Kritisches Weißsein: Eine Auseinandersetzung, von der viele Menschen glauben, sie nicht nötig zu haben. Schade, denn einer antirassistischen Haltung muss genau diese Reflexion vorausgehen. Sonst ist sie nämlich vor allem eines: für die Katz.
Ich will ganz ehrlich sein: Ich bin wirklich meilenweit davon entfernt, weißen Menschen in der Verhandlung von rassismuskritischen Diskursen mein Gehör zu schenken. Dafür ist nicht nur innerhalb des Diskurses zu viel Mist passiert, daran ist vor allem die Tatsache schuld, dass immer wieder alle davon reden, so viel Angst zu haben und Sprechverbote befürchten und glauben, ohnehin schon alles zu wissen, ohne je antirassistische Lektüre in die Hand genommen zu haben. Versteht mich nicht falsch, ich begrüße jeden Schritt in die richtige Richtung, hatte mich aber schon lange davon entfernt, Menschen hierfür immer wieder die Hand zu reichen. Da ich aber gemerkt habe, dass man weißen Menschen, ob der attestierten Fähigkeit zur Objektivität in der Auseinandersetzung mit Rassismus, viel mehr zuhört, als mir, habe ich mich gefragt, wie es wäre, wenn ganz viele von ihnen solche Perspektiven konsumieren würden, die vielleicht, in naher Zukunft, auch ihre eigenen sein könnten. Ich habe unglaublich viele Texte bekommen. Über die Selbstreflexion und die Scham und die Wut auf den Rest der Welt und sie gingen mir nahe. So nahe, weil ich meine Mutter sehe, meinen Partner, meine Freund*innen, die genau diese Worte in den letzten Jahren fühlten und dachten, und habe mich fast darüber geärgert, nicht noch härter mit jederfrau ins Gericht zu gehen, die 10 Jahre zu lange gebraucht hat, um sich endlich „Deutschland Schwarz Weiss“ zu kaufen. Da das aber nichts bringt und Wut mir nur all die Energie raubt, die ich zum Überleben brauche, habe ich diese wichtigen und tollen Eindrücke hier zusammengefasst. Ich bin davon überzeugt, dass viel Ehrlichkeit für mindestens ein paar Menschen, die diese Collage konsumieren, hilfreich ist. Nehmt sie euch zu Herzen, es geht nämlich um Menschenleben.
„Der Anlass, der prägend war, war ein Mann, der in einem vollen Bus eine Schwarze Familie übel beschimpft hat und weder ich noch jemand anderes etwas gesagt hat. Ich habe mir geschworen, nie mehr nur zuzusehen. Ich glaube, ich muss noch über die größte Hürde: Mich nicht nur online für Antirassismus aussprechen und mit Freunden reden, sondern aktiv mitorganisieren und mehr Aufklärungsarbeit in weißen Räumen leisten.“
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— Jule Bönkost (@JuleBoenkost) June 29, 2020
„Ich muss aber gucken wie, um nicht Plätze, die mir nicht gehören, einzunehmen. Ich sehe mich als Teil eines hoch-problematischen Systems und hinterfrage meine Stereotypen täglich, und ändere meine Verhaltens- und Denkweise aktiv. Ich lerne immer dazu, habe noch einen weiten Weg zu gehen. Ich möchte auch vor Menschen, die rassistisch/konservativ sind, eine gute Ally sein, mich trauen Rassismus etc. anzusprechen und meine Meinung nicht „abzumildern“. Erkenntnis: Alles, aber wirklich alles, hängt zusammen. Der antirassistische Kampf lässt sich nicht vom Klimawandel trennen usw. usw. Es geht alle an, wirklich ALLE und so viele checken das nicht. Sie denken, dass ein Problem nicht existiert, wenn sie nicht betroffen sind. Fühlt euch nicht angegriffen, aber nehmt euch Kritik am Weißsein zu Herzen. Das Persönliche ist politisch, aber du kannst nichts für das System, in das du hineingeboren wurdest. Du kannst nur dafür sorgen, dass es sich ändert.“
