Sie dachte, sie schafft es noch trocken zum Interview – doch als Anuschka Rees ihr Fahrrad vor dem Café parkt, ist sie klatschnass. Wolkenbruch, irgendwo zwischen Charlottenburg und Schöneberg. Ihrer guten Laune tut das keinen Abbruch, im Gegenteil: Anuschka ringt nur kurz ihre Haare aus, lacht, bestellt ein Wasser und ist bereit für das Gespräch über ihr neues Buch Beyond Beautiful. Der Untertitel lautet Wie wir trotz Schönheitswahn zufrieden und selbstbewusst leben können und genau darum geht es Anuschka: Was können Frauen konkret tun, um sich wohler in ihrer Haut zu fühlen? Wie geht man mit den so allgegenwärtigen Schönheitsidealen und -normen um? Im liebevoll gestalteten Buch finden sich konkrete Tipps und Handlungsanleitungen sowie Zitate aus Interviews mit ganz unterschiedlichen Frauen über Schönheit und Körperbild. Anuschka hat Sozialpsychologie an der London School of Economics studiert, heute lebt und schreibt sie in Berlin. Wie schon ihr Bestseller Das Kleiderschrank-Projekt erschien Beyond Beautiful zunächst auf Englisch – was der Tatsache geschuldet ist, dass Anuschka – die als Teenager mit ihren Eltern für ein paar Jahre nach England zog – das Schreiben auf Englisch vertrauter ist. Genauso vertraut, das zeigt sich im Interview, wie das Thema Schönheitswahn.
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In deinem Buch Das Kleiderschrank-Projekt geht es darum, den eigenen persönlichen Stil zu finden. Beyond Beautiful will dabei helfen, sich von Schönheitsidealen frei zu machen. Wie bist du vom Thema Kleidung zum Thema Schönheit gekommen?
In unserer Gesellschaft wird Mode ähnlich verhandelt wie Frauenkörper. Es gibt in beiden Fällen harte Regeln, die besagen: Das ist gut und das ist schlecht. Nachdem Das Kleiderschrank-Projekt erschienen war, habe ich viele Nachrichten bekommen, in denen es um Mode ging – und ganz viel auch um den eigenen Körper. Letztendlich kann man das ja nicht voneinander trennen, wenn man sich im Spiegel anguckt. Ich wollte den Menschen gerne antworten und sie in die richtige Richtung stubsen, habe aber schnell gemerkt, dass es wenig praktische Tipps zum Umgang mit Körperidealen gibt. Es wird zwar viel über das generelle Problem geredet, aber nur auf dem Systemlevel. Da geht es um die Rolle der Medien, um zu dünne Models…
Foto: Julien Cott
Das Problem ist uns also theoretisch bewusst und wird auch so diskutiert, aber praktisch herrscht oft Hilflosigkeit?
Genau. Mir ist bewusst geworden, dass unser gesellschaftlicher Zugang zu diesem Thema ein ganz anderer ist, als beispielsweise ein psychotherapeutischer. Wenn du zu einer Psychotherapeutin gehst und sagst, ich fühle mich schlecht in meinem Körper, dann wird diese nicht antworten:
Guck dich an, du bist doch total schön. Stattdessen wird sie versuchen, zu vermitteln, dass dein Aussehen eben nicht ausschlaggebend ist für deinen Wert als Mensch. Dass Schönsein kein Muss ist, um glücklich zu sein. Das ist ein ganz anderer Ansatz und den fand ich interessant. |
Im Buch verwendest du den Begriff Body Image, um über das Verhältnis zum eigenen Körper zu sprechen. Was genau ist das?
Das Body Image ist einerseits die Wahrnehmung davon, wie dein Körper im Spiegel aussieht. Es ist etwas sehr Subjektives und Wertendes, denn es umfasst auch all deine Emotionen und Gedanken, die du über dieses Bild hast. Body Image umfasst aber auch all deine Handlungen und Entscheidungen in Bezug auf das, was du im Spiegel siehst und wie du dieses bewertest – zum Beispiel, dass du penibel auf deine Ernährung achtest, ohne Make-up nicht aus dem Haus gehst, dich auf Fotos immer nach hinten schiebst… Es geht also einerseits um das, was du im Spiegel siehst, und andererseits darum, wie sich das auf dein Leben auswirkt.
Wie ist dein eigenes Verhältnis zu deinem Körper? Oder, anders gefragt: Gab es eine persönliche Motivation, ein Buch über Schönheitsideale zu schreiben?
