Bild: © Gucci | Vor ein paar Wochen packte ich eine Flasche Rotwein und einen warmen Pulli ein und machte mich auf den Weg zu einem Schrebergarten in Wilmersdorf. Es war das erste Mal seit langem, dass ich mich mit mehreren Leuten verabredet hatte und es fühlte sich aufregend und schön an, so, als würde ich etwas Neues ausprobieren. Der Schrebergarten gehört meiner Freundin Beate, die meinte, wir könnten uns dort doch mit Egon und Tanja treffen, denn im Garten ließe sich gut der Abstand von einmeterfünfzig halten. Und so saßen wir vier in gebührendem Abstand im Garten, ließen uns die Abendsonne auf die Nase scheinen, tranken Wein und freuten uns darüber, uns nach so langer Zeit endlich wiederzusehen.
Mit Abstand die Jüngste
Dass ich mich mit Beate, Egon und Tanja anfreunden würde, hätte ich, ehrlich gesagt, nie gedacht – sie sind nämlich alle viel älter als ich: Beate ist Ende 50, Egon und Tanja sind beide schon in Rente. Wir kennen uns aus dem Italienisch-Kurs, den wir seit Jahren gemeinsam besuchen, immer dienstagsabends, in der Volkshochschule Tempelhof-Schöneberg. Am Anfang hatte ich gehofft, in diesem Kurs Leute in meinem Alter kennenzulernen. Leute, mit denen ich auch außerhalb des Kurses etwas unternehmen könnte. Tatsächlich waren die ersten Anfänger*innen-Kurse voll mit jungen Leuten, aber je anspruchsvoller das Niveau wurde, desto weniger junge Leute kamen. So ist das halt bei VHS-Kursen, sagte ein Freund, was hattest du denn erwartet? Ich war mittlerweile mit Abstand die jüngste Person im Kurs und hatte die Hoffnung längst aufgegeben, dort potentielle neue Freund*innen kennenzulernen – es gab ja schließlich niemanden in meinem Alter. Aber dann wurde mein Kurs mit einem anderen zusammengelegt und da waren sie: Beate, Egon und Tanja.
Wann genau aus uns vier Freund*innen wurden, weiß ich nicht mehr, aber an das wie erinnere ich mich. Beate organisierte nach jedem letzten Kurstermin im Semester ein gemeinsames Essen in einem nahegelegenen italienischen (was sonst) Restaurant. Dort saßen wir mit den anderen Kursteilnehmer*innen und unserer Dozentin und merkten nach und nach, dass wir uns wirklich gut verstanden. Irgendwann fingen wir an, uns auch außerhalb dieser zweimal im Jahr stattfindenden Essen zu treffen, dann, wenn uns die Sommerpause zwischen den Kursen zu lang wurde und wir Lust hatten, uns bei einem Glas Wein wiederzusehen. Ich lernte, dass Beate geschieden ist, zwei Kinder hat und an der Uni arbeitet. Dass Egon Lehrer für evangelische Religion war und seine Tochter Medizin studiert. Dass Tanja eine rheinische Frohnatur ist und den Kölner Karneval liebt. Mit der Zeit kamen weitere Details hinzu:
„…Tanja war zweimal mit dem gleichen Mann verheiratet und lebt nun glücklich mit ihrer Partnerin zusammen.“ |
Die zurückhaltende Beate verwandelt sich nach Feierabend in eine Tango-Queen, der ach so rationale Egon investierte mehrere hundert Euro in eine Tierarztbehandlung, als die kleine Wachtel, die er und seine Frau sich als Haustier halten, sich den Flügel brach, und Tanja war zweimal mit dem gleichen Mann verheiratet und lebt nun glücklich mit ihrer Partnerin zusammen.
Eine andere Perspektive
Niemals hätte ich gedacht, dass ich mich mit diesen drei Menschen anfreunden würde, einfach und allein deshalb, weil sie einer ganz anderen Generation angehören als ich. Wie blöd ist das eigentlich? Dass als potentielle Freund*innen nur Menschen in Frage zu kommen scheinen, die ungefähr so alt sind wie ich selbst? Erst durch die Freundschaft mit Beate, Egon und Tanja ist mir aufgefallen, wir sehr mir das in Berlin immer gefehlt hat: der Austausch und das Quatschen mit Menschen aus älteren Generationen. Beides ergab sich nicht einfach so, ganz automatisch bewegte ich mich in Kreisen, in denen die Altersstruktur zwischen Anfang 20 und Mitte 30 lag. Zuhause im Ruhrgebiet gehörte und gehört dieser Austausch hingegen immer ganz selbstverständlich mit dazu: Wenn Freund*innen meiner Eltern zu Besuch kommen, freuen meine Schwester und ich uns darüber mindestens genauso wie unsere Eltern. Und wenn einige dieser Freund*innen mal in Berlin aufschlagen, lasse ich gerne alles liegen und stehen und treffe sie auf einen Kaffee.
„Sie verabreden sich bewusst mit mir – und ich bin so dankbar dafür, wie sie mein Leben bereichern.“ |
Der Unterschied ist, natürlich, dass die Freund*innen meiner Eltern immer noch, nun ja, die Freund*innen meiner Eltern sind. Für sie bin ich die Tochter von Claudia und Wolfgang und im Zweifelsfall kennen sie mich von meiner schlechtesten Seite: als heulendes Kind oder bockiger Teenager. Aber Beate, Egon und Tanja sind meine Freund*innen. Sie verabreden sich bewusst mit mir – und ich bin so dankbar dafür, wie sie mein Leben bereichern. Wie sie manchmal eine ganz andere Perspektive haben als ich, mehr Lebenserfahrung, mehr Lässigkeit. Sie haben nicht nur Kinder, sondern Enkelkinder. Und trotzdem haben wir so viel gemeinsam, vor allem, naturalmente, unsere Liebe für die italienische Sprache.
Lehren aus Covid19
Diese Freundschaft hat mir ein bisschen die Augen geöffnet. Dafür, wie ich mich oft selbst einschränke, dafür, wie festgefahren ich manchmal in meinen Denkmustern bin. Wie ich Menschen von vornherein keine Chance gebe, Teil meines Lebens zu sein, weil ich sie in eine Schublade gesteckt habe oder war sie schlicht nicht dem entsprachen, was ich erwartet hatte. Wenn das ganze Covid19-Debakel mir eine Sache gezeigt hat, dann die: wie wichtig mir vielfältige soziale Bindungen sind, und wie sehr ich sie brauche – und wie schön es sein kann, sich vom Leben überraschen zu lassen. Auch in Sachen Freundschaft.