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„Also ich habe mit 20 angefangen, mich mit meinem Weißsein auseinanderzusetzen, weil ich früher aufgrund meiner superweißen Schule, meines Freundeskreis etc. immer noch dachte, dass es so was wie White Privileg gar nicht gäbe und auch irgendwie nur Kopf für meinen Herzschmerz und toxischen Ex hatte. Durch Twitter ist der Stein für mich dann ins Rollen gekommen und ich habe gemerkt ‚Fuck, es gibt ja noch eine Welt da draußen‘. Ich hab auch in einem ähnlichen Zeitraum angefangen, mich eingehender mit Feminismus zu beschäftigen, was dann unweigerlich irgendwann zu intersektionalem Feminismus geführt hat. Am Anfang habe ich mich wegen der Privilegien, die meine weiße Haut mit sich bringt, super oft sehr schlecht gefühlt, bis ich gelernt habe, dass mein ‚Selbstmitleid‘ wirklich niemandem weiterhilft. Ich glaube, das war einer meiner größten Breakingpoints. Zu lernen, dass es nicht um meine (Schuld-)Gefühle geht, sondern darum, was ich mithilfe meiner Privilegien tun kann, um ein Ungleichgewicht zu beseitigen. Auf dem Weg zum Verständnis von Weißsein hat mir meine Schwarze Mitbewohnerin und beste Freundin, mit der ich immer viel über Politik reden kann, und die mir auch immer viel erklärt, besonders geholfen. Dafür bin ich ihr auch sehr dankbar, weil ich jeden Tag an jedem Gespräch wachse. Ich weiß nicht, was ich Leuten, die den Weg noch vor sich haben, mitgeben würde. Vielleicht so was wie „Macht es einfach, seid kein Arschloch.“ Wahrscheinlich. Mühe geben fühlt sich gut an! Probiert es alle aus.“
„Mit Anfang 20 durch Erfahrungen mit Racial Profiling beim Ausgehen. Meine BPoC Freunde wurden ganz anders behandelt. Zu der Zeit hatte ich existenzielle Sorgen, immer wieder depressive Episoden und war viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Mein Umfeld ist auch sehr ländlich und sehr einseitig. Mit Privilegien und explizit mit meinem Weißsein setze ich mich erst seit etwa fünf Jahren auseinander. Damals hat eine andere Mama in einer Facebookgruppe über Rassismus geschrieben (ihre Kinder sind Schwarz), da habe ich verstanden, was White Fragility und White Tears sind (nachdem ich erst einigen unreflektierten Mist von mir gegeben habe). Ich schäme mich immer wieder für meine Privilegien, sehe es aber inzwischen als Pflicht, meine Kinder bewusster zu erziehen und hoffe so zu Veränderungen beitragen zu können.“
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„Mein Onkel kommt aus Ghana, mein Cousin hat mir vor drei Jahren schon erzählt, dass er öfter von der Polizei angehalten wird (da war er 16/17). Ich glaube, ich hatte leider immer mit mir selbst zutun, war, seit ich klein bin, oft schwer krank. Jetzt, wo ich eine „Basis“ habe, wirkt das noch mal ganz anders und ich bin ehrlich erschrocken, weil mir das so nie bewusst war. Wir haben vor 6 Monaten ein Pflegekind aufgenommen, dessen Eltern geflüchtet sind und sich derzeit nicht um sie kümmern können. In unserem Dorf gibt es eine große AFD-Wählerschaft und ich habe vor ca. einem Jahr angefangen, mich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Bis darauf, das Neugewonnene anderen, die einem nicht glauben oder es ablehnen, zu erzählen, gibt es keine Hürden. Ich habe bisher alles aufgesaugt und als der Schlüssel zum „HappyLand“ aufging, war es einfach wie eine Offenbarung. Fasten your Seatbelt, shut up, Listen, learn and Work forever against Fascism.“
