Jovana Reisinger arbeitet als Autorin und Filmemacherin. Ein übergreifendes Thema ist dabei der vermeintlich mangelhafte weibliche Körper und dessen Rollenzuschreibungen. In ihrer neuen VOGUE-Kolumne „Bleeding Love“ schreibt sie gegen die Mythen der Monatsblutung an und pocht darauf, Raum einzunehmen. In diesem Text beschreibt sie, warum Menstruationsblut, Sex während der Periode und verlorengeglaubte Tampons keine Tabuthemen sein sollten.
Neulich, als meine Mutter das letzte Mal für dieses Jahr Rosen aus dem Garten ins Haus trug, zeigte sie mir ihre Schnittverletzungen. Die Dornen hatten sie regelrecht malträtiert. Sie saugte an den blutigen Stellen und verzog keine Miene. Sie war das gewohnt. Und dieses Blut macht ihr nichts weiter aus.
Kann Blut überhaupt neutral betrachtet werden?
Ich frage mich, wie ich gerade so vor mich hin menstruierend an meinem Schreibtisch sitze – kann Blut je neutral betrachtet werden? Über Blut wird gerichtet, Blut wird vergoßen, Blut wird geteilt und Blut wird kategorisiert. Blut hat einen Symbolcharakter und eine Signalfarbe. Da gibt es zum Beispiel die romantische, heimliche Verschwörung zwischen unverwandten Gleichgesinnten (die “Blutsbrüderschaft”), es gibt die vermeintliche, definierende Zugehörigkeit (die „Blutsverwandtschaft“) und es gibt die diskriminierende Klassifizierung (Blutspendeverbot für homosexuelle Menschen nach dem Outing). Das Menstruationsblut ist in der gesellschaftlichen Hitliste nicht in der obersten Kategorie gelandet. Es steht sogar so schlecht ums Menstruationsblut, dass es international seit Jahrzehnten in Werbungen durch eine (vorzugsweise blau) eingefärbte Flüssigkeit ersetzt und nicht einmal benannt wird. Auch dadurch scheint es undenkbar, dem realen Gemisch aus Sekreten, Bakterien, Blut und Gewebe neutral gegenüber zu stehen. Der Ekel scheint so tief eingeschrieben.
Ich persönlich übe mich in einem gelassenen Umgang gegenüber meinen Ausflüssen, die eine praktische körperliche Hinweisfunktion darstellen. Das Menstruationsblut sagt mir also: “Hallihallo, aufgepasst, der Zyklus geht von vorne los und kein Ei wurde befruchtet.” Toll. Was für ein Service! Je nach Wunsch oder Sehnsucht kann dieser Hinweis natürlich ein trauriger oder erleichternder sein. Aber wenn ich darüber nachdenke, wie oft ich auf ein Zeichen, auf ein Indiz oder schlichtweg auf eine sachdienliche Information warte, erscheint mir diese Körperfunktion wirklich hilfreich. Ausflüsse lesen lernen hat mir zumindest Spaß gemacht und jegliches Ressentiment oder jegliche Scheu vertrieben.
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Es ist Zeit, die gesellschaftlichen Tabus rund um die Mentruation zu überwinden
Menstruierende Menschen können relativ wenig dagegen tun und erst recht nichts dafür, mehr oder minder regelmäßig Blut (und anderes) auszuscheiden. Und doch wird ihnen eindringlich geraten, es so heimlich, so unauffällig, so unbemerkbar wie möglich zu tun. Dafür wurden nicht nur zig (praktische) Produkte sondern auch allerhand gesellschaftliche Codes entwickelt. An die sich aber, meiner Meinung nach, nicht länger gehalten werden muss. Tampons heimlich in der Faust herumtragen? Nein! Den Lover oder die Liebhaberin deswegen nicht mit nach Hause nehmen? Nein! Die Schmerzen herunterspielen und sich dadurch tapfer fühlen? Nein! Andere für ihre Blutflecken oder ihre Offenheit belächeln? Nein! Sich in der Menstruationstasse mal genauer anschauen, was da so rauskommt? Ja!
