Seit Tagen warte ich auf einen deutschsprachigen Artikel über das Abdanken von (Man) Repeller, einem der erfolgreichsten Blogs aller Zeiten. Nur erschien der nicht. Jedenfalls nicht dort, wo ich ihn erwartet hätte. Deshalb schreibe ich jetzt, ebenfalls mit etwas Verspätung, selbst ein paar Worte zu diesem beispiellosen Fall von Schadeschokolade.
Ich möchte hier keinen Liebesbrief an Man Repeller verfassen und auch nicht an dessen Gründerin Leandra Medine. Obwohl ich sie, das kann man schon sagen, durchaus geliebt habe, beide. Auf meine eigene Weise, für vieles, aber natürlich nicht für alles und auch nicht immer. Einiges habe ich außerdem nicht hinterfragt oder erst zu spät begriffen. Dennoch: Ich nehme es der (Mode)Blog- und Lifestyle-Landschaft fast ein bisschen krumm, dass sie so dermaßen laut schweigt. Über alles, was da in den vergangenen Monaten passiert ist. Es ist ja kein Geheimnis, dass diese Seite für viele ein Quell der Inspiration war. Oder, was noch viel wichtiger ist: Dass viele von uns ehrlich gesagt keinen Deut besser dastehen. Eher sogar schlechter.
Am einem Donnerstag Ende Oktober verkündete Leandra Medine jedenfalls in auffällig kurz angebundener Manier, ihr Brainchild „Man Repeller“ würde seine Pforten endgültig schließen, aus und vorbei, nach zehn Jahren Monopolstellung – nach einem vergleichbar erfolgreichen und vielfältigen Blog suchte man meines Erachtens nach bis zuletzt vergebens. Für viele Leser*innen kam die Nachricht des „Wind Downs“ trotz des vorangegangenen Shitstorms, der heute wohl als Auslöser für besagten Lauf der Dinge genannt werden kann, äußerst überraschend. Erst wenige Wochen zuvor hatte schließlich noch das Rebranding in „Repeller“ inklusive allerlei Versprechungen stattgefunden. Und das kam so:
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Nachdem George Floyd von einem weißen Polizisten brutal ermordet und die Welt durch Covid-19 erschüttert wurde, nachdem endlich das geschah, was längst überfällig war, nämlich ein kollektives Hinsehen, Einstehen und Lautwerden gegen (strukturellen und institutionellen) Rassismus, begann zeitgleich auch so manche Leser*innenschaft das Gebaren diverser Medienhäuser öffentlich und vehement anzuprangern. Längst überfällige Kritik erwischte das ein oder andere Magazin zu Recht wie in Donnerwetter. Es kam zu Entlassungen aufgrund rassistischen Verhaltens auf Führungsebene, wie etwa im Fall von Refinery 29. Und auch Man Repeller musste sich harten Anschuldigungen stellen. Leandra Medines kleines Universum sei längst nicht so inklusiv wie dessen Image es vermuten ließe, im Gegenteil. Auch intern herrsche eine toxische Stimmung, vornehmlich gegenüber Angestellten, die nicht „white, skinny and rich“ seien.
Kurz darauf postete Medine eine öffentliche Entschuldigung, die das Feuer allerdings nicht löschte, sondern in Wahrheit erst so richtig entfachte.
„I’m listening to learn—not to fix or to win. I’m feeling ashamed, but also acutely aware of how much more learning I have to do. I’ve been thinking about how I’m raising my kids, what it means to use my privilege responsibly, but mostly, I am trying to figure out how to harness these feelings of ignorance and humility to become part of the solution—and, equally important, to never lose sight of that mission.“ – @leandramedine |
Nach und nach meldete sich nicht nur die Community zu Wort, sondern auch ehemalige Mitarbeiterinnen wie Sabrina Santiago, Fotografin und Photo Editor:
„As a former POC employee that was let go during COVID-19, this ‚apology‘ is a slap in the face and honestly disgraceful.“ |
Leandra Medine hatte den Knall nicht gehört, das kann man schon so sagen. Ihre erste Entschuldigung war scheiße weil „self centered“, die zweite nicht weniger lückenhaft und halbherzig. Keine falschen white tears also. Im Gegenteil. Auch ich hatte aus der Ferne viel zu kritiklos hingenommen, wie viel da offenbar schief gelaufen war. Wie viel Schmerz verursacht wurde. Wie stur Medine über Jahre hinweg scheinbar jede Kritik ignoriert hatte. Ich habe bloß dabei zugesehen. Man Repeller wurde im gleichen Jahr gegründet wie Jane Wayne. Ich hatte verlernt, objektiv zu bleiben und vor allem viel Bewunderung übrig für Man Repeller und das gesamte Team dahinter. Für die offenen Worte über Themen, von denen ich sonst kaum las, über das (keine) Kinderkriegen, die Liebe und das Leben, für den Spaß am Buntsein, für all die Themen fernab teurer Produkte, die auch für mich außer Reichweite lagen. Ich war blind geworden für das, was schief lief.
