Ihr normales Leben steht für Olive Duran im Augenblick still – sie sagt: “Gerade geht es für mich um etwas anderes”. Mit Hella Schneider hat die Stylistin und Aktivistin ihre Gedanken zu den aktuellen, weltweit stattfindenden anti-rassistischen Protesten für die Vogue geteilt.
„Gestern im Speziellen war ein Tag, an dem ich sehr emotional war – am Tag vorher hatte ja einer unserer Proteste in Berlin stattgefunden, was generell psychisch nicht so einfach zu bewältigen ist. Und wenn man dann am nächsten Tag aufwacht und sieht, dass die Situation in den USA immer noch die gleiche oder sogar noch schlimmer geworden ist… Ich spüre einfach sehr viel Traurigkeit, anders lässt es sich nicht sagen. Ich bin deutsch und kenianisch, aber in den USA, genau genommen in Washington D.C., geboren und aufgewachsen. Was in den USA passiert, macht mich fertig – ich habe Familie und FreundInnen dort. Sie alle leben aktuell in Angst. Schon die Corona-Pandemie war und ist schwer genug für sie, und jetzt auch noch das. Meine Schwester hat zwei Söhne und ist mehr als besorgt, dass das, was wir gerade erleben, immer noch die Zukunft für ihre Familie sein wird.
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Dass die Situation durch Donald Trumps ‘Law and order’-Statement von gestern nur schlimmer zu werden scheint, ist einfach nur angsteinflößend. Meine Cousine hat mir einen Screenshot von ihrem Smartphone geschickt, auf dem sie ein Emergency Announcement bekam, auf Stufe 7. Es herrscht Ausgangssperre. Die Polizei wird immer gefährlicher – und bringt weiterhin Menschen um. Wer sicher sein will, soll das Haus nicht verlassen. Wenn ich mir vorstelle, wie es meinen FreundInnen und Angehörigen und allen, die das betrifft, geht, fühle ich mich hilflos. Dass sich all das immer und immer wieder wiederholt, ist wie ein Schlag ins Gesicht.
Wenn ich jetzt auf Instagram schaue, will ich natürlich mehr darüber wissen und sehen und lernen, aber irgendwann wird das emotional alles so schwer, dass ich nicht mehr kann. Gestern war so ein Tag, an dem ich damit nicht umgehen konnte. Ich musste sogar einen Job canceln, den ich eigentlich gehabt hätte. Es ist schwierig, das normale Leben zusammenzuhalten – es muss ja weitergehen, aber mir fällt es so schwer wie noch nie. Ich kann und will auch nichts, was nicht mit dem Thema zu tun hat, auf Social Media posten oder sehen.
Gerade geht es für mich um nichts anderes. Trotzdem sehe ich bei Bekannten und FreundInnen, wie sie mit ihrem normalen Leben weitermachen – und darüber posten – als wäre nichts. Mich verletzt es, wenn jemand die derzeitige Situation ignoriert. Nicht offen, beispielsweise auf Social Media, zu sprechen, oder an einem Protest teilzunehmen, bedeutet für mich Ignoranz. Ich verstehe natürlich, dass jede/r anders mit solchen Situationen umgeht. Aber Ignoranz kann und darf nicht die Lösung sein. Viele haben einfach Angst vor der Konfrontation mit der Realität. |
Wenn Leute sagen, dass sie eben generell nichts Politisches posten oder ohnehin nur wenig FollowerInnen hätten, ist das für mich eine lächerliche Ausrede. Jetzt ist die Zeit, in der man wirklich seine Stimme erheben kann. Wen interessiert’s, ob jemand nur 500 FollowerInnen hat? Vielleicht ist ja jemand darunter, der sich sonst nicht mit dem Thema auseinandergesetzt hätte – davon gibt es schließlich genug. Das dürfen wir in unserer eigenen Blase nie vergessen. Außerdem ist eine Haltung dazu nichts Politisches, sondern einfach etwas Humanistisches. Es geht hier nicht um das eigene Ego, sondern uns als Menschheit im Ganzen.