Orgasmen während der Periode: Nicht nur heiß, sondern auch schmerzlindernd
Menstruation und Sex und Menstruation und Masturbation sind in der Hitliste der Gesprächsthemen auch nicht ganz weit vorne. Da vermischt sich das eine große schambesetzte Thema mit dem nächsten. Oh-oh. Dabei kann natürlich auch während des Sex plötzlich die Periode loslegen und muss nicht zum Libidoverlust führen. Aus Schamgefühl schon gar nicht. Andere verspüren eine gesteigerten Lust während der Periode und das ist auch völlig ok.
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Abgesehen davon untersuchen verschiedene ForscherInnen gerade einen Zusammenhang zwischen Selbstbefriedigung und der Reduzierung von Menstruationsschmerzen. Masturbation ist ja ohnehin schon eine wertvolle Maßnahme – stressreduzierend, entspannend, sexy, heiß – aber damit auch noch den Unterleib besänftigen? Ja. Dabei lenkt nicht nur der Orgasmus mit den damit ausgeschütteten Glückshormonen von den Schmerzen ab – es wird näher untersucht, ob dabei nicht sogar die Schmerzgrenze nach oben verschoben wird und die Gebärmutterkontraktionen das Blut schneller abfließen lassen. Außerdem lockert so ein Orgasmus schön den Beckenboden, was an sich schon krampflindernd sein kann. Was spricht also jetzt noch dagegen, selbst Hand anzulegen, Spielzeug, Vibratoren und PartnerInnen einzuladen? Eben.
Erlebnisse zwischen Verunsicherung und Amüsement
Eine Freundin erzählte mir, dass sie mit einem Mann schlief, der, wie sich herausstellen sollte, wirklich kein Blut sehen konnte. Am nächsten Morgen wachte der Mann auf und sah die blutverschmierte Bettwäsche. Er untersuchte panisch aus dem Bett springend seinen Körper nach einer Verletzung. Aber die “Verletzung”, wie er dann bemerkte, war sie – meine Freundin – die nur einen Blick auf ihre Vulva werfen musste, um die frische Quelle zu finden. Seine Augen waren kurz aufgerissen, es war ihm schon jegliche Farbe aus dem Gesicht gewichen und da lag er auch schon auf dem Boden. Sie hat ihm ein Kissen unter den Kopf geschoben, die Bettwäsche abgezogen und die Waschmaschine angeworfen. Als er wieder zu sich kam, war alles wieder hübsch ordentlich und meine Freundin zwischen Unsicherheit und Amüsement.
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Amüsiert war auch eine andere Freundin, die bewusst während ihrer Menstruation Sex hatte und plötzlich mit der immer konkreter werdenden Angst konfrontiert wurde, ein Tampon in sich vergessen zu haben – das natürlich nun unauffindbar tief in sie hineingeschoben werden würde. Als sie danach zu einem Gynäkologen ging, untersuchte er sie ausführlich. Er beendete die Suche erfolglos und fand die Unternehmung offensichtlich lustig, denn er kicherte als er sagte: “Ich finde hier ja häufig eine ganze Menge Sachen, aber bei Ihnen find ich jetzt wirklich nichts.” Beide kicherten, ohne genau zu wissen, warum. Da sagte er noch: “Aber sollte ich nicht gut geschaut haben und sie finden ein altes Tampon, dann kommen sie bitte umgehend ohne Termin in mein Büro und werfen mir das auf den Tisch.“ Zu dieser Begegnung kam es übrigens nicht mehr, es tauchte kein Tampon auf, offensichtlich wurde keins in ihr vergessen. Diese Begegnung vergessen konnte sie jedoch nicht. Genauso wenig wie den heißen Sex, der dazu führte.
VOGUE COMMUNITY– Dieser Text von Jovana Reisinger wurde zuerst bei der deutschen Vogue veröffentlicht – |