Liebe JW Redaktion, welche 3 Dinge vermisst ihr in der Corona-Krise eigentlich am meisten?

28.05.2020 Leben, Janes

„Sagt mal, was vermisst ihr eigentlich in dieser Corona-Krise am meisten?“, fragte Ourania so oder so ähnlich einst in einem morgendlichen Meeting. Weil wir uns wirklich zu fragen begannen, haben wir uns dazu entschlossen, unsere Antworten einfach mit euch zu teilen und die Frage gleichzeitig auch an euch weiterzugeben. 

Sarah

Seit knapp zweieinhalb Monaten bewegen wir uns in einem minikleinen Radius, mit kaum bis gar keinen physischen Kontakten und eiern wie auf einer Slackline durchs Leben. Wir versuchen, bloß nicht runterzufallen, bloß nicht das Gleichgewicht zu verlieren, bloß nicht wahnsinnig zu werden, bloß nicht zu hart mit uns ins Gericht zu gehen und finden uns in einer ganz merkwürdigen Situation der Wartehaltung wieder. Ich musste irgendwann aufhören, zu weit nach vorne zu schauen, weil sich am Ende des Tunnel ja doch kein Lichtchen entzündete und mich gerade diese Tatsache völlig fertig machte. Nach einem kurzen, aber ordentlichen Tief, fing ich also an, in meiner Situation alles ganz schön und gemütlich zu finden: Die Zeit mit den Kids, zum Beispiel. Oder die Sache mit der Entschleunigung und dem verschwundenen Sozialdruck. Dann wieder erdrückte mich alles, die Ausweglosigkeit kam näher. Und so wabble ich mich wechselnden Gemütszuständen durch den Alltag, wohlwissend, das alles, was ich vermisse, nicht mit Notwendigkeiten einhergeht und aus meinem Elfenberntürmchen heraus auch ganz schön nach „First World Problem“ riecht. Und trotzdem: Das vermisse ich gerade sehr:

1. Unbedarft sein

Unbedarft planen, unbedarft denken, unbedarft Entscheidungen treffen. Nope, nein, auf keinen Fall. Das fehlt mir sehr. Mir fehlt die Freiheit, mal wieder unbedarft zu sein, naiv und völlig sorglos Entscheidungen zu treffen. Dinge aus der Intuition, aus dem Bauchgefühl heraus zu unternehmen. Stattdessen halte ich mich natürlich an die Einschränkungen, um andere zu schützen und den Ausbruch dieser Pandemie nicht unbedarft zu befeuern. 

 

 
 
 
 
 
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2. Das Ausgehen

Ich sehe mich an einem milden Januarabend mit meinem besten Freund auf dem Balkon stehen, während ich ihm mit leuchtenden Augen davon erzähle, wie sehr ich mich mal wieder auf eine durchtanzte Nacht freue. Damals war Otto erst zweieinhalb Monate alt, ich stillte und das Bedürfnis, bald wieder für eine waschechte Party die Wohnung zu verlassen machte mich unendlich lebendig. Es ist nicht so, dass ich das Ausgehen im Januar unendlich vermisste, aber ich freute mich sehr darauf, es schon in wenigen Monaten oder vielleicht sogar Wochen wieder tun zu können. Bald, dachte ich mit einem kleinen Seufzer. Es kam bisher zu keinem Bald, was natürlich OK ist. Aber wann wird dieses Bald passieren? Vorerst wohl nicht. Schon verrückt, oder?

 
 
 
 
 
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3. Das Pläne schmieden

Für mich war es immer wichtig, Pläne zu schmieden und mir Inseln zu schaffen, um aus meinem Alltag herauszubrechen, um mich zu belohnen. Ein Urlaub, zum Beispiel, kann all das Erfüllen. Bloß bin ich nachhaltig so verwirrt von dieser Situation, dass bisher kein einziger Plan geschmiedet wurde. Am Neujahrstag war ich noch so entschlossen, mich in diesem Jahr doch endlich mal mit dem Thema Eigentumswohnung zu beschäftigen, ein Objekt war gleich ins Auge gefasst – aber jetzt? Alles scheint unplanbar, völlig in Nebel gehüllt. Ich bin, in Bezug aufs Pläne schmieden, heute also noch entscheidungsunfreudiger als sonst schon. Aber die Tatsache, dass konkretes Pläne schmieden nun auch mit faktischer Unsicherheit einhergeht, macht alles nur noch schwieriger. Vielleicht sollte ich also lernen, realistisch zu planen und meinen Urlaub auf Balkonien konkretisieren – dann werden Träume zumindest definitiv wahr.

