Ritualisiertes Tagesschaugucken pünktlich um 20:00 Uhr vor der Mattscheibe. Nicht, dass es ausreichen würde, sich auf eine einzige Nachrichtensendung zu verlassen, allerdings haben mich nur wenige Formate so durch das aktuelle Jahr begleitet wie Linda Zavakis und ihre Kolleg:innen.
Vor allem in den letzten drei Wochen wieder so, wie ich es noch aus dem März und April kannte. Tagesschau verpassen war da nicht drin und ist es auch heute, nach einem langen Arbeitstag und nur wenigen Blicken auf die Nachrichtendienste nicht. Im Ersten mit dabei: steigende Corona-Zahlen. Bei mir mit dabei: ein stetiges Bangen um Weihnachten und den Heimatbesuch bei der Familie.
Ich habe natürlich ganz bewusst alle anderen, viel haarsträubenden Sorgen außenvorgelassen. Ich habe ganz bewusst entschieden, die nächsten 50 Zeilen nur dem Fest der Liebe, dem Kaufrausch kurz vorher und der Christenheit zu widmen. Als mir nämlich schlagartig klar wurde, dass es dieses Jahr, mit Covid 19 am Tisch, kaum eine sichere Möglichkeit geben wird, mit meinen Familienmitgliedern in der Heimat Weihnachten zu feiern, wurden multiple Prozesse in mir in Gang gesetzt.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Tierisch habe ich mich über die Möglichkeit gefreut, mit einem triftigen Grund dem Familiengelage fernzubleiben. Nicht, dass mich jemand falsch versteht, aber so sehr ich meine Familie liebe, so verwandeln sich (wie bei so vielen) die Weihnachtstage in ein emotionales Moloch, bestückt mit unerfüllten Erwartungen und schlechter Haut von all dem fettigen Essen. Gemeinsam speisen und feiern könnten wir, als beinharte Agnostiker:innen, auch einen Monat später, wenn alles nicht so aufgeladen ist. Es folgten Bedenken über das Gespräch, das geführt werden müsste und über Relativierungen meiner Familie, die mit Sicherheit Sätze wie „stell dich nicht so an“, „wird schon nichts passieren“ und „die anderen machen das ja auch“ beinhalten würden. Ob ich mich breitschlagen lasse oder nicht, hängt natürlich von mir ab, aber wer möchte seiner Oma eigentlich gerne einen Wunsch abschlagen? Me No. Mein Gedankenkarussel kam erst zum Stillstand, als ich die Enttäuschung in den Stimmen meiner Liebsten im Ohr hatte. Wieder auf Anfang. Ist es also das: Familienfrieden schlägt Allgemeinwohl und vor allem das der älteren Semester unterm Christbaum?
Wie man’s macht man macht es falsch. Und auch wenn mir sehr bewusst ist, was die verantwortungsbewusste Entscheidung ist und wie sich ein Weihnachtsfest, der Geburtstag von Jesus oder ein religiös legitimierter Feiertag gegen Dezemberende mit Freuden auch in Berlin verleben lässt, stehe ich zwischen den Stühlen und auf dem Schlauch zugleich: Auf der einen Seite die spottbilligen und gnadenlos überbuchten ICE Sitzplätze gen Norden, auf der anderen ein sehr ruhiges und besinnliches Fest mit 1-2 Freund:innen in der Wahlheimat, welches sich in Zukunft vielleicht nicht mehr derart vor der Familie Sand rechtfertigen ließe. Kommen die verlassenen Großstadtstraßen und die vielleicht besinnlichste Zeit des Jahres in den eigenen vier Wänden gegen die Euphorie der einjährigen Familienzusammenkunft an?
Als großer Fan von Ritualen fällt es mir schwer, Weihnachten vollends zu entsagen. Aus der Liebe für die Verwandten heraus, aber auch, weil Weihnachten bedeutet, alte Freund:innen zu treffen, in der Kneipe aus der Jugend anzustoßen und sich gemeinsam über Neues, Altes, Gutes und Schlechtes auszulassen. Abgesehen davon, dass niemand genau weiß, was die kommenden acht Wochen noch zu bieten haben, so möchte ich mich jetzt schon einmal so weit aus dem Fenster lehnen und behaupten, dass die Bar, der Familientisch oder die Bescherung nicht im geringsten Corona-konform abgehalten werde können. Nicht so, wie ich sie kenne. Nicht so, wie ich sie mag. Ich fühle mich nicht bereit, andere zu gefährden, um ein Weihnachten zu feiern, was ohnehin nicht das ist, was es mal war. Bereit für den eigenen Christbaum, die eigene Weihnachtsgans und drei Tage weit weg von dem, was 28 Jahre auch zu Hause bedeutet hat? Die Entscheidung kostet mich fast mehr, als mir lieb ist.