Es gab absolut eine persönliche Motivation! Mit 12 Jahren oder so habe ich meine erste richtige Diät gemacht, also bewusst beschlossen: Ich bin jetzt auf Diät. Und bis vor ein, zwei Jahren habe ich meinen Körper immer als Projekt gesehen, hatte immer irgendein „Ziel“, das mit meinem Aussehen zu tun hat. Nach den vielen Gesprächen, die ich für Beyond Beautiful geführt habe ist mir auch erst richtig bewusst geworden, dass ich wie viele Frauen auch immer davon ausging, dass mein Aussehen über sehr vieles in meinem Leben bestimmt:
Der Junge in der Schule mag mich nicht, weil ich nicht hübsch genug bin. Ich bin nicht Teil der coolen In-Clique, weil ich nicht hübsch genug bin. Ich habe auch ziemlich früh damit angefangen, Magazine wie Bravo Girl zu lesen, in denen einem ja auch die ganze Zeit beigebracht wird, dass dein Aussehen dein Leben beeinflusst. Dir wird vermittelt: Wenn du besser aussiehst, hast du ein besseres Leben. |
Hat der Schreibprozess dir dabei geholfen, besser mit deinem Körper und deinem Aussehen klarzukommen?
(überlegt) Seitdem ich das Buch geschrieben habe, bin ich sehr viel freier. Denn in diesem Strudel von Schönheits- und Körperidealen gefangen zu sein, sich ständig mit dem eigenen Aussehen zu beschäftigen, nimmt dir Freiheit. Es hält dich vielleicht davon ab, dich im Bikini zu zeigen oder ausgelassen zu tanzen oder anzuziehen, was du willst oder spontan schwimmen zu gehen oder Sex haben, egal ob du grade frisch rasiert bist oder nicht.
Im Buch schreibst du: „Studien haben gezeigt, dass Sorgen um ihr Aussehen Mädchen davon abhalten, sich im Unterricht zu melden, und Frauen davon, sich auf Führungspositionen zu bewerben. Negative Gedanken über den eigenen Körper fressen Zeit und Energie und blockieren uns mental.“ Was hilft dagegen?
Zum Beispiel der Vergleich: Würde das auch ein Mann machen? Das hilft dabei zu erkennen, wie künstlich diese ganzen Erwartungen an Frauen in Bezug auf ihr Aussehen sind. Bei einem Mann mittleren Alters würden wir nie denken, dass er sich vielleicht am Strand unwohl fühlen könnte, nur weil er keine Idealfigur hat. Wir machen ihm auch nicht sofort Komplimente, dass er toll aussieht. Bei Frauen hingegen machen wir das und bringen ihnen so bei, dass ihr Aussehen ganz entscheidend ist. Ich mag es überhaupt nicht, wenn es heißt, bestimmte Frauen, auf Social Media zum Beispiel, seien so eitel und fixiert auf ihr Aussehen. In unserer Gesellschaft wird Frauen ja genau das ganz systematisch beigebracht. Dass unser Aussehen enorm zählt und es ganz selbstverständlich ist, eine Menge Energie, Zeit und Geld darauf zu verwenden. Und wenn Frauen dann genau das tun, werfen wir es ihnen vor.
Gesellschaftliche und mediale Körper- und Schönheitsideale sind das eine, das persönliche Umfeld das andere. Du sprichst in diesem Kontext von „Prägung“. Inwiefern prägen Familie und Freund*innen uns, inwiefern beeinflussen sie unser Körperbild?
Interessant fand ich, dass viele Menschen zum ersten Mal bewusst darüber nachgedacht haben, dass sie etwas an sich nicht schön finden, weil jemand sie in ihrer Kindheit darauf hingewiesen hat – zum Beispiel durch einen blöden, verletzenden Spitznamen. Viele Frauen haben mir berichtet, dass der Umgang der eigenen Mutter mit Schönheit sie sehr geprägt hat. Oder sie haben mitbekommen, wie der Vater über das Aussehen von anderen Menschen spricht. Die Mutter stresst sich wegen ihres Aussehens, der Vater zeigt, welche Konsequenzen es hat, wenn Frauen nicht perfekt aussehen. Meine Mutter hat mir gegenüber nie etwas Negatives über mein Aussehen gesagt, aber ich habe gemerkt, dass sie selber Diäten gemacht hat und ihr Aussehen wichtig ist.
Und: Meine beiden Omas sind sehr kritisch. Auf die Idee mit 12 eine Diät zu machen, kam ich erst nachdem meine eine Oma knallhart zu mir sagte: Du warst doch immer so schlank, was ist nur mit dir passiert?
Im Umgang mit überkritischen Familienmitgliedern und Freund*innen helfen oft nur klare Worte, das schreibst du im Buch. Was aber können wir gegen die eigene Unzufriedenheit mit unserem Körper tun?
Als allererstes müssen wir verstehen, dass wir ja eigentlich gar nicht nach Schönheit an sich streben, sondern danach, was sie uns angeblich bringt: Anerkennung, Liebe, Spaß, Erfolg vielleicht Wir müssen uns also ehrlich fragen: Warum ist es mir so verdammt wichtig, gut auszusehen? Was glaube ich dadurch zu erreichen? Warum stresst es mich so sehr, wenn ich in den sozialen Medien ein unvorteilhaftes Foto von mir sehe? Was bedeutet ein schlechtes Foto tatsächlich für mein Leben? |
Ein wichtiger Punkt im Buch ist die Art und Weise, wie wir über unseren Körper sprechen.
