Mit dem Internet und den Prominenten ist das so eine Sache: Einerseits möchte ich natürlich alles über die von mir favorisierten Autor*innen, Musiker*innen und Schauspieler*innen erfahren, möchte sehen, mit wem sie auf Instagram abhängen und was sie kochen. Andererseits bieten die sozialen Medien auch für Promis nahezu unendliche Möglichkeiten, sich von ihrer schlechtesten Seite zu zeigen. Aktuelles Beispiel: Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling, die auf Twitter mal wieder ihre Transfeindlichkeit unter Beweis gestellt hat. Am Samstag kritisierte die Schriftstellerin einen Meinungsbeitrag, der auf der Webseite Devex veröffentlicht wurde, und den Titel trug: „Die Schaffung einer gleichberechtigten Post-Covid-19-Welt für Menschen, die menstruieren“. Rowling teilte den Artikel und schrieb dazu: „Ich bin sicher, es gab mal ein Wort für diese Leute. Hilft mir jemand? Wumben? Wimpund? Woomud?“ Was sie meinte war, natürlich „Women“, also Frauen. Weil, das scheint Rowlings Meinung zu sein, nur Frauen menstruieren (und die sind, das wissen wir ja alle, höchsten halbe Menschen).
Mysteriöse Weiblichkeit
Viele Twitter-User*innen fanden diese Haltung transfeindlich. Rowling ließ zunächst durch eine Sprecherin vermelden, sie respektiere „das Recht jeder Transperson, auf eine Weise zu leben, die sich für sie authentisch und angenehm anfühlt“. Dann aber schrieb sie auf Twitter: „Mein Leben wurde davon geprägt, dass ich eine Frau bin.“ Es folgten noch eine ganze Reihe von Tweets, in denen Rowling betont, sie „kenne und liebe Transmenschen“, aber Geschlecht sei nun einmal real und wer anderes behaupte, radiere die gelebte Realität von Frauen weltweit aus. Es ist nicht das erste Mal, dass Rowling mit problematischen Äußerungen über Transmenschen auffällt. So likte sie 2018 einen Tweet, in dem Transfrauen als „Männer in Kleidern“ bezeichnet wurden. Eine Sprecherin erklärte damals, das sei ein „ungeschickter Moment“ gewesen – eine mehr als lahme Entschuldigung für eine solch eifrige und geschickte Twitter-Nutzerin wie Rowling. Letztes Jahr solidarisierte sie sich dann mit Maya Forstater, deren Arbeitsvertrag aufgrund transfeindlicher Äußerungen nicht verlängert wurde. Unter anderem hatte Forstater behauptet, niemand könne sein Geschlecht „wechseln“.
‘People who menstruate.’ I’m sure there used to be a word for those people. Someone help me out. Wumben? Wimpund? Woomud?
Opinion: Creating a more equal post-COVID-19 world for people who menstruate https://t.co/cVpZxG7gaA
— J.K. Rowling (@jk_rowling) June 6, 2020
Daniel Radcliffes Antwort in einem offiziellen Statement.
Offenbar fühlt Rowling sich auf irgendeine Art von der Tatsache bedroht, dass auch Transmänner menstruieren und sogar Kinder gebären können, wie es vor nicht allzu langer Zeit Trystan Reese getan hat. Warum sonst würde sie so auf ihrer „weiblichen Erfahrung“ beharren? Die will ihr doch niemand wegnehmen! Überhaupt, diese mysteriöse „weibliche Erfahrung“. Was genau meint Rowling damit? Offenbar, dass wer über diese Erfahrung nicht verfügt, keine Frau ist. Da kann Rowling noch so sehr auf ihre (angebliche) Bekanntschaft mit Transmenschen und ihre Liebe für diese verweisen – letztendlich spricht sie ihnen ab, „richtige“ Männer oder Frauen zu sein. Für Rowling scheint es eine weibliche Essenz zu geben, die „richtige“, also biologische Frauen haben, und Transfrauen eben nicht. Vielleicht sollte sie mal Simone de Beauvoir lesen, die hat diese Idee nämlich schon 1949 in Das andere Geschlecht (Affiliate-Link) als falsch entlarvt.
Für mich stellt sich die Frage: Von welcher weiblichen Erfahrung genau spricht Rowling? Denn letztendlich gibt es nicht die eine, universelle weibliche Erfahrung, die sämtliche Frauen teilen. Frauen sind verschieden, ihre Erfahrungen sind es ebenfalls. Stichwort Intersektionalität. Das schließt nicht aus, dass es Erfahrungen gibt, die viele Frauen machen – ich denke hier an Sexismus und sexualisierte Gewalt. Aber das quasi zur Grundvoraussetzung von Weiblichkeit zu machen, ist dann doch… abenteuerlich.
Mangelnde Vorstellungskraft
I respect every trans person’s right to live any way that feels authentic and comfortable to them. I’d march with you if you were discriminated against on the basis of being trans. At the same time, my life has been shaped by being female. I do not believe it’s hateful to say so.
— J.K. Rowling (@jk_rowling) June 6, 2020
Was mich an Rowlings Haltung letztendlich am meisten erstaunt, ist ihr Mangel an Vorstellungskraft. Immerhin sprechen wir hier von der Frau, die sich ein ganzes magisches Universum mit Quidditch-Turnieren, Drachen, sprechenden Hüten und einem Zaubereiministerium ausgedacht hat. Und die kann – oder will – sich nicht vorstellen, dass es eine Welt gibt, in der Geschlecht nicht allein auf biologischen Faktoren beruht? In der Weiblichkeit nicht automatisch bedeutet, zu menstruieren und Männlichkeit nicht automatisch bedeutet, dies nicht zu tun? Puh. Da möchte ich nur allzu gerne meinen Zauberstab auf Rowling richten, „Riddikulus“ sagen – und zusehen, wie dieser transfeindliche Irrwicht sich in etwas Lächerliches verwandelt und seine beängstigende Wirkung am Ende wie eine Seifenblase zerplatzt.
Illustration: Nike Jane