Fabienne

1. Bedenkenlosigkeit

Ganz klar, auch in meinem Leben gibt es eine Konstante von Sorgen und Nöten, die sich je nach Umstand oder Jahreszeit verändert. Was ich aber lange nicht mehr hatte, ist ganz ohne Bedenken, ohne Abwägen und Zurückhaltung, Dinge zu entscheiden und den Alltag zu bestreiten. Das fängt beim Besuch im Biergarten an und endet bei einer Stippvisite in der Heimatstadt. Alles, was gerade Alltag bedeutet, muss gerade nicht nur mit der aktuellen Empfehlung- und Gesetzeslage, sondern auch mit dem eigenen Gewissen und Verantwortungsbewusstsein verhandelt werden. Ich fühle mich natürlich nicht mehr so eingeschränkt wie noch vor Wochen, aber erwische mich dennoch immer wieder dabei, mich gedanklich im Kreis zu drehen, wenn es nur darum geht, einen Schlüssel im „Auf Klo“ Büro abzuholen. Das ist schlichtweg Energie, die mir am Tag fehlt, und ich kann merken, wie mich diese Gedankenkreisel Stück für Stück aussaugen. Mal wieder etwas aus dem Bauch heraus entscheiden, das wäre richtig toll, weil dann meine Entscheidung endlich wieder nur mich etwas angehen darf und sich im schlimmsten Fall eben nicht negativ auf meine Umwelt auswirkt.

2. Vorfreude

Dramatisch, ich weiß, aber ich habe wirklich seit Februar kaum noch Vorfreude verspürt. Das stimmt nur so halb und natürlich haben sich die Vorfreuden verschoben – auf Kleinigkeiten, die zu Großigkeiten wurden und mich die ganze Woche auf etwas hinfiebern ließen und dennoch: Alle längerfristigen Pläne sind zu vage, um sie überhaupt auszusprechen, geschweige denn anzugehen. Ich mag einen guten Monatsplan, ach sogar Halbjahresplan, der Urlaube, Geburtstagsfeste und Familienbesuche beinhaltet, und scrolle dann durch den Kalender, genau im Blick, was für schöne Dinge noch anstehen, auf die ich mich freuen kann. 

All das ist irgendwie zu einer vagen Idee geworden, die ich erst ganz allmählich zu verwirklichen versuche, in Absprache mit drölf weiteren Instanzen versteht sich.

3. Die wilde Nacht

Wisst ihr noch, diese Nächte, in denen eins zum anderen führt, man ist hier, dann dort und stößt dann mit einem Naturwein, Prosecco, Aperol oder Limonädchen nach dem anderen auf das Leben an? Wisst ihr noch, wie es sich anfühlt, das Fahrrad immer und immer wieder anzuschließen und am Ende bei der letzten Station des Abends das Tanzbein zu schwingen um dann barfüßig und schiebend erst Stunden später den Heimweg anzutreten? Zugegeben, das klingt alles nach einer Mischung aus Call Me By Your Name und einer verblassten Teenie-Fantasie, aber so zwei, drei Nächte von der ganz besonderen Sorte gab es im vergangenen Jahr und dem davor und dem davor, sodass sie diesen Frühsommer ärgst vermisst werden. Ein Distanzradler auf dem Feld ist leider nicht das Gleiche, wie sich in den Armen liegend seiner Freundschaft und des Sommers zu erfreuen, nicht mehr jeden Abend auf der Terrasse sitzen, um gemeinsam einen Umtrunk abzuhalten.

Photo by Yuriy Ogarkov http://yuriyogarkov.com

Julia 

1. Museen

Regelmäßige Museumsbesuche zählen schon seit einigen Jahren zu meinen liebsten Freizeitbeschäftigungen. Das Schöne: In den meisten Fällen verbringe ich die Zeit nicht bloß mit mir selbst, sondern (glücklicherweise) mit wunderbaren Freundinnen oder mit meinem Freund. Bereits vor drei Jahren schenkten mir Freundinnen so eine Museumskarte für verschiedene Institutionen in Frankfurt, vergangenes Jahr kaufte ich mir dann schließlich eine für Berlin und verbrachte meine Wochenenden fortan in unterschiedlichen Museen und Galerien. Weil es über den Winter gerade erst wieder zu einem Ritual geworden war, begann ich die regelmäßigen Gänge tatsächlich bereits zu Beginn der Pandemie zu vermissen. Auch jetzt rutscht mir manchmal ein sehnsüchtiger Seufzer heraus, wenn ich an all die schönen Ausstellungen denke, die mir gerade entgehen, denn auch wenn der Gang ins Museum bereits wieder erlaubt ist, fühle ich mich bei dem Gedanken, es tatsächlich zu tun, nicht sonderlich wohl. Jedenfalls freue ich mich bereits jetzt riesig darauf, meinen Fuß irgendwann wieder in die C/O Gallery, die alte Nationalgalerie oder den Hamburger Bahnhof setzen zu können.