„Ich habe im Museum gearbeitet und musste das Fotoarchiv digitalisieren, da war quasi von 1890 bis heute alles dabei. Erst da hab ich realisiert, dass unsere Gesellschaft ein riesengroßes Scheißproblem hat und hatte. Ich war in der Anfangszeit wirklich sehr verzweifelt und habe dann begonnen, zu reflektieren, wo ich in dieser ganzen Sache stehe (ich bin ein weißer Mann). Mir einzugestehen, dass ich auch rassistisch bin, ohne es zu wollen oder zu wissen, tat sehr weh, aber nur so konnte ich einen guten Wachstumsprozess erst einleiten.“
„Mein Selbstverständnis als weiße Person bedeutet für mich nicht, BIPoC eine Stimme zu geben, sondern zuzuhören, zu teilen, zu unterstützen, aber eben auch aktiv Dinge zu tun, etwa wie im Umfeld aufzuklären oder zu spenden. Eine einschneidende Erkenntnis, die mich bis heute noch immer umhaut, ist, dass es weiße Menschen gibt, die nicht aus Unwissenheit, Neid, Gier etc. rassistisch sind, sondern mit voller Absicht und aus bösem Willen, weil sie ernsthaft in Rassen denken. Das macht mir extrem Sorgen um meine nicht-weißen Mitmenschen. Entschuldige dich richtig und lerne aus deinen Fehlern. Spende, demonstriere, Supporte BIPoC Unternehmen. Engagiere dich irgendwo politisch, auch im kleinen Rahmen, rede mit deiner Familie und deinen Freunden, kläre sie auf. Versuche, etwas zu erreichen, dir hören sie am ehesten zu.“ |
„Dass es so lange dauert, hat auch mit der für mich krassesten Erkenntnis zu tun. Dass Rassismus nicht einfach das Abwerten von nicht-weißen Menschen ist, sondern vor allem mit der tiefen Verwurzelung von weißer Vorherrschaft, die unsere ganze Gesellschaft und Geschichte durchzieht, zu tun hat. Die Erkenntnis, dass das bedeutet, dass auch ich rassistisch bin und von diesem System profitiere (weil ich mich in Filmen repräsentiert sehe, zu jedem Friseur gehen kann, den Job eher bekomme), war gleichzeitig erschlagend und beschämend. Und es hat mich wütend gemacht, dass Rassismus und deutscher Kolonialismus in der Schule, im Fernsehen einfach nicht behandelt wurden oder in der Uni Kant unreflektiert abgefeiert wurde. Mir haben Instagram und die vielen Menschen, die dort heftige Bildungsarbeit leisten, einen wirklich guten Zugang zu diesen Themen gegeben. Richtig wichtig war es für mich vor allem aber Bücher von BIPoC und deren Perspektiven zu lesen. Vier, die sehr augenöffnend waren: Americanah von Chimamanda Ngozi Adichie, Eure Heimat ist unser Albtraum herausgegeben von Hengameh Yaghoobifarah und Fatma Aydemir, Sprache und Sein von Kübra Gümüşay und 1000 Serpentinen Angst von Olivia Wenzel. Neben diesen Büchern möchte ich allen empfehlen, dran zu bleiben und durch diese unangenehmen Erkenntnisse zu gehen. Ich weiß noch, wie ich Deutschland Schwarz Weiß von Noah Sow als Hörbuch gehört habe und es „übertrieben“ fand, jetzt bin ich sehr froh es damals gemacht zu haben.“
„Ich bin in Chemnitz aufgewachsen. Eine Stadt, die schon immer von Rechtsextremismus geprägt ist. Durch meine damalige Schule und mein Elternhaus habe ich früh erfahren, dass es an uns liegt, diese Öffentlichkeit nicht den rechten Ideologien zu überlassen. Jedoch war das für mich immer noch ein Kampf gegen etwas, das ich nicht auf mich bezogen habe.