Und ich wünschte, es wäre anders gewesen – oder mindestens geworden. Was auf diese kollektive Erkenntnis folgte, habe ich allerdings in dieser Form nicht kommen sehen.
Und Vieles von dem, was da im Nachgang passiert ist, finde ich, so ehrlich will ich sein, nicht in Ordnung. Sondern feige. Von Medine selbst, na klar. Aber nicht nur.
Denn selbstverständlich weiß ich, warum kaum eine Redakteurin und kaum ein Redakteur den Schnabel zu dieser Thematik bis heute aufgemacht hat. Befördert man sich durch Zuspruch an der scharfen Beanstandung am einstigen Man Repeller doch selbst zur Zielscheibe. Besser keine schlafenden Hunde wecken, heißt es doch. Und wer, der selbst im Glashaus sitzt, wirft schon gerne mit Steinen? Das einerseits. Dabei wäre eine breite, ehrliche, selbstkritische Debatte über das Geschehene und Vermasselte womöglich einer ganzen Branche zugute gekommen. Ihrem Wandel. Was jetzt bleibt, ist wieder nur: Ein Wegsehen. Augen zu und weitermachen, hoffen, dass man nicht erwischt wird. Dabei, dass im Team noch immer alle weiß sind, dass man neuerdings Tokenism betreibt oder ständig von antirassistischer Arbeit spricht und damit nichts weiter meint, als eine pastellfarbene Kerze bei einem Black Owned Business zu bestellen. Aber nein, man habe sich „schon immer engagiert“. Aber halt privat. Achso. Darum geht es aber nunmal nicht, wenn man ein Unternehmen führt. Und trotzdem: Ressourcen und Energie – beides hat Grenzen.
Alles in allem also eine sehr vertrackte Lage, mit vielen Lagern. Ich kann so gut wie jede Seite verstehen, was ich gerne so sage, weil ich es Leid bin, der Internetpolizei den Bauch zu pinseln. Ja, es gibt manchmal mehr als nur Gut und Böse. Und nein, Cancel Culture ist in meinen Augen wieder keine Lösung und erst recht kein Muss, sondern nur ein weiteres Werkzeug, das auf der ein oder anderen Baustelle zwar unabdingbar und nützlich sein, in vielen anderen Bereichen aber eben auch großen Schaden anrichten kann. Zu sagen: „Tschau, Repeller, mit dir bin ich durch aus den folgenden Gründen(…)“, ist eine Sache. Etliche der (zum Teil schon gelöschten) Kommentare unter den Beiträgen Medines überschreiten allerdings eine Grenze, die mich schon ganz zu Beginn des Sturms regelrecht angewidert hat.