2. Freundinnen besuchen

Manchmal hat es ja etwas Schönes, wenn die Freundinnen überall verteilt sind, weil man so durchaus neue Orte entdecken kann. In Zeiten von Kontakt- und Reisebeschränkungen fällt all das aber natürlich flach, was mich mittlerweile durchaus ganz schön traurig macht. Zu gerne hätte meine Freundinnen, die ich während des Studiums kennenlernte, mal wieder auf einem Fleck versammelt gesehen, gemeinsam in die Arme geschlossen (obwohl ich ehrlicherweise ganz froh bin, nicht so viele Menschen umarmen zu müssen, aber bei Freundinnen ist das nun einmal etwas anderes) und Kaffee getrunken oder einen Abstecher in meine Heimat gemacht. Bis das tatsächlich passiert, müssen wohl weiterhin Videotelefonie und ellenlange Sprachnachrichten herhalten.

3. Unbekümmerte Tage

Neuerdings vermisse ich das stundenlange Herumsitzen in überfüllten Cafés und stickigen Bars, obwohl mich der Gedanke an viele Menschen oftmals eher abschreckt. Vielleicht ist es aber auch bloß dieses Gefühl, das ich damit verbinde, weil es mich ein wenig an die Menschen in den kroatischen Dörfern erinnert, die unbekümmert an einem kleinen Cappuccino nippen, in die Sonne blinzeln und die Stunden an sich vorbeiziehen lassen. Ja, ich glaube, es ist die Unbekümmertheit, von der man sich an manchen Tagen treiben lässt, die mir fehlt. Und wo ich gerade kroatische Dörfer erwähnte: Die fehlen mir auch.

Unbekümmerte Tage in Kroatien

Ourania

1. Umarmen

Ich vermisse am meisten anderen Menschen nah zu sein. Meine Freunde und Familie in den Arm zu nehmen und ganz fest zu drücken. Ich bin ein taktiler Mensch und fasse unbewusst oft Leute, die ich auch nicht so gut kenne, in Konversationen an. Da muss ich mich echt zusammenreißen und mich ermahnen daran zu denken. Gerade, wenn man jetzt zufällig jemanden auf der Straße trifft, nicht vor Freunde der Person direkt um den Hals zu fallen. Ich habe aber auch festgestellt, dass meine Gegenüber oft Berührungen hinnehmen, bis es mir selbst wieder einfällt und ich mich dafür entschuldige, so unbedacht gehandelt zu haben. Wahrscheinlich ist es ein gutes Zeichen, dass menschliche Berührung immer noch als normal gesehen wird und andere Menschen nicht gleich vor Angst erzittern.

2. Fernweh

Am Anfang der Krise war ich noch fest davon überzeugt, dass sich das alles schnell regeln wird und wir trotzdem, vielleicht mit ein paar Einschränkungen, über Ostern nach Griechenland fliegen. Ich vermisse alles dort. Den Geruch von Eiskaffee am Meer, die Jasminblüten, die durch die ersten warmen Sonnenstrahlen ihren süßen Duft verbreiten. Das unkoordinierte Treiben auf den Straßen. Zitronen vom Baum zu pflücken. Und irgendwie auch das Versprechen, dass der Sommer erst noch kommt. Es ist der Anfang meiner Lieblingszeit und ich weiß, dass ich im Sommer wieder dort sein werde. Jetzt hoffe ich, dass ich den Sommer überhaupt zu meiner Familie fliegen kann.