Erst viele Jahre später habe ich durch Literatur und Vorträge verstanden, dass ich Teil dessen bin. Egal, ob ich auf Tausende Demos gehe, in politischen Bündnissen aktiv bin etc., ich bin ein Stück des Ganzen. Die hochgelobten aktivistischen Schulen und Elternhäuser erscheinen in diesen Momenten dann weniger grandios, denn sie waren, und sind auch Teil dessen. Sie sind Teil der nicht aufgearbeiteten und gelehrten Kolonialgeschichte Deutschlands und Teil des „das sind die anderen, aber wir nicht“.“
„Ich glaube, mir wurde es zum ersten Mal mit 19 stärker bewusst, als ich Au-Pair in Oslo war. Die meisten BIPoC haben dort natürlich fließend Norwegisch gesprochen, manche zwar mit Akzent, aber sie waren trotzdem aktiv und passiv besser in der Sprache und kannten die norwegische Kultur viel besser, sind dort teilweise aufgewachsen. Ich erinnere mich nicht mehr genau daran, wie sie von ihrer weißen Umwelt wahrgenommen und vor allem angesprochen wurden, aber nicht immer als Norweg*erinnen. Ich wurde fast überall selbstverständlich als Norwegerin betrachtet, bevor ich den Mund aufmachte. Und das wohl nur wegen meiner Hautfarbe. Das fand ich schon eine seltsame Erfahrung. Für mich ist diese Privilegienerfahrung aber auch mit der Erfahrung verknüpft, wie viel Macht ein deutscher Pass hat, was ich vor allem bei den Formularen der Ausländerbehörde während des Anmeldens bemerkt habe.“
„Ich bin vor drei Jahren mit einer Schwarzen Frau zusammengekommen. Da habe ich mich für einen linken, oberschlauen Dude, der alles weiß, gehalten. Und sich natürlich mit nichts auseinandersetzen muss, weil er ja schon alles weiß. Antifa, sozialistische Jugend, linke Familie, Geschichte studiert… jadda jadda. Dabei hatte ich noch nicht mal den Begriff White Privilege gehört. EVER. Die größte Hürde war ich selbst. Und mein Selbstverständnis als Linker. Ich hatte auch noch nie wirklich etwas von strukturellem Rassismus gehört. Und als meine Ex mir dann gesagt hat, ich sei ein Rassist, bin ich eben in Fundamentalopposition gegangen. Ich habe viele Sachen gesagt, die mir heute unglaublich peinlich sind. Es tut mir unendlich leid, dass ich mich nie damit auseinandergesetzt habe und damit ganz sicher Schmerz verursacht habe. Ich frage mich, wie dieser Komplex so sehr an mir vorbeigehen konnte. Ich finde es unglaublich, dass nicht jedes weiße Kind schon in der Schule lernt, dass Rassismus nicht bedeutet, dass man Menschen, die nicht derselben Hautfarbe sind, verachten muss. Meine Ex hat mir dann Exit Racism in die Hand gedrückt. Und das hat mir geholfen, vieles zu verstehen. Und dann habe ich mich immer tiefer ins Thema hineingelesen, habe angefangen, Leuten auf Instagram zu folgen. Es hat auch sehr geholfen, dass sie bereit war, mit mir in den Austausch zu gehen. Und jede Kleinigkeit im Alltag zu challengen. Nicht nur, was mein Denken angeht, sondern auch meine Sprache. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr sich mein Blick auf alles geändert hat. Nicht nur, was Schwarze Menschen angeht, sondern generell. Die Gefühle anderer sind mir heute wichtiger als meine Meinung. Und ich finde es krass, dass es je anders war und ich das auch nie hinterfragt habe. Mein Tipp für alle, deren Reise gerade losgeht: Akzeptieren. Aushalten. Lesen. Das Maul halten und zuhören. Sich selbst zurücknehmen. Safe Spaces akzeptieren. Keinen Applaus erwarten. Den Freundeskreis diversifizieren. Nie aufhören, sich zu hinterfragen. Also niemals. Lesen. Aushalten. Akzeptieren.“ |
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