Warum wir nicht noch mehr stereotypische Bilder von psychischen Erkrankungen brauchen & was ein Vogue-Cover damit zutun hat

10.07.2020 Leben, Gesellschaft

Triggerwarnung: Weiterführende Links sowie eingebettete Bilder beinhalten Texte über Essstörungen, bipolare Störung sowie die Darstellung psychiatrischer Krankenhausstationen und können Betroffene triggern.

Eigentlich freue ich mich immer richtig über die neuen Cover der Vogue Portugal, denn für mich zählen sie meist zu den schönsten, spannendsten oder kunstvollsten, die im Rahmen aller internationalen Vogues produziert werden. Ja, manchmal reicht meine Freude sogar so weit, dass ich richtig aufgeregt bin, sobald die Cover der neusten Ausgabe nach und nach in den sozialen Medien enthüllt werden (zugegeben, zuweilen bin ich leicht zu begeistern). In der vergangenen Woche aber, da verschluckte ich mich beim Anblick der neuen Ausgabe doch glatt an meinem Kaffee, den ich anschließend vor lauter Schreck und unangenehmer Gefühle, die über mich hineinbrachen, vergaß. 

 

 
 
 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von Vogue Portugal (@vogueportugal) am

Unter dem Titel „The Madness Issue“ präsentierte die monatlich erscheinende Publikation gleich vier unterschiedliche Titelbilder, von denen eines, um es glimpflich auszudrücken, reichlich problematisch und fragwürdig zugleich war und mal eben eine, wohlgemerkt veraltete, Szene aus einer Psychiatrie, abbildete: So befand sich das Model, das eine Patientin darstellte, nackt in einer Badewanne, während zwei Krankenschwestern links und rechts von ihr standen und sie wuschen. Na gut, möchte man nun vielleicht meinen, ist doch schön, dass so ein Modemagazin eine Konversation über psychische Gesundheit starten möchte, immerhin, so versicherte man es ja auch auf dem Instagram Account, widmet sich ein Teil des Heftes nicht nur Interviews und Berichten verschiedener Psycholog*innen und Psychiater*innen, sondern auch einer Recherche zur Geschichte von Psychiatrien. Und tatsächlich: Einem Punkt möchte ich ganz unbedingt zustimmen, nämlich dem, dass es schön und wichtig ist, wenn jene Konversationen auch in der Modebranche ankommen, denn die hat nicht zuletzt, das zeigt die Vergangenheit, ihre ganz eigene Geschichte und Problematik mit psychischen Krankheiten.

Geschieht die vermeintliche „Mental Health Awareness“ jedoch mit einer Bildsprache, die nicht nur veraltet und stigmatisiert ist, sondern obendrein eine Zeit widerspiegelt, in der psychische Krankheiten auf teils höchst fragwürdige Art behandelt wurden, ist das nun eben (leider) nicht sonderlich hilfreich, nein, im schlimmsten Fall sogar auch noch schädlich, denn: Einerseits vermittelt es psychisch gesunden Personen noch immer das Bild, Menschen mit psychischen Erkrankungen seien allesamt völlig „durchgeknallt“, vielleicht sogar „unheimlich“ (Vorurteile und Bilder, mit denen auch in Horrorfilmen noch gerne gespielt wird), andererseits kann es Betroffene gleichermaßen stark triggern und abschrecken — ich zumindest könnte mich mit dem Gedanken, je auf einer psychiatrischen Station, die nur im Entferntesten jenen stereotypischen Bildern gleicht, behandelt zu werden, schwer bis gar nicht anfreunden, selbst dann nicht, wenn es mitunter der einzig richtige Weg wäre. Noch dazu wird hier eine Person in ihrer wohl verletzlichsten Situation dargestellt, was nicht nur auf kein Cover eines Modemagazins gedruckt werden sollte, sondern zudem all die Anstrengung, Mühe und Kraft, die Menschen mit psychischen Erkrankungen täglich investieren, ignoriert, wie die Psychologin Katerina Alexandraki in einem Interview mit BBC kritisiert. Reichlich unsensibel, weil verletzend und herabsetzend, ist im Fall des Vogue Portugal Covers natürlich nicht zuletzt die Kombination aus Bild, Thematik und Titel („The Madness Issue“), doch zumindest diese Problematik dürfte an dieser Stelle selbsterklärend sein.

