Feminist*in sein bedeutet oft, anderen Menschen – vor allem Männern – zu erklären, warum Feminismus überhaupt noch gebraucht wird. Denn, so höre ich immer wieder, es ist doch alles super! Also, zumindest viel besser als, sagen wir mal, in den 1950ern. Dabei zeigt die Coronamisere gerade ganz deutlich: Das bisher Erreichte ist noch längst nicht so gefestigt, wie man(n) zu meinen scheint. In einem Bericht der Vereinten Nationen wird davor gewarnt, die Pandemie könne „die begrenzten Fortschritte des vergangenen Jahrzehnts wieder rückgängig machen“.
Corona, heißt es momentan oft, sei eine „Krise der Frauen“. Nicht unbedingt, weil das Virus neue Probleme schafft (das auch), sondern weil es uns bereits existierende Probleme wie unter einem Brennglas zeigt. Und die Liste dieser Probleme ist lang (Nike hat sie hier ausführlich zusammengefasst). Über Frauen wird also gerade viel geredet und so mancher hat vielleicht tatsächlich eine Erleuchtung: Moment, da scheint ja etwas gründlich schief zu laufen! Stimmt. Die Frage ist, ob das langfristig zu Veränderungen führt. Das Potential ist da – aber nur, wenn wir nicht nur über Frauen sprechen, sondern auch über Männer. Denn viele Männer, ich muss es leider immer wieder feststellen, fühlen sich von feministischen Themen nur betroffen wenn, nun ja, sie sich selber davon betroffen fühlen. So ist die Geburt einer Tochter mittlerweile ein akzeptiertes feministisches Erweckungserlebnis geworden, welches Männer plötzlich erkennen lässt, dass Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft immer noch ein eher fernes Ziel ist. Sie sehen ihre Tochter und mir ihr all die Missstände, all die Gefahren, in die dieses Wesen hineingeboren wird.
Zeichen der Schwäche
Ich finde: Corona könnte genauso ein feministisches Erweckungserlebnis für Männer sein. Und das nicht, weil die Benachteiligung von Frauen gerade so unglaublich offensichtlich wird. Sondern, weil Corona einmal mehr zeigt, dass die sogenannte „toxische Männlichkeit“ nicht nur gefährlich, sondern auch tödlich ist. So erkranken Männer im Schnitt schwerer an Covid-19 als Frauen und sterben somit öfter an den Folgen des Virus. Erst vermuteten Wissenschaftler*innen, das könne an Hormonen liegen, an biologischen Faktoren also. Mittlerweile sind sie von dieser Idee abgekommen und gehen stattdessen davon aus, dass andere Faktoren eine sehr viel wichtigere Rolle spielen – zum Beispiel, dass Männer sich grundsätzlich in einem schlechteren Gesundheitszustand befinden, was wiederum mit bestimmten Verhaltensweisen zusammenhängt (unter anderem mit einem ungesunderen Lebensstil). Es sind also gesellschaftliche und demographische Faktoren, die verantwortlich sind für die höhere Sterberate von Männern im Zusammenhang mit Covid-19.
Der Begriff „toxische Männlichkeit“, man muss es immer wieder erklären, bezieht sich nicht auf einzelne Männer und will auch nicht ausdrücken, dass Männer oder Männlichkeit grundsätzlich toxisch sind. Es geht um gesellschaftliche vorherrschende, problematische Vorstellungen und Stereotype von Männlichkeit, zum Beispiel, dass Männer aggressiv sein und keine Schwäche zeigen sollen. So belegt eine amerikanisch-britische Studie, dass Männer weniger Bereitschaft zeigen als Frauen, in der Öffentlichkeit Atemschutzmasken zu tragen, weil sie solche Masken als „uncool“ und „Zeichen der Schwäche“ sehen. Man könnte auch sagen: als unmännlich. Außerdem sind Männer weniger davon überzeugt, dass Covid-19 sie maßgeblich betreffen wird. Mit dieser Haltung sowie der Weigerung, Atemschutzmasken zu tragen, gefährden sie sich selbst und andere.
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Krise der Männlichkeit
Auch auf politischer Ebene zeigen sich die Folgen toxischer Männlichkeit in Coronazeiten deutlich: Während von Frauen geführte Länder weniger Corona-Tote verzeichneten und die Krise generell gut managten, führten Männer wie Boris Johnson, Donald Trump und Jair Bolsonaro ihre Länder in die Katastrophe. Weil sie sich weigerten, die Realität anzuerkennen, auf Wissenschaftler*innen zu hören, sich Rat zu holen. Weil sie nicht zugeben wollten, dass sie mit einer Situation konfrontiert waren, die sie alleine nicht kontrollieren konnten und die sich nicht mit markigen Sprüchen oder Schuldzuweisungen wegreden ließ. Dabei ist es nicht so, dass die Politiker*innen, die die Krise am besten gemanagt haben (und es noch tun) alle Frauen sind – aber es fällt auf, dass die Politiker*innen, die völlig versagt haben (und es noch tun) alle Männer sind. Der New York Times-Kolumnist Nicholas Kristof zitiert den Wissenschaftler Dr. Ezekiel Emanuel von der University of Pennsylvania: „Wir machen oft Witze darüber, dass männliche Autofahrer nie nach dem Weg fragen (…). Ich denke tatsächlich, da ist etwas dran, auch in Bezug auf weiblichen Führungsstil, wenn es darum geht, Expertise anzuerkennen und Expert*innen um Rat zu fragen, wohingegen Männer mit Vollgas so weitermachen, als hätten sie es verstanden.“
Aber Männer haben es ganz offensichtlich nicht verstanden. Dabei wäre es an der Zeit, denn wenn Corona eines in aller Deutlichkeit zeigt, dann dass bestimmte Vorstellungen von Männlichkeit auch Männern selbst schaden. Corona ist somit nicht nur eine Krise der Frauen, sondern auch eine Krise der Männlichkeit. Und davon sollten Männer sich betroffen fühlen. Während Corona – und darüber hinaus.