Die Filmgeschichte kannte lange Zeit so gut wie nur ein einziges Abtreibungs-Narrativ: ein gruseliges und grausames, das eng mit Blut, Leid und Trauma verknüpft ist. Was das in den Köpfen von Menschen, die (ungewollt) schwanger werden können, anstellt, ist ein alter Hut. Dabei sieht die Realität nicht selten ganz anders und vor allem, ja wirklich, relativ unspektakulär aus. Schon seit Jahrzehnten kämpfen Feminist*innen gegen die Tabuisierung und Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen an – und für ein Recht auf (körperliche) Selbstbestimmung. Es ist zweifelsohne noch ein langer Weg, aber langsam, ganz langsam scheint sich auch in der Medienwelt etwas zu tun. Was genau, das weiß die Filmemacherin und Kulturwissenschaftlerin Franzis Kabisch.
Sie ist nicht nur Mitbegründerin von „Pro Choice Austria“ und beim „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ in Berlin aktiv, seit etwa einem Jahr forscht sie zudem zur Darstellung von Abtreibungen in Filmen und Serien. Ihr Ergebnisse teilt Franzis vor allem in der Uni, aber auch auf dem Insta-Kanal @abortion.tv.
Warum und weshalb – das hat sie mir im Gespräch verraten. Und auch, wieso Humor im Umgang mit tabuisierten Themen tatsächlich helfen kann.
Liebe Franzis, du forschst gerade zur Darstellung von Abtreibungen in Filmen und Serien. Wenn du von deiner Arbeit erzählst, schauen die Leute da manchmal blöd aus der Wäsche?
Im Gegenteil! Viele finden das Thema eigentlich sehr spannend und sagen dann, dass sie da selbst noch gar nicht so viel drüber nachgedacht haben. Oder sie öffnen sich mir gegenüber und berichten von eigenen Erfahrungen mit Abtreibungen, was ich sehr zu schätzen weiß. Viele geben mir auch Tipps, wenn sie eine Abtreibungsszene in einer Serie sehen.
Je länger ich mich damit beschäftige, desto mehr fällt mir auf, wie groß der Austauschbedarf eigentlich ist und wie sehr darüber geschwiegen wird.
Stimmt. Nachdem ich öffentlich über meine Abtreibungserfahrung gesprochen hatte, öffneten sich immer mehr Menschen in meinem eigenen Umfeld. Wir waren nicht mehr allein. Ich habe aber auch erkannt: Hier stimmt was nicht. Hätten wir uns nicht viel früher austauschen können und sollen? Woher rührt dieses Schweigen?
Wow, das ist eine komplexe Frage. Ich glaube, dass es im Interesse des Patriarchats ist, dass Frauen und Queers keine eigenen Entscheidungen treffen – weder über ihre Sexualität, noch über ihren Körper oder über die Gestaltung ihres eigenen Lebens. Die Tabuisierung von Abtreibung geht ja einher mit der Tabuisierung und Unsichtbarkeit von weiblicher Lust, Begehren, Menstruation, Körpergerüchen oder -behaarung, lesbischen und queeren Lebensentwürfen, und und und. Deswegen gibt es zu diesen Themen kaum öffentlichen Austausch, keine positiven Bilder, keine empowernde Sprache. Und wenn doch, ist es aus Widerstand entstanden und muss oft um seinen Platz kämpfen.
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„Szene aus „Scandal“ (US 2015), die der Sender ABC aus dem Drehbuch streichen wollte.
