Die Forderung nach neuen, kreativen sowie nachhaltigeren und weniger exklusiven Modewochen ist nicht neu, bereits Ende des vergangenen Jahres wurde die Frage, ob es Fashion Weeks in ihrer damaligen Form überhaupt noch geben müsse, vielerorts diskutiert. Letztlich jedoch war es eine Pandemie, die selbst etablierte Modehäuser zu neuer Kreativität, neuen Ideen und Umsetzungen zwang: Während die erste digitale Fashion Week im vergangenen Juni zaghaft in London startete und primär Kurzfilme sowie Panel Talks präsentierte, begannen Designer*innen innerhalb der Pariser Modewoche vom 09. bis zum 13. Juli bereits wieder, Menswear, sowie in Teilen auch Womenswear-Kollektionen zu zeigen. Auch hier fanden sie — bis auf wenige Ausnahmen — primär digital statt, äußerten sich in Form von Modefilmen (etwa bei Palomo Spain oder Hermès) und Runway-Schauen ohne Publikum (Lemaire) oder Videos, die Behind the Scenes Einblicke eines Foto-Shootings gewährten und den Charakter eines Dokumentarfilms widerspiegelten (Rick Owens). Auch während der viertägigen, digitalen Mailänder Modewoche, die einige Tage später stattfand, lieferten Labels neue Ansätze, zeigten ihre Kollektionen an virtuellen Mannequins (Sunnei) oder setzten auf eine Erweiterung klassischer Runway-Schauen, die sich nicht nur über diverse Orte erstreckte, sondern auch aus unterschiedlichen Winkeln eingefangen wurde (Ermenegildo Zegna XXX).
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Neue Möglichkeiten
Allen voran galten die Blicke jedoch insbesondere den Modehäusern Prada, Gucci und Maison Margiela, die ihre Visionen in drei unterschiedlichen Konzepten präsentierten, und es vielleicht schafften, die größte, digitale Aufmerksamkeit zu generieren: Während Maison Margiela den 50-minütigen Dokumentarfilm S.W.A.L.K., der neben der eigentlichen „Artisanal Co-Ed“ Kollektion auch Teile des vorherigen Prozesses mitsamt Zoom-Calls zwischen John Galliano, dessen Team sowie dem Filmemacher Nick Knight beinhaltet, launchte, überließ Prada gleich fünf Kreativen die Bühne. So wurde die letzte Kollektion, die Miuccia Prada vor der Zusammenarbeit mit Raf Simons in alleiniger Leitung kreierte, im Rahmen von „Prada Multiple Views SS21 — The Show that never happened“ von Terence Nance, Joanna Piotrowska, Martine Syms, Juergen Teller und Willy Vanderperre in Szene gesetzt und in Form von fünf unterschiedlichen Kapiteln in den sozialen Medien lanciert.
Guccis Alessandro Michele hingegen vereinte am vergangenen Freitag die unterschiedlichen Formate Video, Livestream und Lookbook miteinander, streamte insgesamt zwölf Stunden eines Foto-Shootings über YouTube sowieso Instagram und präsentierte mit Gucci Epilogue nun den finalen Akt einer Serie, die einst mit der Präsentation seiner FW 2020 Kollektion begann. Die große Besonderheit: Statt seine Kleidung wie sonst an Models zu zeigen, kleidete er dieses Mal Mitarbeiter*innen seines Designteams ein und rückte sie, mitsamt ihren Gesichtern und Namen, in den Fokus der Darstellung, um so nicht zuletzt festgefahrene Regelungen der Modewochen zu hinterfragen.
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Inklusivität statt Exklusivität
Zugegeben, die große Überraschung, das große Aha-Erlebnis, das sich viele erhofft haben könnten, gab es nicht und vielleicht verliefen sie auch noch etwas holprig, die ersten Umsetzungen der digitalen Fashion Weeks, wohl, weil der weite Blick noch immer auf den großen Modemonat September gerichtet ist (ob physische Modenschauen dann tatsächlich stattfinden, ist trotz der Zusage der Pariser Fashion Week noch unklar). Und doch brachten sie erste Veränderungen, die es in dieser Branche doch eigentlich schon so lange brauchte: Immerhin geht es hier nicht bloß um das Verlangen nach neuer Kreativität, nach Entschleunigung, die letztlich doch allen zugutekommen würde, sondern eben auch um Inklusivität, denn Mode ist längst nicht nur ein Konsumgut, sondern schließlich auch ein Kulturgut, das allen zugänglich gemacht werden sollte. Doch insbesondere während der Modewochen herrschte Exklusivität vor, zu viele Menschen wurden von einer Branche, die doch eigentlich von anderen Menschen lebt, sie also braucht, ausgeschlossen, zu viele Regeln machten aus ihr einen exklusiven Verein, der zwar faszinierende Schauen und Veranstaltungen präsentiere, letztlich jedoch für nur für einen kleinen Kreis erreichbar war. Die Ansätze der vergangenen digitalen Modewochen von Gucci, Maison Margiela, Prada und Co lassen also auf einen neuen Abschnitt, der einlädt, statt auszuschließen, kreative Formate und Personen fördert sowie Mode neu erleben lässt, hoffen. Ob es tatsächlich längerfristige Veränderungen, die auch nach der Pandemie noch anhalten, geben wird, bleibt abzuwarten — spätestens im September, dem Monat, der im Modekosmos als besonders wichtig gilt, werden wir aber wohl etwas mehr wissen.