein optimistisches Gemüt. Was nur schwerfällt, ist die Akzeptanz des Stillstands, der uns anhält, diese gefühlte Tatenlosigkeit auszuhalten. Das erzwungene, weniger tatsächliche Verweilen, das uns der erholsamen Freizeit außerhalb unseres Zuhauses beraubt und uns zurücklässt mit dem in sich gekehrten Ausgleich mit sich selbst. Bei all der Fortschritts- und Zukunftsorientierung ist es schwerer denn je zu akzeptieren, dass das Verweilen auch trostlos erscheinende Gedanken mit sich bringt, die dabei helfen können, sich selbst zu heilen und all diese Schwingungen zu kompensieren, die das Leben aktuell mit sich bringt.