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Das Schweigen rund um Abtreibung ist ja auch gesetzlich verankert. Durch §219a dürfen Gynäkolog*innen auf ihren Webseiten keine Infos über die Methoden, die sie anbieten, teilen. Aber in der Schule oder anderen Medien wiederum gibt es auch keine adäqaute Informierung darüber. Vielmehr werden Abtreibungen immer so dargestellt, als ob sie etwas Schlimmes, Traumatisches und Schamhaftes sind. Das ist doch absurd! Wie sollen sich junge Leute denn dann informieren, ohne direkt traumatisiert zu werden? Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich selbst mit 13 zum ersten Mal in der BRAVO einen Artikel dazu gelesen habe. Abgebildet war eine Jugendliche mit verpixeltem Gesicht und gekrümmter Haltung, die durch eine graue, regnerische Straße ging. Dadurch prägte sich mir das Thema Abtreibung sofort als eines der schlimmsten Dinge, die mir je passieren können, ein. Aber als ich dann selbst eine hatte, habe ich mich sehr wohl gefühlt. Ich hatte drei Freundinnen um mich herum, die sich zuhause um mich kümmerten und mir durch den Prozess halfen. So waren dann auch die unangenehmen Aspekte, wie zum Beispiel die Schmerzen, total erträglich.
Du sprichst hier ein ziemlich einseitiges oder gar verzerrtes Narrativ an, das wir meines Erachtens nach nicht häufig genug enttarnen können. §219a wie auch §218, sämtliche Regularien und Stigmatisierungs-Techniken werden mitunter von Politikern wie Gesundheitsminister Jens Spahn konsequent unter dem Deckmantel der Fürsorge besprochen. Ganz so, als müsse man Menschen mit Uterus vor sich selbst schützen, als seien wir nicht imstande, bewusste Entscheidungen zu treffen. Ein Zitat ist mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben: „It’s not about helping women – it’s about control“. Durch Gesetze, Geschichten und Bilder, die zur Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen beitragen, erschafft eine Gesellschaft erst die sogenannte „Guilt Culture“. Mich zum Beispiel kostete es Wochen, bis ich verstehen konnte, weshalb ich mich nach meiner Abtreibung trotz Überzeugung für einen kurzen Moment schuldig fühlte: Schwangerschaftsabbrüche, die nicht in Leid oder Verurteilung von außen münden, waren in den Medien unsichtbar. Ich wusste es also nicht besser. Was hat sich diesbezüglich getan?
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„Nicht nur Otis unterstützt Maeve in „Sex Education“ (UK 2019) bei ihrer Abtreibung. In der Klinik selbst bekommt sie Support von der etwas älteren Sarah, die schon im Wartezimmer ihre Aufmerksamkeit gewinnen will. Maeve ist eher in sich gekehrt und blockt die Kommunikation ab, aber als Sarah, Maeve und eine dritte Frau später nebeneinandersitzen und Sarah mit ihren Händen eine La-Ola-Welle macht, um alle aufzuheitern – da kann auch Maeve nicht anders als zu lächeln.Nach der Abtreibung wachen beide im Aufwachraum auf und bekommen von der Krankenschwester zur Stärkung einen Pudding. Als Maeve hört, wie die emotional erschöpfte Sarah im Nebenbett über ihren Vanille-Pudding meckert („Vanille ist doch keine Geschmacksrichtung!“), schenkt sie ihr ihren Schokolade-Pudding. Eine kleine Geste, die die Verbundenheit der beiden und das Verständnis füreinander zeigt.“ – Abortion.TV |
Zum Glück hat sich in letzter Zeit viel getan! Als ich angefangen habe, zu Abtreibungen in Filmen und Serie zu forschen, dachte ich selbst, dass es da wohl nicht so viel geben wird. Oder dass ich nur schlimme Stereotype und anti-feministische Klischees finden werde. Aber in den letzten Jahren gibt es immer mehr tolle und empowernde Darstellungen in Serien, wie zum Beispiel „Sex Education“, „Shrill“, „Claws“ oder „Please Like Me“. Oder in Filmen wie „Obvious Child“, „Saint Frances“ oder „Little Woods“. Dort gibt es Szenen, in denen die schwangere Person selbst zu Wort kommt, bevor alle anderen über sie reden. Oder Szenen mit Support und Solidarität von Freund*innen. Oder Szenen, in denen klar wird, dass die Abtreibung no big deal ist. Oder auch Szenen mit Schmerz und Trauer, die ehrliche Gefühle ohne Schuldzuweisung zulassen. Zum großen Teil bin ich richtig happy mit dem, was ich finde. Aber was schade ist: Im deutschsprachigen Raum tut sich so gut wie gar nichts. Ob GZSZ, Lindenstraße oder Tatort – die ungewollt schwangere Person ist meistens Opfer oder tot. Da muss sich noch viel tun …
In einem meiner ersten Texte über Schwangerschaftsabbrüche habe ich einen massiven Fehler gemacht. Ich schrieb darin so etwas wie „Eine Abtreibung ist nie einfach, für niemanden.“ Zum Glück durfte ich dazulernen, nämlich, dass es zwar nicht für alle Menschen, aber eben für viele genau das ist: No big deal. Bloß kam mir dieses Bewusstsein aufgrund meiner Sozialisation überhaupt nicht in den Sinn. Vor ein paar Jahren wäre ein Schwangerschatfsabbruch womöglich gar kein Thema für mich gewesen, weil: „Das kommt ausschließlich für Minderjährige in ausweglosen, prekären Situationen infrage“. Mit mir selbst hatte das erstmal nichts zu tun.