Studien haben gezeigt, dass Frauen in einem Viertel aller Kontakte über ihr Aussehen sprechen. Dieser „body talk“ – also der Austausch über angebliche Makel, was man dagegen unternehmen könnte, gefolgt vom gegenseitigen Beschwichtigen – ist fester Bestandteil in unserem Protokoll sozialer Gepflogenheiten. Wenn da jemand nicht mitmacht, wird das schon als seltsam empfunden. „Body talk“ ist Ausdruck unserer Fixierung auf das Aussehen. Gleichzeitig verstärkt er diese Fixierung sowie unser negatives Body Image, denn man versucht ganz unbewusst, sich gegenseitig zu übertrumpfen:
Beyond Beautiful unterscheidet sich von anderen Publikationen zum gleichen Thema, indem es konkrete Lösungsansätze in den Mittelpunkt stellt. Welche Methoden und Übungen findest du selbst am wichtigsten für den Umgang mit Körperidealen und Aussehen?
Ich habe mit sehr vielen Expert*innen aus unterschiedlichen Disziplinen gesprochen, die Tipps im Buch stammen vor allem aus der Psychotherapie und der Psychologie. Der wichtigste erste Schritt ist es, sich klarzumachen, dass all die Gedanken und Emotionen, die man in Bezug auf das eigene Aussehen hat, nicht aus einem selbst kommen. Viele meine*r Freund*innen sagen beispielsweise: Klar, die Medien haben einen Einfluss darauf, wie ich mein Aussehen beurteile – aber ich persönlich fühle mich eben einfach wohler, wenn ich dünner bin. Ich persönlich hab einfach lieber glatte Beine – das ist mein eigener Anspruch, ich selbst bin mein*e größte*r Kritiker*in!
Wie geht man am besten damit um, wenn Menschen so argumentieren?
Wir müssen uns und anderen klarmachen, dass der Wunsch nach perfektem Aussehen eben kein intrinsischer Wunsch ist. All diese Dinge, diese Ideale, Zwänge und Ansprüche, kommen von außen und sind in unserer Sozialisierung begründet. Was ich ein gutes Hilfsmittel finde, ist das Wesen im Kopf:
Man stellt sich ein Wesen im Kopf vor und immer, wenn man über sich selbst und sein Aussehen negative Dinge denkt, lässt man das Wesen diese Dinge sagen. Letztens habe ich auf Instagram gefragt, welches Wesen meine Leser*innen sich überlegt haben – und über 20 Prozent antworteten „Donald Trump“ (lacht)! Aber auch Cruella de Ville war sehr beliebt oder die Oma mit dem erhobenen Zeigefinger. |
Viel und oft hört man die Mantren „Self love“ oder „Body positivity“: Frauen in den sozialen Medien versehen ihre Fotos mit langen Texten, warum man den eigenen Körper so lieben sollte, wie er ist. Du siehst das Ganze eher kritisch. Warum?
Ich finde, wir verwenden viel zu viel Zeit darauf, gegen spezifische Körperideale zu kämpfen, statt das Grundproblem anzugehen: nämlich den Stellenwert von Schönheit an sich. Body positivity ist dafür ein gutes Beispiel. Body positivity hat uns sehr viel gebracht hat und ist für viele hilfreich. Natürlich sollten wir den Grundgedanken, ein positives Verhältnis zum eigenen Körper zu haben, weiterführen und daran arbeiten, das Stigma vom nicht perfekten Aussehen zu reduzieren. Was ich an body positivity aber problematisch finde, ist der Ansatz Frauen mehr Selbstbewusstsein zu geben, indem man ihnen ständig sagt: Ihr seid schön. Das bestärkt nur das eigentliche Problem: Wir glauben, dass unser Wert von unserem Aussehen abhängt. Dass man Glück, Zufriedenheit und Selbstbewusstsein im Spiegel finden kann.
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Wenn nicht body positivity – was dann?
Was wir eigentlich machen müssen, ist uns vom Spiegel wegdrehen. Uns bewusst machen, dass unser Aussehen nur ein kleiner und dazu noch ziemlich uninteressanter Teil von uns ist, und wir so viel mehr zu bieten haben – das ist Body Neutrality. Gut finde ich zum Beispiel die Organisation Beauty Redefined, die von den Zwillingen Lindsay und Lexie Kite gegründet wurde. Ihnen geht es darum, genau das zu zeigen: dass wir mehr sind als unsere Körper – unsere Körper, egal, wie sie aussehen, bestimmen nicht unseren Wert. Auf der Systemebene bedeutet Body neutrality, sich viel stärker darauf zu konzentrieren, den riesigen Stellenwert von Schönheit zu bekämpfen, statt weiterhin nur spezifische Schönheitsideale zu entkräftigen. Wenn Sports Illustrated jetzt beispielsweise Bikinifotos von nicht superdünnen Models zeigt, ist das nicht der große Erfolg. Letztendlich kann das Ziel ja nicht sein, dass wir einfach mehr Arten von Körpern objektifizieren. Wenn Frauen nicht mehr grundsätzlich erst einmal für ihr Aussehen bewertet werden, egal ob positiv oder negativ, sondern für ihre Leistungen und Meinungen – dann haben wir wirklich was erreicht.