Ich war 25 Jahre alt oder jung, je nachdem, als ich im Schneidersitz auf dem moosgrünen Sessel meiner kleinen Altbauwohnung saß, pitschnass, weil ich gerade aus der Rumpel-Dusche gestiegen war, die eine elektrische Abwasser-Pumpe besaß und gleich neben dem Herd in der Küche stand. Auf dem Kopf trug ich ein zum Turban gedrehtes Frottee-Handtuch, das ich im Abi-Urlaub aus dem Hotelzimmer gemopst hatte: Cala Ratjada stand in gelben Großbuchstaben darauf geschrieben, daneben schaukelte eine Palme im Wind.
Mit der rechten Hand hielt ich meine Brust, weil ich das immer mache, wenn ich nervös bin, aus Versehen. Und in der Linken den Schwangerschaftstest. Drei Tage drüber, wird schon nichts passiert sein. Mein Blick klebte an der goldenen Girlande, die als Relikt irgendeiner Semesterparty noch immer über der Wohnzimmertür baumelte: Forever young in Schnörkelschrift. Als ich runter sah, waren beide Streifen pink. Ich lachweinte. Vor Freude und aus Verzweiflung, beides eben. Dann besorgte ich Erdbeerkuchen. Und drei Dosen Sprühsahne.
Jedenfalls wurde ich etwas weniger als acht Monate später Mama. In der Zwischenzeit arbeitete ich gefühlt mehr denn je, ich sortierte mein Leben, aß zum Frühstück kandierten Ingwer gegen den Brechreiz und zog in eine neue Wohnung. Aber das Wichtigste: Nach vier Jahren Selbstständigkeit atmete ich zum ersten Mal richtig auf und machte mir keine Sorgen mehr um morgen. Höchstens um nächstes Jahr. Dem Fuck-Off-Konto sei dank.
Ich weiß gar nicht mehr, wo ich damals davon las, aber es ergab vollkommen Sinn: Ein Konto, das sich langsam füllte, monatlich. Mal mit fünf Euronen, mal mit 500. Wieder: Je nachdem. Edition F schrieb dazu einst:
Es ist mir seither sehr ans Herz gewachsen. Für mehr Unabhängigkeit. Für Notfälle wie kaputte Waschmaschinen, Stromnachzahlungen oder Männerverschleiß. Um dem Leben gelegentlich den Mittelfinger zeigen zu können. Oder eben: Für gelegentliche Unvernunft.
„Menschen, die keine Laster haben, haben auch nur wenige Tugenden.“ – pflegte nicht nur Lincoln zu sagen, sondern auch meine Oma, die mir zur Geburt des Kindes eine seidene Bluse vermachte. „Habe ich mir gegönnt, als Opa und ich 1976 eine richtig gute Ernte hatten. Pracht-Gurken. Wie gemalt.“
Vielleicht verstand ich da zum ersten Mal, was die Leute meinen, wenn sie von einer modischen „Investition“ sprechen. Ich meine, Wiederverkaufs-Wert hin oder her, aber wie kostbar so ein Stück Stoff doch durch ihre Geschichte werden kann. Durch ihre Besitzerin, die es hegt und pflegt und sich an ihm erfreut, im besten Fall Jahrzehnte lang.
Das Kind wurde eins und ich ganz verliebt. In alles Neue, das blonde Haar und das beim Wachsen Zusehen. 365 Tage. Geschafft. Es gab Erdbeerkuchen, wieder. Viel davon. Und für mich die erste Designerhandtasche meines Lebens. Zur Belohnung für ihr wisst schon was alles. Kackapipihunderttagewach. Wäre Personalisierung damals schon ein so mordsmäßiger Trend gewesen, ich hätte mir demnach wohl „No Shame“ in den Chanel-Verschluss gravieren lassen.
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Freiwillig würde ich sie womöglich niemals hergeben, und doch denke ich manchmal etwas erleichtert: Wenn alles schief läuft, werde ich sie eben doch los. Bis dahin tanzt sie weiterhin munter auf Hochzeiten, sitzt an Weihnukka auf dem Ohrensessel neben mir oder baumelt an den Armen meiner Freundinnen.
Das habe ich übrigens noch nie verstanden: Wenn man schon so blöd ist, so viel Geld für Kleidung oder Taschen oder wasauchimmer auszugeben, dann hat man doch viel mehr davon, wenn man teilt statt ständig in Sorge um kleine Macken und Schrammen zu sein. Zumindest mehr Freude. Weil sharing doch caring ist. Überhaupt wären unsere Kleiderschränke doch wahnsinnig schillernd und vielfältig, wenn wir doch nur ein bisschen altruistischer wären und weniger festgenagelt auf den eigenen Besitz. Es ist ja nicht so, als sei der Spaß am Teilen ein Mythos aus längst vergangenen Zeiten. Im Gegenteil. Wir sollten viel häufiger unser kostbarstes Hab und Gut in die Hände anderer, enger, verantwortungsvoller Menschen geben. Uns auf die Probe stellen: Ticken wir noch richtig?
Staud Bisset Bucket Bag, Loewe Basket Bag, Céline Trio Bag, Céline Sangle Bag,
Isabel Marant Darwen Bag
Je nachdem.
Niemand, der meint, er brauche 325 kostspielige Kinkerlitzchen tatsächlich zum Glücklichsein, hat wahrscheinlich noch alle Tassen im Schrank. Wie verwerflich es aber ist, sich selbst von Zeit zu Zeit etwas Unerhörtes zu gönnen, darüber mag ich längst nicht mehr streiten. Stattdessen gebe ich gern zu, dass auch mir ein paar Tassen fehlen.
Ich habe nämlich vor Freude mal die Sohle meiner neuen Schuhe geküsst, sie mir nahezu anmutig auf den Schoß gesetzt und die warme, weiche Oberfläche gestreichelt wie einen jungen Dackel-Welpen. A Fine Frenzy sang dazu:
Meine Trennungs-Schuhe waren das, deren Kauf ich mit Wein und Tränen begoss. Bis heute haben sie nicht nur einen Platz in meinem Schrank, sondern auch in meinem Herzen. Trage ich sie, bin ich unverwundbar. Weil sie mich daran erinnern, dass ich es bisher immer geschafft habe, mich selbst aus dem tiefstem Mist heraus zu katapultieren. Oder daran, weshalb ich ich oft lieber verzichte und stattdessen das Sparschwein füttere. Um immer bereit zu sein, für (fast) alles, was kommt. Unangenehmes, aber auch Schönes.
So wie schon ganz bald. Das Kind kommt in die Schule und ich bin deshalb fix und fertig. Fünfeinhalb Jahre wir zwei. Mein Baby ist jetzt schon richtig groß.
Das feiern wir, gebührend. Auch mit Oma.
Aber ich schwöre euch, wenn alles geschafft ist, in diesen irren Zeiten, dann belohne ich nicht nur das Kind, sondern auch mich.
Mit Erdbeerkuchen und Unvernunft, die in meinen kühnsten Träumen wohl als Fendi Handttasche
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