3 Spontanität

Das Dritte ist, glaube ich, Spontanität. Alles ist so fest eingeplant, wenn man sich mit einem/r* Freund/in* trifft, ist alles genauestens geregelt. Der Treffpunkt ist festgesetzt und dann hält man brav Abstand, trinkt draußen seinen Kaffee und geht wieder nach Hause. Kein Platz für spontane Ideen, Ausflüge oder Zusammentreffen mit anderen Freunden. Man trifft andere Freunde auf der Straße? Ja, blöd gelaufen, weil vier Haushalte zusammen geht nicht und so muss man sich schweren Herzens wieder trennen. Spontan nach der Arbeit etwas essen oder trinken gehen? Ohne Reservierung geht das nicht. Na ja, wenigstens haben die Restaurants zum größten Teil wieder offen. Das ist ja schon mal was! Und ich freue mich über jeden Schritt Richtung Normalität.

Nike

1. Panels & Stammtische

Ich vermisse den persönlichen Austausch mit klugen Köpfen, von denen ich in der Vergangenheit so viel lernen durfte. Natürlich können wir uns auch über digitale Wege miteinander vernetzen, aber ein wahrhaftiges Miteinandersein kann durch so gut wie nichts ersetzt werden, es lebt von einer offenen (Gesprächs-)Dynamik, von hitzigen Debatten, emotionalen Momenten und unvorhersehbaren Wendungen, von erlaubter Kritik, gegenseitiger Unterstützung und spontanen Geistesblitzen, vom gedanklichen Ping-Pong-Spielen. Mir fehlen feministische Stammtische, Abende mit Autor*innen, der Lesekreis. Und ein massiver Teil meiner Arbeit. Was man hier ja meist gar nicht mitbekommt, sind die vielen Panels und Podiumsdiskussionen, die mir beigebracht haben, auch unter Lampenfieberbedingungen und im Angesicht schwieriger Themen einen kühlen Kopf zu bewahren. Durch die ich in spannende Perspektiven eintauchen und

wachsen und mit Menschen in Kontakt treten durfte, die ich bisweilen nur aus der Ferne bewundert hatte. Und mir fehlt das Publikum. All die Gehirne, meine ich. Die stets kluge Einwände und Fragen hatten und jede Diskussionen erst vervollständigt haben.

2. Meine Omis

Es ist nicht so, als sei ich unter normalen Bedingungen jemand, der ständig in die rheinländische Heimat entfliehen würde – etwas anderes zu behaupten, wäre wirklich eine freche Lüge. Ich bin gern hier in Berlin und habe ständig was zu tun, aber all das ändert überhaupt nichts daran, dass ich mittlerweile schrecklich ungeduldig werde. Weil meine Familie mir gerade mehr fehlt denn je. Und meine Omis, diese beiden wilden Hühner, die mir ganz schön viel beigebracht haben. Das Plappern und „einfach mal drauf pfeifen“, die Tischmanieren, das Kunst kapieren und Käsesoße. Ich vermisse unsere Familienfeste, bei denen Kronleuchter hin und her baumeln und alle durcheinander reden, bei denen vier Generationen die hellste Freude miteinander haben, obwohl niemand so richtig dem anderen gleicht. Das Allgäu vermisse ich noch dazu, meine dritte Heimat sozusagen. So ein bisschen Bergluft und Knödel, das käme mir gerade überaus gelegen.

3. Alltag & Struktur

Hätte ich zuvor immer behauptet, dass Alltag mein absoluter Alptraum sei, hat mich das Leben inzwischen eines Besseren belehrt: Ich LIEBE Alltag. Und, wer hätte das gedacht, irgendwie sogar Struktur. Was würde ich jetzt dafür geben, aufzuwachen, unseren Sohn jeden Morgen mit dem Rad zur Kita zu bringen, dann beim Lieblingscafé vorbei zu düsen, um das beste Croissant der Welt mit ins Büro zu schleppen und dort stundenlang produktiv zu sein, tagein, tagaus. Was gäbe ich für selbstverständliche Feierabend-Schörlchen am Kanal, mit leckerer Pizza auf den Knien, die sich aneinander anlehnen. Was gäbe ich für spontane Kellerkonzerte, unsere berüchtigten Brotzeit-Abende in der Küche, mit viel Käse und noch mehr Freunden. Was gäbe ich für ein Bier im Turandot, mit den Allerbesten. Für Spieleabende am Mittwoch und Tennis am Sonntag. Alles, was mir zuvor ein bisschen anstrengend wurde, kommt mir gerade vor, wie das Schönste, was es auf Erden überhaupt gibt.

Und das hier. Das fehlt mir an beinahe jedem Mittag: Das Team (nicht im Bild: Raketen-Sissy, Orakel-Ourania und Super-JuliaK).
Achje. Bald. 

 

 
 
 
 
 
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