Wenn weiße Menschen meinen, sich unwohl fühlen zu müssen, wenn sie über Rassismus sprechen, macht mich wütend. Ich sehe einige Marken, Magazine und Persönlichkeiten, mit denen ich zusammengearbeitet habe, die in der derzeitigen Situation still bleiben – meine Arbeit wollten sie, aber meine Anliegen unterstützen sie nicht. Das sagt sehr viel über sie aus. Ich stelle mir davon ausgehend die Frage, mit wem ich in Zukunft noch zusammenarbeiten möchte. Gerade wenn wir von Marken sprechen, kann und darf es nicht nur um Statements gehen, sondern auch um finanzielle Unterstützung, beispielsweise in Form von Spenden an Organisationen.
Um noch einmal von meiner Schwester in den USA zu sprechen: Sie und ihre Familie haben einfach nur Angst, purste Angst. Sie weiß auch einfach nicht mehr, wie sie ihren Kindern die Situation und diese Welt erklären soll. Aus Rücksicht auf ihre Kinder geht sie selbst nicht auf die Straße, um zu protestieren. Aber viele meiner FreundInnen in Washington D.C. haben in den Protesten gekämpft. Ihre Videos zu sehen, ist für mich immer noch verrückt. Ich bin froh, dass gekämpft wird, aber in den USA geht das mittlerweile auch mit einem großen Risiko einher, für Schwarze Menschen natürlich noch mehr als für weiße. Und wir reden hier immer noch von den USA – wenn dort jemandem etwas passiert, gibt es so gut wie kein Sicherheitsnetz, das einen auffangen würde. Kein Arbeitslosengeld, kein gutes Gesundheitssystem und so weiter.
Das Schlimme und Traurige ist, dass auf diesem Weg noch sehr viele Menschen sterben werden. Aber ich habe sehr viel Hoffnung in die Zukunft und Glauben in die Macht der Proteste. Wir haben die Nase voll – es eskaliert ja gerade, weil alles schon viel zu weit gegangen ist. Die Schwarze Community will sich einfach nicht mehr so behandeln lassen, enough is enough. Wir wollen und werden uns nicht mehr die Frage stellen, warum wir uns an die schlechten Umständen anpassen sollen, statt sie zu ändern. Ein Problem mit weißer Fragilität ist auch, sich wegen der Auseinandersetzung über Rassismus schlecht zu fühlen – und dann in Selbstmitleid zu versinken. Das merke ich auf Social Media sehr konkret: Seitdem ich mich so aktivistisch äußere, habe ich einige hundert FollowerInnen verloren. Ich werde mich aber keinem Unbehagen mehr aussetzen, nur, damit sich eine weiße Person besser fühlen kann. Sich mit Diskriminierung abzufinden, ist in den Köpfen vieler Schwarzer Menschen viel zu sehr verankert
Ich habe in den vergangenen Tage viel darüber nachgedacht, wie ich selbst an diesen Punkt gekommen bin. Derzeit verbringe ich so viel Zeit auf Social Media, weil ich mich in der Pflicht fühle, aber gut ist das für mich nicht. Weil es frustrierend ist – ich fordere so oft andere Menschen persönlich dazu auf, sich zu engagieren, und dann entscheiden sie sich doch, schön an einem See zu sitzen, statt an einem Protest teilzunehmen. Das alles sind Entscheidungen, die jede/r für sich selbst treffen muss. Für mich war es auch nicht immer einfach, meine Stimme zu erheben. Ich habe in meinem Berufsalltag schon viele unmögliche Sätze gehört, “Wir brauchen noch ein Schwarzes Model” zum Beispiel, Tokenism eben, und der wurde nicht einmal versteckt, wenn ich dabei war.
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Meine Empörung und mich selbst habe ich dann in Frage gestellt, und erst jetzt, rückblickend, weiß ich, dass ich damit vollkommen im Recht war. Vieles, mit dem ich mich abgefunden hatte, war einfach unangebracht. Warum ich das tat? Weil ich niemanden sich unwohl fühlen lassen sollte. Stattdessen habe ich dieses Gefühl lieber ertragen. Für mich selbst einzustehen, war eine der wichtigsten Lektionen in meinem Leben. Es kann um Kleinigkeiten gehen, aber auch dann die Stimme zu erheben, ist extrem wichtig.“