Oh ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Das Thema Abtreibung interessiert meistens nur die, die selbst eine hatten oder die, die sie um jeden Preis verhindern wollen. Ich habe mich auch erst damit beschäftigt, nachdem ich selbst eine hatte. Und ich glaube, es geht den meisten so. Aber das ist doof, denn dieses Thema betrifft uns eigentlich alle – entweder weil wir selbst mal eine brauchen könnten oder weil eine uns nahestehende Person, Verwandte*r oder Freund*in in diese Situation kommt oder gekommen ist. Und again: Bei den Pro-Choice-Kämpfen geht es ja nicht nur darum, eine Schwangerschaft im Notfall abbrechen zu können oder nicht. Es geht vielmehr darum, wer über den eigenen Körper entscheiden darf, wessen Bedürfnisse ernst genommen werden und warum wir immer noch darum kämpfen müssen.
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Was schlussendlich das Kämpfen für eine neue Öffentlichkeit und Wahrnehmung beinhaltet, unter anderem durch Serien und Filme. Wie kam oder kommt es überhaupt zu all den Klischees?
Mir ist aufgefallen, dass selbst bei feministischen Serien oder Filmemacher*innen, die es eigentlich gut meinen, oft ein paar anti-feministische Klischees drinstecken. Nach dem Motto: Irgendeinen Konflikt muss es aber geben. Oder irgendwann muss die Hauptfigur es aber doch noch bereuen. Ich glaube, dass das Thema Abtreibung einfach so stark mit Drama, Problemen und Schuld verknüpft ist, dass wir es uns anders kaum vorstellen können. Und eine Abtreibung ohne große Gefühle und Leid – das ist dann wieder kein Filmstoff. Aber genau da müssen wir hin: Darstellungen von Abtreibungen, die kein übergroßes Drama, sondern Teil unserer Realitäten sind.
Ich habe damals selbst nach einer Art „Entschuldigung“ gesucht, auch um mich zu verteidigen und vor Angriffen von außen zu schützen. Habe vermeintlich triftige (gesundheitliche) Gründe angeführt. Spreche ich heute über meine Erfahrung, vermeide ich das „Warum“ meist gänzlich. Weil es nichtig ist. Weil darum. Weil ich entscheiden darf und kann. Weil das alle Menschen, die schwanger werden können, können und dürfen sollten. Wie aber festigen wir dieses Bewusstsein? Wie erschaffen wir einen vorurteilsfreien und gesünderen Umgang mit Abtreibungen?
In der Malmoe (Zeitung) hast du zum Beispiel mal geschrieben: „Humor verleiht Handlungsfähigkeit“. Und dennoch konntest du feststellen, dass dass die Kombination „Abtreibung und Humor“ auf viele erst einmal abschreckend wirkt. Warum kann es helfen, einem stigmatisierten Thema wie diesem mit Humor zu begegnen?
