Zwischen sommerlichen Mixtapes & überfluteten Raststätten-Toiletten — Eine Ode an den Roadtrip

02.07.2020 Menschen, Leben

Früher, da begannen meine Sommerferien stets mit der Suche nach einer verloren geglaubten Käsestulle, die meiner ganzen Familie kurz vor der Abfahrt nach Kroatien den letzten Nerv zu rauben schien. In alljährlicher Tradition verlegte mein Vater nämlich ausnahmslos sein morgendliches Käsebrot, was nicht nur dafür sorgte, dass meine Schwester und ich wie zwei aufgescheuchte Hühner durch das ganze Haus rannten, bis wir sie schließlich fanden und triumphierend in die Luft hielten, sondern obendrein auch noch unsere Abfahrtszeit regelmäßig hinauszögerte. Vielleicht aber war sie auch schlicht und ergreifend ein gutes Omen, diese Käsestulle meine ich, immerhin ging bei den 12- bis 14-stündigen Autofahrten nach Kroatien stets alles glatt, bis auf wenige Ausnahmen eben, doch selbst überlaufende Raststätten-Toiletten und DJ Ötzis Anton aus Tirol in Dauerschleife brachten uns nicht zur Kapitulation. Und überhaupt, ein wenig waren meine Schwester und ich ja auch selbst Schuld daran, dass der Sänger aus Tirol pausenlos aus den Lautsprechern dudelte, aber wie hätten wir beim Erstellen des Bravo Hits Mixtapes auch ahnen können, dass mein Vater ausgerechnet bei diesem Lied freudestrahlend mitsingen würde, während wir durch die österreichische Landschaft tuckerten? Und so blieb uns nichts anderes übrig, als unser Schicksal zu akzeptierten und zu hoffen, dass die Kassette durch die vielen Wiederholungen irgendwann an besagter Stelle ausleiern würde (Spoiler: Das Jahr 1999 meinte es nicht gut mit uns und sie beschallte uns auch auf dem Rückweg noch). Und auch all die überfluteten Toiletten, denen wir unterwegs begegneten, hatten ja irgendwie etwas Gutes an sich, immerhin, zumindest rede ich mir das ein, habe ich es ihnen zu verdanken, auf langen Autofahrten nicht ständig pinkeln zu müssen und das wiederum geht zuweilen ja auch als eine Art Talent durch.

Natürlich gab es auf unseren langen Fahrten auch jede Menge großartige Erlebnisse, etwa als all die LKW-Fahrer mein Winken mit einem Lächeln und einer Handbewegung erwiderten oder wir durch Bayern und Österreich fuhren und plötzlich alles um uns herum grün war und herrlich nach Kuh roch. Noch dazu gab es hier die schönsten Rasthöfe, einmal, da traf ich dort sogar rein zufällig einen ehemaligen Klassenkameraden, der gerade auf dem Rückweg seines Kroatienurlaubs war — das war völlig verrückt und löst noch heute ungläubiges Kopfschütteln in mir aus. Jedenfalls mochte ich diese Abschnitte am liebsten, vielleicht auch, weil es hier noch nie so wirklich heiß war, was durchaus seine Vorteile hat, wenn das Auto, in dem man sitzt, keine Klimaanlage besitzt. Spätestens ins Slowenien nämlich hingen meine Eltern die hinteren Fenster mit Geschirrtüchern zu und befestigten sie mit Wäscheklammern, um uns vor der Sonne zu schützen. Als Kind fand ich das ja immer wahnsinnig blöd und war ein wenig neidisch auf all jene Kinder, die mich durch ihren Sonnenschutz in Panda- oder Katzenform anglotzten − dieses sich gegenseitig ins Auto Glotzen ist bei Kindern ja sowieso ein ganz merkwürdiges Phänomen, das mir schon damals reichlich unheimlich war, weshalb ich meist ganz schnell in eine andere Richtung schaute. 

