Mit 15 versank ich in durchlöcherten Jeans, die große Wellen über meine Beine schlugen, während sich die herbstliche Bodennässe langsam durch den Hosensaum nach oben fraß. Was mein Vater zuweilen als „Sack“ bezeichnete, nannte ich mein liebstes Kleidungsstück und zelebrierte es gänzlich ungeniert, wohlwissend, dass sich meine Mitschülerinnen spätestens zur Mittagszeit über kneifende, hautenge Hüfthosen beschweren würden. Einige Jahre später warf ich sie jedoch wieder über Bord, diese Gemütlichkeit, hatte ich doch irgendwo aufgeschnappt, zu viel (modischer) Komfort könne den Eindruck vermitteln, ich hätte die Kontrolle über mein Leben verloren — und das wollte ich keinesfalls, auch wenn (oder gerade weil) ich diesem Vorwurf zuweilen hätte zustimmen können. Fortan tat ich es also meinen Freundinnen gleich, hüllte mich in enge Hosen und kurze, unbequeme Kleider, ja ich kaufte sogar erstmals Pumps, deren rechter Absatz noch am gleichen Abend unter meinem beschwingten Two Step wegbrach.
Ob es am unliebsamen Pump-Vorfall, der Unlust, ständig an meiner Kleidung herumzupfen zu müssen, weil ich mal wieder glaubte, ein Windstoß könne mir den Rock wegpusten, oder aber an den Bauchschmerzen, die mir die Jeans nach stundenlangem Sitzen bescherten, lag, weiß ich nicht mehr so recht, doch eines Tages verabschiedete ich mich gedanklich von unbequemer Mode und begab mich sehnsüchtig auf die Suche nach der Gemütlichkeit — dass sie ausgerechnet mit einem froschgrünen Anzug enden würde, wollte ich zunächst selbst nicht so recht glauben.
Es waren keine zögerlichen Annäherungsversuche, als ich das grüne Ungetüm an der Stange hängen sah. Vielmehr war es Liebe auf den ersten Blick, hatte ich doch gerade erst Phoebe Philos SS18-Kreationen für Céline angehimmelt und die weit geschnittenen Anzüge somit auch erstmals für mich entdeckt. Sie sahen keineswegs so spießig aus, wie ich mir Zweiteiler oftmals vorgestellt hatte, und wirkten dazu auch noch schrecklich bequem. Ihre vollständige Wirkung entfalteten sie jedoch erst, als ich in mein ganz eigenes Exemplar schlüpfte. Ja, ich liebte den grünen Anzug aus tiefstem Herzen, noch mehr als ihn selbst jedoch das Gefühl, das er in mir auslöste: Ich fühlte mich selbstbewusst, stark und vor allem: Frei. Ich konnte meine Beine ungebremst bewegen, die Arme über den Kopf strecken und hinter dem Rücken verkreuzen, ganz ohne dass dabei etwas schmerzte oder sich verzog. Nichts drückte, zwickte oder rutschte an Orte, an die es nicht gehört, nein, der Anzug verzieh obendrein sogar auch noch 5-Gänge-Menüs und 8-Stunden-Schreibtischtage. Meine Liebe reichte so weit, dass ich selbst für Kommentare à la „Mensch Meier, warum versteckst du denn deine Figur, da kannst du ja gleich einen Sack anziehen“ nach kurzer Zeit nicht einmal mehr ein müdes Lächeln übrig hatte, immerhin hatte ich die Gemütlichkeit endlich wieder für mich entdeckt und die würde ich — komme, was wolle — so schnell auch nicht mehr hergeben.
Und so kam es schließlich, wie es kommen musste: Aus einem Anzug wurden zwei, dann drei, dann vier und allesamt zählen sie heute zu meinem persönlichen Wohlfühl-Repertoire, auf das ich stets zurückgreife, wenn ich mich auch während einer Inspirationsflaute mal wieder anziehen muss. Ganz gleich, ob die weiten Silhouetten gegen sämtliches ästhetische Empfinden anderer oder merkwürdig auferlegte Moderegeln verstoßen, anziehen muss ich schließlich bloß mich selbst. Und trotz all meiner felsenfesten Überzeugungen kam ich nicht umhin, mich beim Anblick all der Gleichgesinnten, die sich im Cyberspace tummeln, ein wenig zu freuen, betonte doch auch Madeline Swanson vergangenen Mai in der amerikanischen Vogue, eine Rückkehr zu unbequemer Kleidung würde es für sie seit ihrer Entdeckung von weiten Schnitten nicht mehr geben. Ebenso erzählte einst Juliana Salazar, ehemals Man Repeller Redakteurin, von ihrer Liebe zu Anzügen und schwärmte zugleich: „The best part is, for how put-together a suit makes you look, it requires little to no effort. Plus (!) I have yet to find another clothing combination that makes me feel as confident, and simultaneously comfortable, as a suit“ — ich selbst habe bis heute jedenfalls keine vergleichbare Kombination gefunden, erklärte meine persönliche Suche nach der Gemütlichkeit somit jüngst für erfolgreich beendet und wünsche mir bloß noch eines: Ein Exemplar, so grau und fein und schön wie jenes, das einst auch David Bowie trug, die Träumerei nämlich möchte ich mir auch heut‘ nicht nehmen lassen, selbst wenn es nur die Mode ist.