Das Problem mit Humor ist ja nicht Humor an sich. Sondern dass Humor so oft aus privilegierten Positionen genutzt wird, um sich über andere, benachteiligte Personen lustig zu machen. Diese Machtdynamik ist so allgegenwärtig, dass wir schon gar nicht mehr verstehen, dass Humor auch etwas Befreiendes, Empowerndes sein kann. Es kommt halt drauf an, wer den Witz macht. Und es gibt viele tolle Komiker*innen oder Drehbuchschreiber*innen, die sehr wohl verstehen, dass man das Lachen auch für sich nutzen und das ach-so-schreckliche Thema damit auflockern kann. Denn nicht das Thema Abtreibung an sich ist unlustig, sondern die Barrieren und Hindernisse, die Staat und Gesellschaft uns in den Weg stellen.
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Hinzu kommt: Diese Barrieren und Hindernisse mitsamt der dazugehörigen Stigmatisierung verkomplizieren nicht nur den gesamten Prozess und greifen in die Informationsfreiheit ein, sie können auch noch tiefere Wunden bei Menschen hinterlassen, für die eine Abtreibung, aus unterschiedlichsten Gründen, eben doch schmerzhaft und nicht „einfach“ war.
Natürlich ist nicht jede Abtreibung „einfach“. Für manche stecken ja doch auch Scham, Schmerz oder Unsicherheit mit drin. Und es ist ganz wichtig, ihnen diese Gefühle nicht abzusprechen und ins Gesicht zu sagen: „Eine Abtreibung ist no big deal, also stell dich nicht so an!“ Die Erfahrung einer Abtreibung kann aus verschiedenen Gründen scheiße sein. Aber zum einen heißt es nicht, dass wir nicht trotzdem ein Recht darauf haben. Und zum anderen sollte uns Zugang und Entscheidung doch gerade wegen dieser unangenehmen Aspekte so einfach wie möglich gemacht werden. Und dazu gehört eben auch, Abtreibungen an sich zu normalisieren und zu zeigen, dass auch negative Erfahrungen uns nicht für immer zerstören. Ja, auch ich hatte Schmerzen bei meiner Abtreibung, aber dank des Supports meiner Freundinnen war er absolut erträglich.
Durch die Stigmatisierung trauen wir uns aber leider kaum, die schwierigen Aspekte zu nennen, weil sie sofort von konservativen Regierungen und rechten Gruppen missbraucht werden, siehe Jens Spahns dumme Studie. Ich meine, steckt die 5 Millionen Euro doch lieber in Aufklärungsangebote, freie Verhütung, Empowerment-Workshops für Jugendliche und Konsens-Training. Das würde wahrscheinlich auch die Zahl von Abtreibungen verringern – wenn das unbedingt deren Ziel ist.
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Was können wir alle dafür tun, Abtreibungen zu normalisieren und ihnen den Schrecken zu nehmen – für uns selbst, unsere Freund*innen und unser gesamtes Umfeld?
Ich würde sagen: informieren, informieren, informieren und sich darüber austauschen. Leute, die selbst eine Abtreibung hatten und sich trauen, darüber zu sprechen, bekommen meine größte Bewunderung und Respekt. Aber wenn sie noch nicht bereit sind oder sich nicht safe fühlen, no pressure!
Und natürlich genau hinschauen, wo und wie Abtreibungen von wem und warum in popkulturellen Medien gezeigt werden – oder nicht gezeigt werden. Genau aus dem Grund habe ich auch mit ABORTION TV angefangen, weil ich glaube, dass das Thema mehr in unseren Alltag muss, zwischen Brunch, Demo, Netflix und Instagram.
Danke, liebe Franzis!
Franzis Kabisch ist eine queere, feministische Filmemacherin und Kulturwissenschaftlerin, based in Berlin und Wien. In ihren (oft kollektiven) Projekten beschäftigt sie sich viel mit Körper und Normen, Sexualität und Grammatik, Lust und Krise – zum Beispiel in einem Theaterstück über die „Entdeckung“ der Klitoris, Workshops zu Körperwissen mit Jugendlichen oder der YouTube-Serie „Liebe, Sex & Klartext“. Im Moment recherchiert sie zur Darstellung von Abtreibungen in Filmen und Serien.Mail: franziskabisch(at)gmail.com
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