Schöner Mist, dachte ich also, als ich mich von meiner ersten Gedanken- und Gefühlswelle erholt hatte, hatte ich doch gerade noch geglaubt, Themen rund um Mental Health seien in den vergangenen zwei Jahren vielleicht auch in der Mode- und Lifestylewelt ein wenig realistischer und feinfühliger behandelt worden. Denn, dass es da draußen durchaus viele Positivbeispiele gibt, beweisen Magazine wie etwa Dazed, Another, Bricks oder der Online-Auftritt der deutschen Vogue allemal: Statt fragwürdiger Editorials mitsamt stereotypischer Darstellung gibt es hier eben Gespräche mit und Kolumnen von betroffenen Personen, Filmtipps sowie aufklärende Berichte und Interviews rund um das Thema psychische Gesundheit. So sprach Dazed im vergangenen Mai mit zehn jungen Menschen darüber, wie die psychische Gesundheit in Zeiten von Covid-19 beeinflusst wird oder gibt Victoria Ferguson, die über ihre Essstörung schreibt, eine Plattform, während Samantha Kreindel für Vogue Germany über ihr Leben mit bipolarer Störung schrieb.

All diese verschiedenen Blickwinkel, Erfahrungen und Denkweisen von tatsächlich betroffenen Menschen sind enorm wichtig, denn wie auch in anderen Bereichen gilt: Eine tiefere Auseinandersetzung mit einem Thema verlangt auch immer nach einer Auseinandersetzung mit Betroffenen, denn letztlich geht es vor allem um ihre Geschichte, die erzählt wird. Ihnen zuzuhören und so nicht nur einen besseren Umgang mit psychischer Gesundheit — privat und in den Medien — zu erlernen, sondern auch zu verstehen, hilft letztlich wiederum dabei, das Thema richtig aufzugreifen, zu repräsentieren und eine Konversation zu starten. Denn, so viel wissen wir doch bereits, es kommt nicht bloß auf die gute Intention, sondern eben insbesondere darauf an, was sie letztlich bei Rezipient*innen auslöst. Andernfalls schadet sie, wie so oft, nämlich wieder nur jenen, die bereits genügend Last mich sich herumtragen: den Betroffenen.

Anmerkung: Das besagte Cover wurde von Vogue Portugal zurückgezogen. Die Begründung sowie die Entschuldigung findet ihr hier.

3 Kommentare

  1. hirndiva

    …..ich hab mich gerade an meinem Tee verschluckt. Eine stationäre Behandlung in einer Klinik, deren Gebäude aus der Zeit der auf dem Cover nachgestellten Szene stammt, hat mir MEIN LEBEN GERETTET . Und zwar nachhaltig. Denn das Wissen um einen Ort, an dem profesionelle,zugewandte Menschen mich wieder aufrichten, gibt mir große Sicherheit.
    Der stationäre Aufenthalt in einer Klinik ist in meinen Augen jetzt nicht mehr die gruselige letzte Ausfahrt, sondern das wohltuende Wissen um eine gute Lösung. Das sollte pupliziert werden und keine demütigen Szenen, zwar stilvoll,aber die alten Vorurteile gegenüber Psychatrien untermauernd. Aber der Rückzug des Titelbildes hat vielleicht jetzt auch etwas angestoßen. Das hoffe ich.

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    1. Julia Carevic Artikelautorin

      Du Liebe, ein dickes Danke dafür, dass du deine Erfahrung teilst, denn sie hilft vor allem in Zeiten, in denen noch immer „Horrorbilder, zumindest aber negative, stereotypische oder veraltete Darstellungen von Psychiatrien und psychiatrischen Stationen gezeichnet werden. Mir zumindest hilft es immer sehr, die Erfahrung von anderen Menschen zu lesen und ich bin mir sicher, dass es da vielen anderen auch so geht.

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