Da wurde überhaupt nicht mitgedacht oder auch nur erwähnt, dass Leandra selbst nicht weiß ist. Da wurde ein ganzer Diskurs über Klassismus und Rassismus dazu missbraucht, endlich persönliche Enttäuschungen und Befindlichkeiten in die Welt hinaus posaunen zu können, ohne Rücksicht auf irgendwen, ohne Faktencheck oder Verstand. Über Medine als „magersüchtige Irre“ herzuziehen, als „reiche Jüdin“, als crazy bitch, arrogante Narzisstin und Schlimmeres ist wenig konstruktiv. Um nicht zu sagen: Kontraproduktiv. Das ist auch kein Alleyship vonseiten weißer Mitlesender. Das war ein riesen Furz, der am Ende vieles von dem vernebelt hat, was wirklich wichtig zu untermauern gewesen wäre: Nämlich Meinungen, die hätten sichtbar bleiben müssen zwischen all dem Müll.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Irgendwann ging es überhaupt nicht mehr um die harten Themen. Um die Firmenstruktur oder die Verletzungen, um die unfaire Behandlung von BIPOC im Team. Sondern, heruntergebrochen, um „zu teure Schuhe“. Und da musste dann selbst ich, im Angesicht dieses Meinungsmediums sagen: Get fucking over it. Oder findet es scheiße. Aber vermischt nicht die Debatten. Wer erwartet, dass man mit einem einzigen Blogzine alle erdenklichen Zielgruppen der Erde ansprechen kann, versteht nicht, was ein Blog ist. Hat aber vielleicht dennoch nicht ganz Unrecht. Und hätte demnach zeitgleich damit beginnen können, sein verbales Erbrochenes über den ganz großen, etablierten Magazinen zu entleeren. Die machen, in den allermeisten Fällen, nämlich noch immer so gut wie überhaupt nichts richtig. Whataboutsim? Mitnichten. Mehr als das. Wir haben es hier mit einem scheiß tiefsitzenden Problem zu tun, dem wir keineswegs dadurch gerecht werden, uns an einer einzigen Schuldigen abzureagieren.
Ich bin ehrlich gesagt auch ein bisschen sauer, weil ich mich frage, was die Quintessenz all dessen sein soll. Wir sehen ja sehr deutlich, was nun passiert ist, wenige Monate nachdem Medine öffentlich zurückgetreten war. Was haben die Leute „Hurra“ gerufen. Nur, um am Ende doch das Interesse zu verlieren. Was übrigens typisch ist für ein solches Medium. Das Gieren der Betrachtenden nach facettenreichem Content, meine ich – meistgelesen bleiben in den allermeisten Fällen trotzdem die leichten Themen. Was ich außerdem nie begreifen werde: Wie kommt Mensch denn überhaupt dazu, derart vehement Ansprüche an dem geistigen Eigentum anderer zu erheben?
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Repeller hat dicht gemacht – und jetzt? Jubel, weil: ein Schurke weniger? Ist das so? Nein. Wir haben, im Gegenteil, schon wieder jemanden über die Klippe gejagt, der eigentlich auf unserer Seite ist. Und damit vielen anderen die Chance genommen, gehört zu werden. Oder sich zu verändern. Zu etwas Besserem zu werden. Inklusiver.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Egal, was ihr jetzt denkt: Bitte erlaubt euch und uns, anderer Meinung zu sein. Schreit nicht einfach mit, wenn alle anderen brüllen. Differenziert. Macht euch eigene Gedanken.
Leandra Medine hat, das weiß ich sehr wohl, mit Sicherheit kein großes Mitleid verdient. Aber doch ein wenig Respekt, wie jeder Mensch (der kein Nazi ist).
Am Ende bleibe ich ehrlich traurig über das Aus dieser Plattform. Sie hätte aufblühen und wachsen können, mitsamt all der großartigen Autor*innen, die sich seit Jahren aber auch in den vergangen Wochen dem Team zugehörig gefühlt hatten, die so viel Herzblut investiert haben, so viele Ideen und Anstrengungen. Aber ohne Leandra Medine geht es nicht, das wurde deutlich. Sie war Man Repeller und anders herum. Sie war ein Profi. Hatte Berufserfahrung. Man Repeller war kein Spiel, sondern ihr Baby. Bis es ihr um die Ohren flog, ohne jeden Rückhalt, weder von innen noch von außen.
In meinen Augen konnte Medine schließlich überhaupt nichts anderes tun, als das Kapitel Repeller für immer zu schließen. Wer will, darf jetzt gern brüllen: Karma. Aber der oder die vergesse bitte nicht, wie viele Arbeitsplätze dieser Shitstorm am Ende zusätzlich gekostet hat.
Dass daraufhin, nach zehn Jahren Geschäftsführung und Chefredaktion, nichts weiter als ein „Auf nimmer Wiedersehen“ folgt, mag frech sein. Aber naja. Touché.