Oftmals fuhren wir am frühen Abend durch Slowenien, eine halbe Stunde dauerte die Durchfahrt etwa, und es roch auf dem Land meist so verbrannt, dass mir schlecht wurde, was eigentlich gar nicht so übel war, weil meine Mutter mir dann regelmäßig Salzstangen auf die Rückbank reichte, die ich zwischen den Zähnen zerbrechen ließ, sodass sie im ganzen Auto explodierten und sich in jeder noch so kleinen Ritze absetzten (das wiederum war nicht ganz so gut, wie mir meine Eltern mit entnervter Miene mitteilten). Die letzten fünf Stunden der Fahrt gurkten wir dann durch Kroatien, wo wir manchmal übernachteten, wenn wir noch ein Zimmer abstaubten — einmal, es war sehr spät am Abend, versicherte mir meine Schwester, der ältere Herr am Empfang des Hotels sei Graf Dracula, ich glaubte ihr und konnte die gesamte Nacht nicht schlafen (ältere Geschwister sind fiese Geschöpfe). In den meisten Fällen fuhr mein Vater jedoch einfach bis in unser Dorf durch, was zuweilen ganz schön abenteuerlich war, weil die Autobahn nur im nördlichen Teil ausgebaut war und wir uns auf schlangenförmlichen Serpentinen herumtrieben. Es folgten jede Menge schmale, stockfinstere Landstraßen und blendende Scheinwerfer großer LKWs, die um die Kurven schossen. Spätestens da war ich der festen Überzeugung, dass mein Vater irgendwelche Superkräfte hatte, die uns selbst in brenzligen Momenten vor einem Zusammenstoß bewahrten — ich war jedes Mal heilfroh, wenn wir endlich zu Hause ankamen und die Reisetaschen, die er am Morgen in gekonnter Tetris-Manier im Kofferraum angeordnet hatte, die aufgeheizten Steintreppen hochschleppten.

Über 20 Jahre lang gehörten jene Autofahrten nach Kroatien mindestens genauso zu meinem Sommer, wie der Urlaub selbst, auch, wenn in der späteren Zeit nur noch mein Vater und ich den Weg gemeinsam antraten. Da wurde DJ Ötzi schon längst von Bob Dylan und Joan Baez abgelöst und irgendwann begleitete uns schließlich unser Hund, der die Rückbank vor lauter Aufregung nicht nur mächtig vollsabberte, sondern sich auch gleich noch quer über sie übergab. Und trotz all der kleinen Unannehmlichkeiten, des Fahrstresses, der ellenlangen Staus, die an der Grenze zwischen Slowenien und Kroatien gerne auch mal vier Stunden andauerten und der überlaufenden Raststätten-Toiletten waren sie auch immer irgendwie verdammt schön, diese langen Autofahrten. Den Kopf voller Erinnerungen habe ich also bereits — ein wenig wehmütig, keine Frage — angefangen, an einem neuen Mixtape fernab früherer Bravo Hits Sünden zu basteln, denn, wer weiß das schon so genau, vielleicht kommt der nächste Roadtrip schneller als gedacht.

3 Kommentare

  1. Sandra

    Liebe Julia, was für ein wunderbarer, (für mich) leicht melancholischer Text! Ich bekomme sofort Fernweh und Erinnerungen an unsere eigenen Autofahrten nach Italien, als ich noch ein Kind war, kommen hoch … Besonders aufregend fand ich es immer, mitten in der Nacht geweckt zu werden, um vor allen anderen Urlaubenden loszufahren – das war damals ein richtiges Abenteuer! Ging es dir auch so als Kind?

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    1. Julia Carevic Artikelautorin

      Dankeschön, liebe Sandra! Vor den Fahrten war ich auch immer wahnsinnig aufgeregt, auch wenn wir nie in der Nacht, sondern immer am frühen Morgen aufgestanden sind 🙂 Schön, dass es Erinnerungen in der geweckt hat, diese Zeit war doch immer irgendwie etwas Besonderes.

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